Und wirklich, als er sich orientiert hatte, sah er, daß sein erstes Gefühl ein richtiges gewesen war. Unter einem Thronhimmel saß der persische Schach, er¬ kennbar an seiner hohen Lammfellmütze, während an der untersten Thronstufe zwei weibliche Gestalten standen und des Augenblicks harrten, wo der von seiner Höhe her kalt und vornehm Dreinschauende seine Wahl zwischen ihnen getroffen haben würde. Der persische Schach aber war einfach unser Schach und zwar in allerfrappantester Porträtähnlichkeit, während die beiden ihn fragend anblickenden, und um vieles flüchtiger skizzierten Frauenköpfe, wenigstens ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und Victoire mit aller Leichtigkeit erkennen zu lassen. Also nicht mehr und nicht weniger als eine Karrikatur. Sein Verhältnis zu den Carayons hatte sich in der Stadt herumgesprochen und einer seiner Neider und Gegner, deren er nur zu viele hatte, hatte die Gelegen¬ heit ergriffen, seinem boshaften Gelüst ein Genüge zu thun.
Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut stieg ihm zu Kopf, und es war ihm, als würd er vom Schlage getroffen.
Einem natürlichen Verlangen nach Luft und Be¬ wegung folgend, oder vielleicht auch von der Ahnung erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht abgeschossen sei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu
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Und wirklich, als er ſich orientiert hatte, ſah er, daß ſein erſtes Gefühl ein richtiges geweſen war. Unter einem Thronhimmel ſaß der perſiſche Schach, er¬ kennbar an ſeiner hohen Lammfellmütze, während an der unterſten Thronſtufe zwei weibliche Geſtalten ſtanden und des Augenblicks harrten, wo der von ſeiner Höhe her kalt und vornehm Dreinſchauende ſeine Wahl zwiſchen ihnen getroffen haben würde. Der perſiſche Schach aber war einfach unſer Schach und zwar in allerfrappanteſter Porträtähnlichkeit, während die beiden ihn fragend anblickenden, und um vieles flüchtiger ſkizzierten Frauenköpfe, wenigſtens ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und Victoire mit aller Leichtigkeit erkennen zu laſſen. Alſo nicht mehr und nicht weniger als eine Karrikatur. Sein Verhältnis zu den Carayons hatte ſich in der Stadt herumgeſprochen und einer ſeiner Neider und Gegner, deren er nur zu viele hatte, hatte die Gelegen¬ heit ergriffen, ſeinem boshaften Gelüſt ein Genüge zu thun.
Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut ſtieg ihm zu Kopf, und es war ihm, als würd er vom Schlage getroffen.
Einem natürlichen Verlangen nach Luft und Be¬ wegung folgend, oder vielleicht auch von der Ahnung erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht abgeſchoſſen ſei, nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu
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Und wirklich, als er ſich orientiert hatte, ſah er, daß
ſein erſtes Gefühl ein richtiges geweſen war. Unter
einem Thronhimmel ſaß der perſiſche Schach, er¬
kennbar an ſeiner hohen Lammfellmütze, während an
der unterſten Thronſtufe zwei weibliche Geſtalten
ſtanden und des Augenblicks harrten, wo der von
ſeiner Höhe her kalt und vornehm Dreinſchauende
ſeine Wahl zwiſchen ihnen getroffen haben würde.
Der perſiſche Schach aber war einfach unſer Schach
und zwar in allerfrappanteſter Porträtähnlichkeit,
während die beiden ihn fragend anblickenden, und um
vieles flüchtiger ſkizzierten Frauenköpfe, wenigſtens
ähnlich genug waren, um Frau von Carayon und
Victoire mit aller Leichtigkeit erkennen zu laſſen. Alſo
nicht mehr und nicht weniger als eine Karrikatur.
Sein Verhältnis zu den Carayons hatte ſich in der
Stadt herumgeſprochen und einer ſeiner Neider und
Gegner, deren er nur zu viele hatte, hatte die Gelegen¬
heit ergriffen, ſeinem boshaften Gelüſt ein Genüge
zu thun.
Schach zitterte vor Scham und Zorn, alles Blut
ſtieg ihm zu Kopf, und es war ihm, als würd er
vom Schlage getroffen.
Einem natürlichen Verlangen nach Luft und Be¬
wegung folgend, oder vielleicht auch von der Ahnung
erfüllt, daß der letzte Pfeil noch nicht abgeſchoſſen ſei,
nahm er Hut und Degen, um einen Spaziergang zu
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Fontane, Theodor: Schach von Wuthenow. Leipzig, 1883, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_wuthenow_1883/157>, abgerufen am 22.07.2024.
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