Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883."Ich bekenne, daß es mir widerstrebt," sagte Vic¬ Es war Alvensleben, an den sich die Frage ge¬ "Pectus facit oratorem," versicherte Sander und „Ich bekenne, daß es mir widerſtrebt,“ ſagte Vic¬ Es war Alvensleben, an den ſich die Frage ge¬ „Pectus facit oratorem,“ verſicherte Sander und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0028" n="16"/> <p>„Ich bekenne, daß es mir widerſtrebt,“ ſagte Vic¬<lb/> toire, „die Geſtalt Luthers auf der Bühne zu ſehen.<lb/> Oder geh' ich darin zu weit?“</p><lb/> <p>Es war Alvensleben, an den ſich die Frage ge¬<lb/> richtet hatte. „Zu weit? O, meine teuerſte Victoire,<lb/> gewiß nicht. Sie ſprechen mir ganz aus dem Herzen.<lb/> Es ſind meine früheſten Erinnerungen, daß ich in<lb/> unſerer Dorfkirche ſaß, und mein alter Vater neben<lb/> mir, der alle Geſangbuchsverſe mitſang. Und links<lb/> neben dem Altar, da hing unſer Martin Luther in<lb/> ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf<lb/> gelegt, ein lebensvolles Bild, und ſah zu mir herüber.<lb/> Ich darf ſagen, daß dies ernſte Mannesgeſicht an<lb/> manchem Sonntage beſſer und eindringlicher zu mir<lb/> gepredigt hat als unſer alter Kluckhuhn, der zwar<lb/> dieſelben hohen Backenknochen und dieſelben weißen<lb/> Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter<lb/> nichts. Und dieſen Gottesmann, nach dem wir uns<lb/> nennen und unterſcheiden, und zu dem ich nie anders<lb/> als in Ehrfurcht und Andacht aufgeſchaut habe, den<lb/> will ich nicht aus den Kouliſſen oder aus einer Hinter¬<lb/> thür treten ſehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn giebt,<lb/> den ich übrigens ſchätze, nicht blos als Künſtler, ſon¬<lb/> dern auch als Mann von Grundſätzen und guter<lb/> preußiſcher Geſinnung.“</p><lb/> <p>„<hi rendition="#aq">Pectus facit oratorem</hi>,“ verſicherte Sander und<lb/> Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [16/0028]
„Ich bekenne, daß es mir widerſtrebt,“ ſagte Vic¬
toire, „die Geſtalt Luthers auf der Bühne zu ſehen.
Oder geh' ich darin zu weit?“
Es war Alvensleben, an den ſich die Frage ge¬
richtet hatte. „Zu weit? O, meine teuerſte Victoire,
gewiß nicht. Sie ſprechen mir ganz aus dem Herzen.
Es ſind meine früheſten Erinnerungen, daß ich in
unſerer Dorfkirche ſaß, und mein alter Vater neben
mir, der alle Geſangbuchsverſe mitſang. Und links
neben dem Altar, da hing unſer Martin Luther in
ganzer Figur, die Bibel im Arm, die Rechte darauf
gelegt, ein lebensvolles Bild, und ſah zu mir herüber.
Ich darf ſagen, daß dies ernſte Mannesgeſicht an
manchem Sonntage beſſer und eindringlicher zu mir
gepredigt hat als unſer alter Kluckhuhn, der zwar
dieſelben hohen Backenknochen und dieſelben weißen
Päffchen hatte wie der Reformator, aber auch weiter
nichts. Und dieſen Gottesmann, nach dem wir uns
nennen und unterſcheiden, und zu dem ich nie anders
als in Ehrfurcht und Andacht aufgeſchaut habe, den
will ich nicht aus den Kouliſſen oder aus einer Hinter¬
thür treten ſehen. Auch nicht, wenn Iffland ihn giebt,
den ich übrigens ſchätze, nicht blos als Künſtler, ſon¬
dern auch als Mann von Grundſätzen und guter
preußiſcher Geſinnung.“
„Pectus facit oratorem,“ verſicherte Sander und
Victoire jubelte. Bülow aber, der nicht gern neue
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