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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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er sich dran. Und dann ist ja auch gleich wieder die
Verführung da. Gott, daß man gerade immer über solche
Dinge reden muß; noch keine Stunde, daß ich mit dem
Herrn Hauptmann über unsern Volontär Vehmeyer ge¬
sprochen habe, netter Mensch, und nun gleich wieder mit
Ihnen, Herr Pastor, auch über so was. Aber es geht
nicht anders. Und dann sind Sie ja doch auch wie ver¬
antwortlich für seine Seele."

Lorenzen lächelte. "Gewiß, liebe Frau von Gunder¬
mann. Aber was ist es denn? Um was handelt es sich
denn eigentlich?"

"Ach, es ist an und für sich nicht viel und doch auch
wieder eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt
die Jüngste von unserm Schullehrer Brandt ins Haus
genommen, ein hübsches Balg, rotbraun und ganz kraus,
und Brandt wollte, sie solle bei uns angelernt werden.
Nun, wir sind kein großes Haus, gewiß nicht, aber Mäntel
abnehmen und 'rumpräsentieren, und daß sie weiß, ob
links oder rechts, so viel lernt sie am Ende doch."

"Gewiß. Und die Frida Brandt, o, die kenn ich
ganz gut; die wurde jetzt gerade vorm Jahr eingesegnet.
Und es ist, wie Sie sagen, ein allerliebstes Geschöpf und
klug und aufgekratzt, ein bißchen zu sehr. Sie will zu
Ostern nach Berlin."

"Wenn sie nur erst da wäre. Mir thut es beinahe
schon leid, daß ich ihr nicht gleich zugeredet. Aber so
geht es einem immer."

"Ist denn was vorgefallen?"

"Vorgefallen? Das will ich nicht sagen. Er is ja
doch erst sechzehn und eine Dusche dazu, gerade wie sein
Vater; der hat sich auch erst rausgemausert, seit er grau
geworden. Was beiläufig auch nicht gut ist. Und da
komme ich nun gestern vormittag die Treppe 'rauf und
will dem Jungen sagen, daß er in den Dohnenstrich geht
und nachsieht, ob Krammetsvögel da sind, und die Thür

er ſich dran. Und dann iſt ja auch gleich wieder die
Verführung da. Gott, daß man gerade immer über ſolche
Dinge reden muß; noch keine Stunde, daß ich mit dem
Herrn Hauptmann über unſern Volontär Vehmeyer ge¬
ſprochen habe, netter Menſch, und nun gleich wieder mit
Ihnen, Herr Paſtor, auch über ſo was. Aber es geht
nicht anders. Und dann ſind Sie ja doch auch wie ver¬
antwortlich für ſeine Seele.“

Lorenzen lächelte. „Gewiß, liebe Frau von Gunder¬
mann. Aber was iſt es denn? Um was handelt es ſich
denn eigentlich?“

„Ach, es iſt an und für ſich nicht viel und doch auch
wieder eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt
die Jüngſte von unſerm Schullehrer Brandt ins Haus
genommen, ein hübſches Balg, rotbraun und ganz kraus,
und Brandt wollte, ſie ſolle bei uns angelernt werden.
Nun, wir ſind kein großes Haus, gewiß nicht, aber Mäntel
abnehmen und 'rumpräſentieren, und daß ſie weiß, ob
links oder rechts, ſo viel lernt ſie am Ende doch.“

„Gewiß. Und die Frida Brandt, o, die kenn ich
ganz gut; die wurde jetzt gerade vorm Jahr eingeſegnet.
Und es iſt, wie Sie ſagen, ein allerliebſtes Geſchöpf und
klug und aufgekratzt, ein bißchen zu ſehr. Sie will zu
Oſtern nach Berlin.“

„Wenn ſie nur erſt da wäre. Mir thut es beinahe
ſchon leid, daß ich ihr nicht gleich zugeredet. Aber ſo
geht es einem immer.“

„Iſt denn was vorgefallen?“

„Vorgefallen? Das will ich nicht ſagen. Er is ja
doch erſt ſechzehn und eine Duſche dazu, gerade wie ſein
Vater; der hat ſich auch erſt rausgemauſert, ſeit er grau
geworden. Was beiläufig auch nicht gut iſt. Und da
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und nachſieht, ob Krammetsvögel da ſind, und die Thür

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[46/0053] er ſich dran. Und dann iſt ja auch gleich wieder die Verführung da. Gott, daß man gerade immer über ſolche Dinge reden muß; noch keine Stunde, daß ich mit dem Herrn Hauptmann über unſern Volontär Vehmeyer ge¬ ſprochen habe, netter Menſch, und nun gleich wieder mit Ihnen, Herr Paſtor, auch über ſo was. Aber es geht nicht anders. Und dann ſind Sie ja doch auch wie ver¬ antwortlich für ſeine Seele.“ Lorenzen lächelte. „Gewiß, liebe Frau von Gunder¬ mann. Aber was iſt es denn? Um was handelt es ſich denn eigentlich?“ „Ach, es iſt an und für ſich nicht viel und doch auch wieder eine recht ärgerliche Sache. Da haben wir ja jetzt die Jüngſte von unſerm Schullehrer Brandt ins Haus genommen, ein hübſches Balg, rotbraun und ganz kraus, und Brandt wollte, ſie ſolle bei uns angelernt werden. Nun, wir ſind kein großes Haus, gewiß nicht, aber Mäntel abnehmen und 'rumpräſentieren, und daß ſie weiß, ob links oder rechts, ſo viel lernt ſie am Ende doch.“ „Gewiß. Und die Frida Brandt, o, die kenn ich ganz gut; die wurde jetzt gerade vorm Jahr eingeſegnet. Und es iſt, wie Sie ſagen, ein allerliebſtes Geſchöpf und klug und aufgekratzt, ein bißchen zu ſehr. Sie will zu Oſtern nach Berlin.“ „Wenn ſie nur erſt da wäre. Mir thut es beinahe ſchon leid, daß ich ihr nicht gleich zugeredet. Aber ſo geht es einem immer.“ „Iſt denn was vorgefallen?“ „Vorgefallen? Das will ich nicht ſagen. Er is ja doch erſt ſechzehn und eine Duſche dazu, gerade wie ſein Vater; der hat ſich auch erſt rausgemauſert, ſeit er grau geworden. Was beiläufig auch nicht gut iſt. Und da komme ich nun geſtern vormittag die Treppe 'rauf und will dem Jungen ſagen, daß er in den Dohnenſtrich geht und nachſieht, ob Krammetsvögel da ſind, und die Thür

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/53>, abgerufen am 07.05.2024.