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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Sees aus, an einer kleinen Station, die, glaub' ich,
Borghetto-Tuoro heißt. Es war auch für einen Laien
über Erwarten interessant, und selbst ich, die ich sonst
gar keinen Sinn für derlei Dinge habe, verstand alles,
und fand mich leicht in jeglichem zurecht. Ja, ich
hatte das Gefühl, daß ich in diesem hochgelegenen
Engpaß ebenfalls über die Römer gesiegt haben würde.
Der See hat viele Zu- und Abflüsse. Einer dieser Ab¬
flüsse (mehr Kanal als Fluß) nennt sich der ,Emissarius',
was mich sehr erheiterte. Noch interessanter aber
erschien mir ein anderer Flußlauf, der, weil er am
Schlachttage von Blut sich rötete, der ,Sanguinetto'
heißt. Das Diminutiv steigert hier ganz entschieden
die Wirkung. Der See ist übrigens sehr groß, zehn
Meilen Umfang, und dabei flach, weshalb der erste
Napoleon ihn auspumpen lassen wollte. Da hätte sich
dann ein neues Herzogtum gründen lassen ..."

"Schau, Schau," sagte der alte Dubslav, "wer der
blassen Comtesse das zugetraut hätte! Ja, reisen und
in den Krieg ziehen, da lernt man, da wird man
anders."

Und er legte den Brief beiseite.

Zugleich aber war ein stilles Behagen über ihn
gekommen und er überdachte, wie manche Freude das
Leben doch immer noch habe. Vor ihm, in den Park¬
bäumen, schlugen die Vögel, und ein Buchfink kam bis
auf den Tisch und sah ihn an, ganz ohne Scheu. Das
that ihm ungemein wohl. "Etwas ganz besonders Schönes
im Leben ist doch das Vertrauen, und wenn's auch
bloß ein Piepvogel is, der's einem entgegenbringt.
Einige haben eine schwarze Milz und sagen: alles sei
von Anfang an auf Mord und Totschlag gestellt. Ich
kann es aber nicht finden."

Engelke kam, um abzuräumen. "Is ein schöner
Tag heut," sagte Dubslav, "und die Krokusse kommen

Sees aus, an einer kleinen Station, die, glaub' ich,
Borghetto-Tuoro heißt. Es war auch für einen Laien
über Erwarten intereſſant, und ſelbſt ich, die ich ſonſt
gar keinen Sinn für derlei Dinge habe, verſtand alles,
und fand mich leicht in jeglichem zurecht. Ja, ich
hatte das Gefühl, daß ich in dieſem hochgelegenen
Engpaß ebenfalls über die Römer geſiegt haben würde.
Der See hat viele Zu- und Abflüſſe. Einer dieſer Ab¬
flüſſe (mehr Kanal als Fluß) nennt ſich der ‚Emiſſarius‘,
was mich ſehr erheiterte. Noch intereſſanter aber
erſchien mir ein anderer Flußlauf, der, weil er am
Schlachttage von Blut ſich rötete, der ‚Sanguinetto‘
heißt. Das Diminutiv ſteigert hier ganz entſchieden
die Wirkung. Der See iſt übrigens ſehr groß, zehn
Meilen Umfang, und dabei flach, weshalb der erſte
Napoleon ihn auspumpen laſſen wollte. Da hätte ſich
dann ein neues Herzogtum gründen laſſen ...“

„Schau, Schau,“ ſagte der alte Dubslav, „wer der
blaſſen Comteſſe das zugetraut hätte! Ja, reiſen und
in den Krieg ziehen, da lernt man, da wird man
anders.“

Und er legte den Brief beiſeite.

Zugleich aber war ein ſtilles Behagen über ihn
gekommen und er überdachte, wie manche Freude das
Leben doch immer noch habe. Vor ihm, in den Park¬
bäumen, ſchlugen die Vögel, und ein Buchfink kam bis
auf den Tiſch und ſah ihn an, ganz ohne Scheu. Das
that ihm ungemein wohl. „Etwas ganz beſonders Schönes
im Leben iſt doch das Vertrauen, und wenn's auch
bloß ein Piepvogel is, der's einem entgegenbringt.
Einige haben eine ſchwarze Milz und ſagen: alles ſei
von Anfang an auf Mord und Totſchlag geſtellt. Ich
kann es aber nicht finden.“

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Tag heut,“ ſagte Dubslav, „und die Krokuſſe kommen

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[448/0455] Sees aus, an einer kleinen Station, die, glaub' ich, Borghetto-Tuoro heißt. Es war auch für einen Laien über Erwarten intereſſant, und ſelbſt ich, die ich ſonſt gar keinen Sinn für derlei Dinge habe, verſtand alles, und fand mich leicht in jeglichem zurecht. Ja, ich hatte das Gefühl, daß ich in dieſem hochgelegenen Engpaß ebenfalls über die Römer geſiegt haben würde. Der See hat viele Zu- und Abflüſſe. Einer dieſer Ab¬ flüſſe (mehr Kanal als Fluß) nennt ſich der ‚Emiſſarius‘, was mich ſehr erheiterte. Noch intereſſanter aber erſchien mir ein anderer Flußlauf, der, weil er am Schlachttage von Blut ſich rötete, der ‚Sanguinetto‘ heißt. Das Diminutiv ſteigert hier ganz entſchieden die Wirkung. Der See iſt übrigens ſehr groß, zehn Meilen Umfang, und dabei flach, weshalb der erſte Napoleon ihn auspumpen laſſen wollte. Da hätte ſich dann ein neues Herzogtum gründen laſſen ...“ „Schau, Schau,“ ſagte der alte Dubslav, „wer der blaſſen Comteſſe das zugetraut hätte! Ja, reiſen und in den Krieg ziehen, da lernt man, da wird man anders.“ Und er legte den Brief beiſeite. Zugleich aber war ein ſtilles Behagen über ihn gekommen und er überdachte, wie manche Freude das Leben doch immer noch habe. Vor ihm, in den Park¬ bäumen, ſchlugen die Vögel, und ein Buchfink kam bis auf den Tiſch und ſah ihn an, ganz ohne Scheu. Das that ihm ungemein wohl. „Etwas ganz beſonders Schönes im Leben iſt doch das Vertrauen, und wenn's auch bloß ein Piepvogel is, der's einem entgegenbringt. Einige haben eine ſchwarze Milz und ſagen: alles ſei von Anfang an auf Mord und Totſchlag geſtellt. Ich kann es aber nicht finden.“ Engelke kam, um abzuräumen. „Is ein ſchöner Tag heut,“ ſagte Dubslav, „und die Krokuſſe kommen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 448. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/455>, abgerufen am 17.05.2024.