von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienstag ein für allemal zu Mittag geladen war, und unter "zu Mit¬ tag" pünktlicherweise zwölf Uhr verstand, trotzdem sie wußte, daß bei den Carayons erst um drei Uhr gegessen wurde. Tante Marguerite, das war ihr Name, war noch eine echte Koloniefranzösin, d. h. eine alte Dame, die das damalige, sich fast ausschlie߬ lich im Dativ bewegende Berlinisch mit geprüntem Munde sprach, das ü dem i vorzog, entweder "Kür¬ schen" aß, oder in die "Kürche" ging, und ihre Rede selbstverständlich mit französischen Einschiebseln und Anredefloskeln garnierte. Sauber und altmodisch gekleidet, trug sie Sommer und Winter denselben kleinen Seidenmantel, und hatte jene halbe Verwach¬ senheit, die damals bei den alten Koloniedamen so allgemein war, daß Victoire einmal als Kind ge¬ fragt hatte: "Wie kommt es nur, liebe Mama, daß fast alle Tanten so ,ich weiß nicht wie' sind?" Und dabei hatte sie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch noch ein Paar seidene Handschuhe, die sie ganz be¬ sonders in Ehren hielt, und immer erst auf dem obersten Treppenabsatz anzog. Ihre Mitteilungen, an denen sies nie fehlen ließ, entbehrten all und jedes Interesses, am meisten aber dann, wenn sie, was sie sehr liebte, von hohen und höchsten Personen sprach. Ihre Spezialität waren die kleinen Prin¬
von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienſtag ein für allemal zu Mittag geladen war, und unter „zu Mit¬ tag“ pünktlicherweiſe zwölf Uhr verſtand, trotzdem ſie wußte, daß bei den Carayons erſt um drei Uhr gegeſſen wurde. Tante Marguerite, das war ihr Name, war noch eine echte Koloniefranzöſin, d. h. eine alte Dame, die das damalige, ſich faſt ausſchlie߬ lich im Dativ bewegende Berliniſch mit geprüntem Munde ſprach, das ü dem i vorzog, entweder „Kür¬ ſchen“ aß, oder in die „Kürche“ ging, und ihre Rede ſelbſtverſtändlich mit franzöſiſchen Einſchiebſeln und Anredefloskeln garnierte. Sauber und altmodiſch gekleidet, trug ſie Sommer und Winter denſelben kleinen Seidenmantel, und hatte jene halbe Verwach¬ ſenheit, die damals bei den alten Koloniedamen ſo allgemein war, daß Victoire einmal als Kind ge¬ fragt hatte: „Wie kommt es nur, liebe Mama, daß faſt alle Tanten ſo ,ich weiß nicht wie‘ ſind?“ Und dabei hatte ſie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch noch ein Paar ſeidene Handſchuhe, die ſie ganz be¬ ſonders in Ehren hielt, und immer erſt auf dem oberſten Treppenabſatz anzog. Ihre Mitteilungen, an denen ſies nie fehlen ließ, entbehrten all und jedes Intereſſes, am meiſten aber dann, wenn ſie, was ſie ſehr liebte, von hohen und höchſten Perſonen ſprach. Ihre Spezialität waren die kleinen Prin¬
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von Carayon, unterbrochen, die jeden Dienſtag ein für
allemal zu Mittag geladen war, und unter „zu Mit¬
tag“ pünktlicherweiſe zwölf Uhr verſtand, trotzdem
ſie wußte, daß bei den Carayons erſt um drei Uhr
gegeſſen wurde. Tante Marguerite, das war ihr
Name, war noch eine echte Koloniefranzöſin, d. h.
eine alte Dame, die das damalige, ſich faſt ausſchlie߬
lich im Dativ bewegende Berliniſch mit geprüntem
Munde ſprach, das ü dem i vorzog, entweder „Kür¬
ſchen“ aß, oder in die „Kürche“ ging, und ihre Rede
ſelbſtverſtändlich mit franzöſiſchen Einſchiebſeln und
Anredefloskeln garnierte. Sauber und altmodiſch
gekleidet, trug ſie Sommer und Winter denſelben
kleinen Seidenmantel, und hatte jene halbe Verwach¬
ſenheit, die damals bei den alten Koloniedamen ſo
allgemein war, daß Victoire einmal als Kind ge¬
fragt hatte: „Wie kommt es nur, liebe Mama, daß
faſt alle Tanten ſo ,ich weiß nicht wie‘ ſind?“ Und
dabei hatte ſie eine hohe Schulter gemacht. Zu dem
Seidenmantel Tante Margueritens gehörten auch
noch ein Paar ſeidene Handſchuhe, die ſie ganz be¬
ſonders in Ehren hielt, und immer erſt auf dem
oberſten Treppenabſatz anzog. Ihre Mitteilungen,
an denen ſies nie fehlen ließ, entbehrten all und
jedes Intereſſes, am meiſten aber dann, wenn ſie,
was ſie ſehr liebte, von hohen und höchſten Perſonen
ſprach. Ihre Spezialität waren die kleinen Prin¬
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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/52>, abgerufen am 22.07.2024.
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