Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883.

Bild:
<< vorherige Seite

und wartete auf die Mama. Dann bot er ihr den
Arm, und so gingen sie durch das Dorf nach dem
Gasthause zurück, wo die Wagen hielten und viele
Leute versammelt waren. Es gab mir einen Stich
durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens
nicht erwehren, daß es ihm peinlich gewesen sei, mit
mir und an meinem Arm unter den Gästen zu er¬
scheinen. In seiner Eitelkeit, von der ich ihn nicht
freisprechen kann, ist es ihm unmöglich, sich über das
Gerede der Leute hinwegzusetzen, und ein spöttisches
Lächeln verstimmt ihn auf eine Woche. So selbst¬
bewußt er ist, so schwach und abhängig ist er in diesem
einen Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch
vor der Mama nicht, würd ich ein solches Bekennt¬
nis ablegen, aber Dir gegenüber mußt ich es. Hab
ich Unrecht, so sage mir, daß mein Unglück mich mi߬
trauisch gemacht habe, so halte mir eine Strafpredigt
in allerstrengsten Worten, und sei versichert, daß ich
sie mit dankbarem Auge lesen werde. Denn all seiner
Eitelkeit unerachtet, schätz ich ihn wie keinen andern.
Es ist ein Satz, daß Männer nicht eitel sein dürfen,
weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir scheint dies über¬
trieben. Ist aber der Satz dennoch richtig, so be¬
deutet Schach eine Ausnahme. Ich hasse das Wort
"ritterlich" und habe doch kein anderes für ihn. Eines
ist er vielleicht noch mehr, diskret, imponierend, oder doch
voll natürlichen Ansehns, und sollte sich mir das erfüllen,

5

und wartete auf die Mama. Dann bot er ihr den
Arm, und ſo gingen ſie durch das Dorf nach dem
Gaſthauſe zurück, wo die Wagen hielten und viele
Leute verſammelt waren. Es gab mir einen Stich
durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens
nicht erwehren, daß es ihm peinlich geweſen ſei, mit
mir und an meinem Arm unter den Gäſten zu er¬
ſcheinen. In ſeiner Eitelkeit, von der ich ihn nicht
freiſprechen kann, iſt es ihm unmöglich, ſich über das
Gerede der Leute hinwegzuſetzen, und ein ſpöttiſches
Lächeln verſtimmt ihn auf eine Woche. So ſelbſt¬
bewußt er iſt, ſo ſchwach und abhängig iſt er in dieſem
einen Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch
vor der Mama nicht, würd ich ein ſolches Bekennt¬
nis ablegen, aber Dir gegenüber mußt ich es. Hab
ich Unrecht, ſo ſage mir, daß mein Unglück mich mi߬
trauiſch gemacht habe, ſo halte mir eine Strafpredigt
in allerſtrengſten Worten, und ſei verſichert, daß ich
ſie mit dankbarem Auge leſen werde. Denn all ſeiner
Eitelkeit unerachtet, ſchätz ich ihn wie keinen andern.
Es iſt ein Satz, daß Männer nicht eitel ſein dürfen,
weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir ſcheint dies über¬
trieben. Iſt aber der Satz dennoch richtig, ſo be¬
deutet Schach eine Ausnahme. Ich haſſe das Wort
„ritterlich“ und habe doch kein anderes für ihn. Eines
iſt er vielleicht noch mehr, diskret, imponierend, oder doch
voll natürlichen Anſehns, und ſollte ſich mir das erfüllen,

5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0077" n="65"/>
und wartete auf die Mama. Dann bot er <hi rendition="#g">ihr</hi> den<lb/>
Arm, und &#x017F;o gingen &#x017F;ie durch das Dorf nach dem<lb/>
Ga&#x017F;thau&#x017F;e zurück, wo die Wagen hielten und viele<lb/>
Leute ver&#x017F;ammelt waren. Es gab mir einen Stich<lb/>
durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens<lb/>
nicht erwehren, daß es ihm peinlich gewe&#x017F;en &#x017F;ei, mit<lb/><hi rendition="#g">mir</hi> und an meinem Arm unter den Gä&#x017F;ten zu er¬<lb/>
&#x017F;cheinen. In &#x017F;einer Eitelkeit, von der ich ihn nicht<lb/>
frei&#x017F;prechen kann, i&#x017F;t es ihm unmöglich, &#x017F;ich über das<lb/>
Gerede der Leute hinwegzu&#x017F;etzen, und ein &#x017F;pötti&#x017F;ches<lb/>
Lächeln ver&#x017F;timmt ihn auf eine Woche. So &#x017F;elb&#x017F;<lb/>
bewußt er i&#x017F;t, &#x017F;o &#x017F;chwach und abhängig i&#x017F;t er in die&#x017F;em<lb/><hi rendition="#g">einen</hi> Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch<lb/>
vor der Mama nicht, würd ich ein &#x017F;olches Bekennt¬<lb/>
nis ablegen, aber <hi rendition="#g">Dir</hi> gegenüber mußt ich es. Hab<lb/>
ich Unrecht, &#x017F;o &#x017F;age mir, daß mein Unglück mich mi߬<lb/>
traui&#x017F;ch gemacht habe, &#x017F;o halte mir eine Strafpredigt<lb/>
in aller&#x017F;treng&#x017F;ten Worten, und &#x017F;ei ver&#x017F;ichert, daß ich<lb/>
&#x017F;ie mit dankbarem Auge le&#x017F;en werde. Denn all &#x017F;einer<lb/>
Eitelkeit unerachtet, &#x017F;chätz ich ihn wie keinen andern.<lb/>
Es i&#x017F;t ein Satz, daß Männer nicht eitel &#x017F;ein dürfen,<lb/>
weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir &#x017F;cheint dies über¬<lb/>
trieben. I&#x017F;t aber der Satz dennoch richtig, &#x017F;o be¬<lb/>
deutet Schach eine Ausnahme. Ich ha&#x017F;&#x017F;e das Wort<lb/>
&#x201E;ritterlich&#x201C; und habe doch kein anderes für ihn. <hi rendition="#g">Eines</hi><lb/>
i&#x017F;t er vielleicht noch mehr, diskret, imponierend, oder doch<lb/>
voll natürlichen An&#x017F;ehns, und &#x017F;ollte &#x017F;ich mir <hi rendition="#g">das</hi> erfüllen,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">5<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[65/0077] und wartete auf die Mama. Dann bot er ihr den Arm, und ſo gingen ſie durch das Dorf nach dem Gaſthauſe zurück, wo die Wagen hielten und viele Leute verſammelt waren. Es gab mir einen Stich durchs Herz, denn ich konnte mich des Gedankens nicht erwehren, daß es ihm peinlich geweſen ſei, mit mir und an meinem Arm unter den Gäſten zu er¬ ſcheinen. In ſeiner Eitelkeit, von der ich ihn nicht freiſprechen kann, iſt es ihm unmöglich, ſich über das Gerede der Leute hinwegzuſetzen, und ein ſpöttiſches Lächeln verſtimmt ihn auf eine Woche. So ſelbſt¬ bewußt er iſt, ſo ſchwach und abhängig iſt er in dieſem einen Punkte. Vor niemandem in der Welt, auch vor der Mama nicht, würd ich ein ſolches Bekennt¬ nis ablegen, aber Dir gegenüber mußt ich es. Hab ich Unrecht, ſo ſage mir, daß mein Unglück mich mi߬ trauiſch gemacht habe, ſo halte mir eine Strafpredigt in allerſtrengſten Worten, und ſei verſichert, daß ich ſie mit dankbarem Auge leſen werde. Denn all ſeiner Eitelkeit unerachtet, ſchätz ich ihn wie keinen andern. Es iſt ein Satz, daß Männer nicht eitel ſein dürfen, weil Eitelkeit lächerlich mache. Mir ſcheint dies über¬ trieben. Iſt aber der Satz dennoch richtig, ſo be¬ deutet Schach eine Ausnahme. Ich haſſe das Wort „ritterlich“ und habe doch kein anderes für ihn. Eines iſt er vielleicht noch mehr, diskret, imponierend, oder doch voll natürlichen Anſehns, und ſollte ſich mir das erfüllen, 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/77
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 65. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/77>, abgerufen am 03.05.2024.