Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

Bild:
<< vorherige Seite

Ruhe in der Kammer.' Diesen Weg zu wandeln, war
das Bestreben dessen, an dessen Sarge wir hier stehn.
Ich gebe kein Bild seines Lebens, denn wie dies Leben
war, es wissen's alle, die hier erschienen sind. Sein
Leben lag aufgeschlagen da, nichts verbarg sich, weil
sich nichts zu verbergen brauchte. Sah man ihn, so
schien er ein Alter, auch in dem, wie er Zeit und Leben
ansah; aber für die, die sein wahres Wesen kannten,
war er kein Alter, freilich auch kein Neuer. Er hatte
vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt,
was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz.
Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann nach
der Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem
alles Beste umschließenden Etwas, das Gesinnung heißt.
Er war recht eigentlich frei. Wußt' es auch, wenn er's
auch oft bestritt. Das goldene Kalb anbeten, war nicht
seine Sache. Daher kam es auch, daß er vor dem,
was das Leben so vieler andrer verdirbt und unglück¬
lich macht, bewahrt blieb, vor Neid und bösem Leumund.
Er hatte keine Feinde, weil er selber keines Menschen
Feind war. Er war die Güte selbst, die Verkörperung
des alten Weisheitssatzes: ,Was du nicht willst, daß man
dir thu'.

"Und das leitet mich denn auch hinüber auf die
Frage nach seinem Bekenntnis. Er hatte davon weniger
das Wort, als das Thun. Er hielt es mit den guten
Werken und war recht eigentlich das, was wir über¬
haupt einen Christen nennen sollten. Denn er hatte
die Liebe. Nichts Menschliches war ihm fremd, weil er
sich selbst als Mensch empfand und sich eigner mensch¬
licher Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was einst
unser Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und
an das er die Segensverheißung geknüpft hat, -- all
das war sein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die
Lauterkeit des Herzens. Er war das Beste, was wir

Ruhe in der Kammer.‘ Dieſen Weg zu wandeln, war
das Beſtreben deſſen, an deſſen Sarge wir hier ſtehn.
Ich gebe kein Bild ſeines Lebens, denn wie dies Leben
war, es wiſſen's alle, die hier erſchienen ſind. Sein
Leben lag aufgeſchlagen da, nichts verbarg ſich, weil
ſich nichts zu verbergen brauchte. Sah man ihn, ſo
ſchien er ein Alter, auch in dem, wie er Zeit und Leben
anſah; aber für die, die ſein wahres Weſen kannten,
war er kein Alter, freilich auch kein Neuer. Er hatte
vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt,
was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz.
Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann nach
der Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem
alles Beſte umſchließenden Etwas, das Geſinnung heißt.
Er war recht eigentlich frei. Wußt' es auch, wenn er's
auch oft beſtritt. Das goldene Kalb anbeten, war nicht
ſeine Sache. Daher kam es auch, daß er vor dem,
was das Leben ſo vieler andrer verdirbt und unglück¬
lich macht, bewahrt blieb, vor Neid und böſem Leumund.
Er hatte keine Feinde, weil er ſelber keines Menſchen
Feind war. Er war die Güte ſelbſt, die Verkörperung
des alten Weisheitsſatzes: ‚Was du nicht willſt, daß man
dir thu‘.

„Und das leitet mich denn auch hinüber auf die
Frage nach ſeinem Bekenntnis. Er hatte davon weniger
das Wort, als das Thun. Er hielt es mit den guten
Werken und war recht eigentlich das, was wir über¬
haupt einen Chriſten nennen ſollten. Denn er hatte
die Liebe. Nichts Menſchliches war ihm fremd, weil er
ſich ſelbſt als Menſch empfand und ſich eigner menſch¬
licher Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was einſt
unſer Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und
an das er die Segensverheißung geknüpft hat, — all
das war ſein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die
Lauterkeit des Herzens. Er war das Beſte, was wir

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0508" n="501"/>
Ruhe in der Kammer.&#x2018; Die&#x017F;en Weg zu wandeln, war<lb/>
das Be&#x017F;treben de&#x017F;&#x017F;en, an de&#x017F;&#x017F;en Sarge wir hier &#x017F;tehn.<lb/>
Ich gebe kein Bild &#x017F;eines Lebens, denn wie dies Leben<lb/>
war, es wi&#x017F;&#x017F;en's alle, die hier er&#x017F;chienen &#x017F;ind. Sein<lb/>
Leben lag aufge&#x017F;chlagen da, nichts verbarg &#x017F;ich, weil<lb/>
&#x017F;ich nichts zu verbergen brauchte. Sah man ihn, &#x017F;o<lb/>
&#x017F;chien er ein Alter, auch in dem, wie er Zeit und Leben<lb/>
an&#x017F;ah; aber für die, die &#x017F;ein wahres We&#x017F;en kannten,<lb/>
war er kein Alter, freilich auch kein Neuer. Er hatte<lb/>
vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt,<lb/>
was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz.<lb/>
Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann nach<lb/>
der Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem<lb/>
alles Be&#x017F;te um&#x017F;chließenden Etwas, das Ge&#x017F;innung heißt.<lb/>
Er war recht eigentlich frei. Wußt' es auch, wenn er's<lb/>
auch oft be&#x017F;tritt. Das goldene Kalb anbeten, war nicht<lb/>
&#x017F;eine Sache. Daher kam es auch, daß er vor dem,<lb/>
was das Leben &#x017F;o vieler andrer verdirbt und unglück¬<lb/>
lich macht, bewahrt blieb, vor Neid und bö&#x017F;em Leumund.<lb/>
Er hatte keine Feinde, weil er &#x017F;elber keines Men&#x017F;chen<lb/>
Feind war. Er war die Güte &#x017F;elb&#x017F;t, die Verkörperung<lb/>
des alten Weisheits&#x017F;atzes: &#x201A;Was du nicht will&#x017F;t, daß man<lb/>
dir thu&#x2018;.</p><lb/>
          <p>&#x201E;Und das leitet mich denn auch hinüber auf die<lb/>
Frage nach &#x017F;einem Bekenntnis. Er hatte davon weniger<lb/>
das Wort, als das Thun. Er hielt es mit den guten<lb/>
Werken und war recht eigentlich das, was wir über¬<lb/>
haupt einen Chri&#x017F;ten nennen &#x017F;ollten. Denn er hatte<lb/>
die Liebe. Nichts Men&#x017F;chliches war ihm fremd, weil er<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t als Men&#x017F;ch empfand und &#x017F;ich eigner men&#x017F;ch¬<lb/>
licher Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was ein&#x017F;t<lb/>
un&#x017F;er Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und<lb/>
an das er die Segensverheißung geknüpft hat, &#x2014; all<lb/>
das war &#x017F;ein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die<lb/>
Lauterkeit des Herzens. Er war das Be&#x017F;te, was wir<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[501/0508] Ruhe in der Kammer.‘ Dieſen Weg zu wandeln, war das Beſtreben deſſen, an deſſen Sarge wir hier ſtehn. Ich gebe kein Bild ſeines Lebens, denn wie dies Leben war, es wiſſen's alle, die hier erſchienen ſind. Sein Leben lag aufgeſchlagen da, nichts verbarg ſich, weil ſich nichts zu verbergen brauchte. Sah man ihn, ſo ſchien er ein Alter, auch in dem, wie er Zeit und Leben anſah; aber für die, die ſein wahres Weſen kannten, war er kein Alter, freilich auch kein Neuer. Er hatte vielmehr das, was über alles Zeitliche hinaus liegt, was immer gilt und immer gelten wird: ein Herz. Er war kein Programmedelmann, kein Edelmann nach der Schablone, wohl aber ein Edelmann nach jenem alles Beſte umſchließenden Etwas, das Geſinnung heißt. Er war recht eigentlich frei. Wußt' es auch, wenn er's auch oft beſtritt. Das goldene Kalb anbeten, war nicht ſeine Sache. Daher kam es auch, daß er vor dem, was das Leben ſo vieler andrer verdirbt und unglück¬ lich macht, bewahrt blieb, vor Neid und böſem Leumund. Er hatte keine Feinde, weil er ſelber keines Menſchen Feind war. Er war die Güte ſelbſt, die Verkörperung des alten Weisheitsſatzes: ‚Was du nicht willſt, daß man dir thu‘. „Und das leitet mich denn auch hinüber auf die Frage nach ſeinem Bekenntnis. Er hatte davon weniger das Wort, als das Thun. Er hielt es mit den guten Werken und war recht eigentlich das, was wir über¬ haupt einen Chriſten nennen ſollten. Denn er hatte die Liebe. Nichts Menſchliches war ihm fremd, weil er ſich ſelbſt als Menſch empfand und ſich eigner menſch¬ licher Schwäche jederzeit bewußt war. Alles, was einſt unſer Herr und Heiland gepredigt und gerühmt, und an das er die Segensverheißung geknüpft hat, — all das war ſein: Friedfertigkeit, Barmherzigkeit und die Lauterkeit des Herzens. Er war das Beſte, was wir

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/508
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/508>, abgerufen am 25.11.2024.