Fontane, Theodor: Von Zwanzig bis Dreißig. 1. Aufl. Berlin, 1898.Hacken hineingepaßt hätten, hatte ich fast nie - von der Köpnickerstraße noch bis "zu Liesens" laufen, was wenigstens anderthalb Stunden dauerte. Zuletzt angekommen, hatte ich noch die Pflanzen in Löschblätter zu legen und fiel dann todmüde ins Bett. Man male sich aus, mit welcher Freudigkeit ich dann am Donnerstag Morgen in die Schule ging. Es ging einfach über meine Kräfte. Die Folge dieser "Liesenschen Sommerfrische" war denn auch, daß ich mehr und mehr in Bummelei verfiel und mich daran gewöhnte, die erste Stunde von acht bis neun zu schwänzen, was sehr gut ging, weil der französische Professor, der an wenigstens drei Schulen Unterricht gab, sich den Teufel darum kümmerte, wer da war und wer nicht. Und wie der Löwe, wenn er erst Blut geleckt, nicht säuberlich inne hält, so war auch mir bald die Stunde von acht bis neun viel zu wenig und binnen Kurzem hatt' ich es dahin gebracht, mich halbe Wochen lang in und außerhalb der Stadt herumzutreiben. Es empfahl sich das auch dadurch, daß sich bei solchen Tagesschwänzungen leichter von "Krankheit" sprechen ließ. Und das Vierteljahr von Oktober bis Weihnachten war die schönste Zeit dazu. Das Verwerfliche darin war mir ganz klar, aber man findet immer etwas, sein Gewissen zu be- Hacken hineingepaßt hätten, hatte ich fast nie – von der Köpnickerstraße noch bis „zu Liesens“ laufen, was wenigstens anderthalb Stunden dauerte. Zuletzt angekommen, hatte ich noch die Pflanzen in Löschblätter zu legen und fiel dann todmüde ins Bett. Man male sich aus, mit welcher Freudigkeit ich dann am Donnerstag Morgen in die Schule ging. Es ging einfach über meine Kräfte. Die Folge dieser „Liesenschen Sommerfrische“ war denn auch, daß ich mehr und mehr in Bummelei verfiel und mich daran gewöhnte, die erste Stunde von acht bis neun zu schwänzen, was sehr gut ging, weil der französische Professor, der an wenigstens drei Schulen Unterricht gab, sich den Teufel darum kümmerte, wer da war und wer nicht. Und wie der Löwe, wenn er erst Blut geleckt, nicht säuberlich inne hält, so war auch mir bald die Stunde von acht bis neun viel zu wenig und binnen Kurzem hatt’ ich es dahin gebracht, mich halbe Wochen lang in und außerhalb der Stadt herumzutreiben. Es empfahl sich das auch dadurch, daß sich bei solchen Tagesschwänzungen leichter von „Krankheit“ sprechen ließ. Und das Vierteljahr von Oktober bis Weihnachten war die schönste Zeit dazu. Das Verwerfliche darin war mir ganz klar, aber man findet immer etwas, sein Gewissen zu be- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0203" n="194"/> Hacken hineingepaßt hätten, hatte ich fast nie – von der Köpnickerstraße noch bis „zu Liesens“ laufen, was wenigstens anderthalb Stunden dauerte. Zuletzt angekommen, hatte ich noch die Pflanzen in Löschblätter zu legen und fiel dann todmüde ins Bett. Man male sich aus, mit welcher Freudigkeit ich dann am Donnerstag Morgen in die Schule ging. Es ging einfach über meine Kräfte.</p><lb/> <p>Die Folge dieser „Liesenschen Sommerfrische“ war denn auch, daß ich mehr und mehr in Bummelei verfiel und mich daran gewöhnte, die erste Stunde von acht bis neun zu schwänzen, was sehr gut ging, weil der französische Professor, der an wenigstens drei Schulen Unterricht gab, sich den Teufel darum kümmerte, wer da war und wer nicht. Und wie der Löwe, wenn er erst Blut geleckt, nicht säuberlich inne hält, so war auch mir bald die Stunde von acht bis neun viel zu wenig und binnen Kurzem hatt’ ich es dahin gebracht, mich halbe Wochen lang in und außerhalb der Stadt herumzutreiben. Es empfahl sich das auch dadurch, daß sich bei solchen Tagesschwänzungen leichter von „Krankheit“ sprechen ließ. Und das Vierteljahr von Oktober bis Weihnachten war die schönste Zeit dazu.</p><lb/> <p>Das Verwerfliche darin war mir ganz klar, aber man findet immer etwas, sein Gewissen zu be-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [194/0203]
Hacken hineingepaßt hätten, hatte ich fast nie – von der Köpnickerstraße noch bis „zu Liesens“ laufen, was wenigstens anderthalb Stunden dauerte. Zuletzt angekommen, hatte ich noch die Pflanzen in Löschblätter zu legen und fiel dann todmüde ins Bett. Man male sich aus, mit welcher Freudigkeit ich dann am Donnerstag Morgen in die Schule ging. Es ging einfach über meine Kräfte.
Die Folge dieser „Liesenschen Sommerfrische“ war denn auch, daß ich mehr und mehr in Bummelei verfiel und mich daran gewöhnte, die erste Stunde von acht bis neun zu schwänzen, was sehr gut ging, weil der französische Professor, der an wenigstens drei Schulen Unterricht gab, sich den Teufel darum kümmerte, wer da war und wer nicht. Und wie der Löwe, wenn er erst Blut geleckt, nicht säuberlich inne hält, so war auch mir bald die Stunde von acht bis neun viel zu wenig und binnen Kurzem hatt’ ich es dahin gebracht, mich halbe Wochen lang in und außerhalb der Stadt herumzutreiben. Es empfahl sich das auch dadurch, daß sich bei solchen Tagesschwänzungen leichter von „Krankheit“ sprechen ließ. Und das Vierteljahr von Oktober bis Weihnachten war die schönste Zeit dazu.
Das Verwerfliche darin war mir ganz klar, aber man findet immer etwas, sein Gewissen zu be-
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(2018-07-25T10:02:20Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-25T10:02:20Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von Zwanzig bis Dreißig. Autobiographisches. Hrsg. von der Theodor Fontane-Arbeitsstelle, Universität Göttingen. Bandbearbeiter: Wolfgang Rasch. Berlin 2014 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das autobiographische Werk, Bd. 3]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).
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