Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.ein Mädchen und führte das Ruder mit Kraft und Geschick. Schon glitt der Kahn in die schmale Bucht hinein und fuhr unter der Wucht eines letzten Ruderstoßes weit das Kiesufer hinauf, als das Mädchen, plötzlich einen Fremden statt des Freundes gewahrend, mit rascher Geistesgegenwart das Ruder in umgekehrter Richtung gegen das Ufer stieß, und die Kraft des ersten Stoßes brechend, wieder weit hinaus auf den See schoß. Sie war gesichert vor jedem Ueberfall, und jetzt begann ein Gespräch zwischen dem Könige am Ufer und dem Mädchen im Boot; eine Unterredung, die alsbald dahin führte, daß der König in's Boot stieg und als ein Verirrter und Hülfebedürftiger nach Ellen-Eiland hinüber gerudert wurde. Nur Frauen und Diener waren im Haus, die Männer abwesend auf Kundschaft oder Kampf. Auf duftigem Haidekraut, frisch gepflückt auf den Bergen, wurde dem Könige das Lager gemacht, der am andern Morgen, unerkannt, aber bezaubert von der Insel, dem patriarchalischen Haushalt und vor allem von dem Reiz und der Schönheit des Mädchens, die Insel verließ. Dieses Mädchen war Ellen Douglas, die Tochter jenes stolzen Douglas, gegen den sich zumeist der Zorn des Königs und jene Aechtungsformel gerichtet hatte, die jeden Douglas bei Todesstrafe aus den Grenzen Schottlands verbannte. Die Verbannung war ausgesprochen worden, aber die Liebe, mit der der alte William Douglas an seinem Lande hing, hatte ihn allem könig- ein Mädchen und führte das Ruder mit Kraft und Geschick. Schon glitt der Kahn in die schmale Bucht hinein und fuhr unter der Wucht eines letzten Ruderstoßes weit das Kiesufer hinauf, als das Mädchen, plötzlich einen Fremden statt des Freundes gewahrend, mit rascher Geistesgegenwart das Ruder in umgekehrter Richtung gegen das Ufer stieß, und die Kraft des ersten Stoßes brechend, wieder weit hinaus auf den See schoß. Sie war gesichert vor jedem Ueberfall, und jetzt begann ein Gespräch zwischen dem Könige am Ufer und dem Mädchen im Boot; eine Unterredung, die alsbald dahin führte, daß der König in’s Boot stieg und als ein Verirrter und Hülfebedürftiger nach Ellen-Eiland hinüber gerudert wurde. Nur Frauen und Diener waren im Haus, die Männer abwesend auf Kundschaft oder Kampf. Auf duftigem Haidekraut, frisch gepflückt auf den Bergen, wurde dem Könige das Lager gemacht, der am andern Morgen, unerkannt, aber bezaubert von der Insel, dem patriarchalischen Haushalt und vor allem von dem Reiz und der Schönheit des Mädchens, die Insel verließ. Dieses Mädchen war Ellen Douglas, die Tochter jenes stolzen Douglas, gegen den sich zumeist der Zorn des Königs und jene Aechtungsformel gerichtet hatte, die jeden Douglas bei Todesstrafe aus den Grenzen Schottlands verbannte. Die Verbannung war ausgesprochen worden, aber die Liebe, mit der der alte William Douglas an seinem Lande hing, hatte ihn allem könig- <TEI> <text> <body> <div> <div> <div> <p><pb facs="#f0193" n="179"/> ein Mädchen und führte das Ruder mit Kraft und Geschick. Schon glitt der Kahn in die schmale Bucht hinein und fuhr unter der Wucht eines letzten Ruderstoßes weit das Kiesufer hinauf, als das Mädchen, plötzlich einen Fremden statt des Freundes gewahrend, mit rascher Geistesgegenwart das Ruder in umgekehrter Richtung gegen das Ufer stieß, und die Kraft des ersten Stoßes brechend, wieder weit hinaus auf den See schoß. </p><lb/> <p>Sie war gesichert vor jedem Ueberfall, und jetzt begann ein Gespräch zwischen dem Könige am Ufer und dem Mädchen im Boot; eine Unterredung, die alsbald dahin führte, daß der König in’s Boot stieg und als ein Verirrter und Hülfebedürftiger nach Ellen-Eiland hinüber gerudert wurde. Nur Frauen und Diener waren im Haus, die Männer abwesend auf Kundschaft oder Kampf. Auf duftigem Haidekraut, frisch gepflückt auf den Bergen, wurde dem Könige das Lager gemacht, der am andern Morgen, unerkannt, aber bezaubert von der Insel, dem patriarchalischen Haushalt und vor allem von dem Reiz und der Schönheit des Mädchens, die Insel verließ. </p><lb/> <p>Dieses Mädchen war Ellen Douglas, die Tochter jenes stolzen Douglas, gegen den sich zumeist der Zorn des Königs und jene Aechtungsformel gerichtet hatte, die jeden Douglas bei Todesstrafe aus den Grenzen Schottlands verbannte. Die Verbannung war ausgesprochen worden, aber die Liebe, mit der der alte William Douglas an seinem Lande hing, hatte ihn allem könig-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [179/0193]
ein Mädchen und führte das Ruder mit Kraft und Geschick. Schon glitt der Kahn in die schmale Bucht hinein und fuhr unter der Wucht eines letzten Ruderstoßes weit das Kiesufer hinauf, als das Mädchen, plötzlich einen Fremden statt des Freundes gewahrend, mit rascher Geistesgegenwart das Ruder in umgekehrter Richtung gegen das Ufer stieß, und die Kraft des ersten Stoßes brechend, wieder weit hinaus auf den See schoß.
Sie war gesichert vor jedem Ueberfall, und jetzt begann ein Gespräch zwischen dem Könige am Ufer und dem Mädchen im Boot; eine Unterredung, die alsbald dahin führte, daß der König in’s Boot stieg und als ein Verirrter und Hülfebedürftiger nach Ellen-Eiland hinüber gerudert wurde. Nur Frauen und Diener waren im Haus, die Männer abwesend auf Kundschaft oder Kampf. Auf duftigem Haidekraut, frisch gepflückt auf den Bergen, wurde dem Könige das Lager gemacht, der am andern Morgen, unerkannt, aber bezaubert von der Insel, dem patriarchalischen Haushalt und vor allem von dem Reiz und der Schönheit des Mädchens, die Insel verließ.
Dieses Mädchen war Ellen Douglas, die Tochter jenes stolzen Douglas, gegen den sich zumeist der Zorn des Königs und jene Aechtungsformel gerichtet hatte, die jeden Douglas bei Todesstrafe aus den Grenzen Schottlands verbannte. Die Verbannung war ausgesprochen worden, aber die Liebe, mit der der alte William Douglas an seinem Lande hing, hatte ihn allem könig-
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/193>, abgerufen am 22.07.2024. |