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Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860.

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der Nachricht, daß über Nacht in Canongate ein heftiges Feuer ausgebrochen sei; das ganze Haus sei zerstört und die Tochter des Lords Ravendale in den Flammen umgekommen. Für den Geistlichen war kein Zweifel, daß dies dasselbe Haus sei, in dem er die Nacht vorher die Sterbegebete gesprochen hatte; aber die Furcht hielt ihn ab zu reden und als Kläger aufzutreten. Dennoch blieben die Vorgänge jener Nacht nicht ganz verschwiegen und nachdem, ziemlich ein Menschenalter später, der Geistliche gestorben war, fehlte es nicht an Personen, die von der Geschichte, wenigstens gerüchtweise Kenntniß hatten. Dies Gerücht fand später eine gespenstische Bestätigung. An derselben Stelle, wo das Haus in Canongate niedergebrannt war, hatte man bald nachher ein neues Gebäude errichtet. Viele Jahre waren seitdem vergangen, der Geistliche längst todt, das neue Haus war fast wieder ein altes geworden; da brach ein zweites Mal Feuer an derselben Stelle aus. Als die Flammen die höchste Höhe erreicht hatten, wurde der Tumult, der wie gewöhnlich in den benachbarten Straßen herrschte, plötzlich durch eine Erscheinung unterbrochen. Eine schöne Frauengestalt, in reiche Nachtgewänder gekleidet, erschien mitten in den Flammen, und rief laut in die Stadt hinein:

Einmal verbrannt, zweimal verbrannt,

Das dritte Mal brennen Stadt und Land.

Der Eindruck dieser Worte war so mächtig, daß, wenn in späteren Jahren noch, ein Feuer in der Nähe von Canongate ausbrach, die größten Anstrengungen ge-

der Nachricht, daß über Nacht in Canongate ein heftiges Feuer ausgebrochen sei; das ganze Haus sei zerstört und die Tochter des Lords Ravendale in den Flammen umgekommen. Für den Geistlichen war kein Zweifel, daß dies dasselbe Haus sei, in dem er die Nacht vorher die Sterbegebete gesprochen hatte; aber die Furcht hielt ihn ab zu reden und als Kläger aufzutreten. Dennoch blieben die Vorgänge jener Nacht nicht ganz verschwiegen und nachdem, ziemlich ein Menschenalter später, der Geistliche gestorben war, fehlte es nicht an Personen, die von der Geschichte, wenigstens gerüchtweise Kenntniß hatten. Dies Gerücht fand später eine gespenstische Bestätigung. An derselben Stelle, wo das Haus in Canongate niedergebrannt war, hatte man bald nachher ein neues Gebäude errichtet. Viele Jahre waren seitdem vergangen, der Geistliche längst todt, das neue Haus war fast wieder ein altes geworden; da brach ein zweites Mal Feuer an derselben Stelle aus. Als die Flammen die höchste Höhe erreicht hatten, wurde der Tumult, der wie gewöhnlich in den benachbarten Straßen herrschte, plötzlich durch eine Erscheinung unterbrochen. Eine schöne Frauengestalt, in reiche Nachtgewänder gekleidet, erschien mitten in den Flammen, und rief laut in die Stadt hinein:

Einmal verbrannt, zweimal verbrannt,

Das dritte Mal brennen Stadt und Land.

Der Eindruck dieser Worte war so mächtig, daß, wenn in späteren Jahren noch, ein Feuer in der Nähe von Canongate ausbrach, die größten Anstrengungen ge-

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[104/0118] der Nachricht, daß über Nacht in Canongate ein heftiges Feuer ausgebrochen sei; das ganze Haus sei zerstört und die Tochter des Lords Ravendale in den Flammen umgekommen. Für den Geistlichen war kein Zweifel, daß dies dasselbe Haus sei, in dem er die Nacht vorher die Sterbegebete gesprochen hatte; aber die Furcht hielt ihn ab zu reden und als Kläger aufzutreten. Dennoch blieben die Vorgänge jener Nacht nicht ganz verschwiegen und nachdem, ziemlich ein Menschenalter später, der Geistliche gestorben war, fehlte es nicht an Personen, die von der Geschichte, wenigstens gerüchtweise Kenntniß hatten. Dies Gerücht fand später eine gespenstische Bestätigung. An derselben Stelle, wo das Haus in Canongate niedergebrannt war, hatte man bald nachher ein neues Gebäude errichtet. Viele Jahre waren seitdem vergangen, der Geistliche längst todt, das neue Haus war fast wieder ein altes geworden; da brach ein zweites Mal Feuer an derselben Stelle aus. Als die Flammen die höchste Höhe erreicht hatten, wurde der Tumult, der wie gewöhnlich in den benachbarten Straßen herrschte, plötzlich durch eine Erscheinung unterbrochen. Eine schöne Frauengestalt, in reiche Nachtgewänder gekleidet, erschien mitten in den Flammen, und rief laut in die Stadt hinein: Einmal verbrannt, zweimal verbrannt, Das dritte Mal brennen Stadt und Land. Der Eindruck dieser Worte war so mächtig, daß, wenn in späteren Jahren noch, ein Feuer in der Nähe von Canongate ausbrach, die größten Anstrengungen ge-

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen, Theodor Fontane: Große Brandenburger Ausgabe (GBA): Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). (2018-07-25T15:22:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Alexandra Priesterath, Christian Thomas, Linda Martin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-07-25T15:22:45Z)

Weitere Informationen:

Theodor Fontane: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Hrsg. von Maren Ermisch. Berlin 2017 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das reiseliterarische Werk, Bd. 2]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin).

Der Text der Ausgabe wird hier ergänzt um das Kapitel „Lochleven-Castle“, das aus verlagstechnischen Gründen in der Erstausgabe fehlte (vgl. dazu die entsprechenden Informationen auf der Seite der Theodor Fontane-Arbeitsstelle der Georg-August-Universität Göttingen). Die dazugehörigen Faksimiles, 0331 bis 0333, wurden von Seiten der Österreichischen Nationalbibliothek übernommen.

Verfahren der Texterfassung: manuell (einfach erfasst).

  • Bogensignaturen: nicht übernommen;
  • Druckfehler: dokumentiert;
  • fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;
  • Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe;
  • Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet;
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  • Kustoden: keine Angabe;
  • langes s (ſ): als s transkribiert;
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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Jenseit des Tweed. Bilder und Briefe aus Schottland. Berlin, 1860, S. 104. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_tweed_1860/118>, abgerufen am 22.12.2024.