den er sonst wenig erinnerte -- herausgeklügelt, daß Überraschung und Schreck bei seinem Plan mitwirken müßten.
Agnes schlief in einer nebenan aufgestellten eisernen Bettstelle. Dubslav, gerade so wie seine Schwester, hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei seinem Erscheinen im Herrenhause gar nicht mehr gesehen; es trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille, dazu Knöpfstiefel und lange rote Strümpfe, -- lauter Dinge, die Karline schon zu letzten Weihnachten geschenkt hatte. Gleich damals, am ersten Feiertag, hatte das Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß so still für sich, weil sie sich genierte, sich im Dorfe damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo sie bei dem gnäd'gen Herrn in Krankenpflege gehen sollte, jetzt war die richtige Zeit dafür da.
Die Nacht verging still; niemand war gestört worden. Um sieben erst kam Engelke und sagte: "Nu, lütt Deern, steih upp, is all seben." Agnes war auch wirklich wie der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas gekraustes langes Blondhaar, putzte sich wie ein Kätzchen, und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfstiefel an. Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee, und als sie damit fertig war, nahm sie ihr Strickzeug und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav bereits in seinem Lehnstuhl saß und auf seine Schwester wartete. Denn um acht nahmen sie das erste Frühstück gemeinschaftlich.
"So, Agnes, das is recht, daß du da bist. Hast du denn schon deinen Kaffee gehabt?"
Agnes knickste.
"Nu setz dich da mal ans Fenster, daß du bei deiner Arbeit besser sehn kannst; du hast ja schon dein
den er ſonſt wenig erinnerte — herausgeklügelt, daß Überraſchung und Schreck bei ſeinem Plan mitwirken müßten.
Agnes ſchlief in einer nebenan aufgeſtellten eiſernen Bettſtelle. Dubslav, gerade ſo wie ſeine Schweſter, hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei ſeinem Erſcheinen im Herrenhauſe gar nicht mehr geſehen; es trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille, dazu Knöpfſtiefel und lange rote Strümpfe, — lauter Dinge, die Karline ſchon zu letzten Weihnachten geſchenkt hatte. Gleich damals, am erſten Feiertag, hatte das Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß ſo ſtill für ſich, weil ſie ſich genierte, ſich im Dorfe damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo ſie bei dem gnäd'gen Herrn in Krankenpflege gehen ſollte, jetzt war die richtige Zeit dafür da.
Die Nacht verging ſtill; niemand war geſtört worden. Um ſieben erſt kam Engelke und ſagte: „Nu, lütt Deern, ſteih upp, is all ſeben.“ Agnes war auch wirklich wie der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas gekrauſtes langes Blondhaar, putzte ſich wie ein Kätzchen, und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfſtiefel an. Gleich danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee, und als ſie damit fertig war, nahm ſie ihr Strickzeug und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav bereits in ſeinem Lehnſtuhl ſaß und auf ſeine Schweſter wartete. Denn um acht nahmen ſie das erſte Frühſtück gemeinſchaftlich.
„So, Agnes, das is recht, daß du da biſt. Haſt du denn ſchon deinen Kaffee gehabt?“
Agnes knickſte.
„Nu ſetz dich da mal ans Fenſter, daß du bei deiner Arbeit beſſer ſehn kannſt; du haſt ja ſchon dein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0470"n="463"/>
den er ſonſt wenig erinnerte — herausgeklügelt, daß<lb/>
Überraſchung und Schreck bei ſeinem Plan mitwirken<lb/>
müßten.</p><lb/><p>Agnes ſchlief in einer nebenan aufgeſtellten eiſernen<lb/>
Bettſtelle. Dubslav, gerade ſo wie ſeine Schweſter,<lb/>
hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei ſeinem<lb/>
Erſcheinen im Herrenhauſe gar nicht mehr geſehen; es<lb/>
trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille,<lb/>
dazu Knöpfſtiefel und lange rote Strümpfe, — lauter<lb/>
Dinge, die Karline ſchon zu letzten Weihnachten geſchenkt<lb/>
hatte. Gleich damals, am erſten Feiertag, hatte das<lb/>
Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß<lb/>ſo ſtill für ſich, weil ſie ſich genierte, ſich im Dorfe<lb/>
damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo ſie bei dem gnäd'gen<lb/>
Herrn in Krankenpflege gehen ſollte, jetzt war die richtige<lb/>
Zeit dafür da.</p><lb/><p>Die Nacht verging ſtill; niemand war geſtört worden.<lb/>
Um ſieben erſt kam Engelke und ſagte: „Nu, lütt Deern,<lb/>ſteih upp, is all ſeben.“ Agnes war auch wirklich wie<lb/>
der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten<lb/>
Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas<lb/>
gekrauſtes langes Blondhaar, putzte ſich wie ein Kätzchen,<lb/>
und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten<lb/>
Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfſtiefel an. Gleich<lb/>
danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee,<lb/>
und als ſie damit fertig war, nahm ſie ihr Strickzeug<lb/>
und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav<lb/>
bereits in ſeinem Lehnſtuhl ſaß und auf ſeine Schweſter<lb/>
wartete. Denn um acht nahmen ſie das erſte Frühſtück<lb/>
gemeinſchaftlich.</p><lb/><p>„So, Agnes, das is recht, daß du da biſt. Haſt<lb/>
du denn ſchon deinen Kaffee gehabt?“</p><lb/><p>Agnes knickſte.</p><lb/><p>„Nu ſetz dich da mal ans Fenſter, daß du bei<lb/>
deiner Arbeit beſſer ſehn kannſt; du haſt ja ſchon dein<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[463/0470]
den er ſonſt wenig erinnerte — herausgeklügelt, daß
Überraſchung und Schreck bei ſeinem Plan mitwirken
müßten.
Agnes ſchlief in einer nebenan aufgeſtellten eiſernen
Bettſtelle. Dubslav, gerade ſo wie ſeine Schweſter,
hatte das etwas auffällig herausgeputzte Kind bei ſeinem
Erſcheinen im Herrenhauſe gar nicht mehr geſehen; es
trug ein langes, himmelblaues Wollkleid ohne Taille,
dazu Knöpfſtiefel und lange rote Strümpfe, — lauter
Dinge, die Karline ſchon zu letzten Weihnachten geſchenkt
hatte. Gleich damals, am erſten Feiertag, hatte das
Kind den Staat denn auch wirklich angezogen, aber bloß
ſo ſtill für ſich, weil ſie ſich genierte, ſich im Dorfe
damit zu zeigen; jetzt dagegen, wo ſie bei dem gnäd'gen
Herrn in Krankenpflege gehen ſollte, jetzt war die richtige
Zeit dafür da.
Die Nacht verging ſtill; niemand war geſtört worden.
Um ſieben erſt kam Engelke und ſagte: „Nu, lütt Deern,
ſteih upp, is all ſeben.“ Agnes war auch wirklich wie
der Wind aus dem Bett, fuhr mit einem mitgebrachten
Hornkamm, dem ein paar Zähne fehlten, durch ihr etwas
gekrauſtes langes Blondhaar, putzte ſich wie ein Kätzchen,
und zog dann den himmelblauen Hänger, die roten
Strümpfe und zuletzt auch die Knöpfſtiefel an. Gleich
danach brachte ihr Engelke einen Topf mit Milchkaffee,
und als ſie damit fertig war, nahm ſie ihr Strickzeug
und ging in das große Zimmer nebenan, wo Dubslav
bereits in ſeinem Lehnſtuhl ſaß und auf ſeine Schweſter
wartete. Denn um acht nahmen ſie das erſte Frühſtück
gemeinſchaftlich.
„So, Agnes, das is recht, daß du da biſt. Haſt
du denn ſchon deinen Kaffee gehabt?“
Agnes knickſte.
„Nu ſetz dich da mal ans Fenſter, daß du bei
deiner Arbeit beſſer ſehn kannſt; du haſt ja ſchon dein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/470>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.