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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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stößt sich dreimal den Kopp. Und immer an derselben
Stelle."


Es schlug zwölf, als Dubslav vom Portal her
wieder den Flur passierte. Dabei sah er nach dem
Hippenmann hinauf und zählte die Schläge. "Zwölf",
sagte er "und um zwölf ist alles aus und dann fängt
der neue Tag an. Es giebt freilich zwei Zwölfen, und
die Zwölf, die da oben jetzt schlägt, das is die Mittags¬
zwölf. Aber Mittag! ... Wo bist du Sonne ge¬
blieben!" All dem weiter nachhängend, wie er jetzt öfter
that, kam er an seinen Kaminplatz und nahm eine
Zeitung in die Hand. Er sah jedoch kaum drauf hin
und beschäftigte sich, während er zu lesen schien, eigent¬
lich nur mit der Frage, "wer wohl heute noch kommen
könne", und dabei neben andren Personen aus seiner
Umgebung auch an Lorenzen denkend, kam er zu dem
Schlußresultat, daß ihm Lorenzen "mit all seinem neuen
Unsinn" doch am Ende lieber sei als Koseleger mit seinen
Heilsgütern, von denen er wohl zwei-, dreimal gesprochen
hatte. "Ja, die Heilsgüter, die sind ganz gut. Versteht
sich. Ich werde mich nicht so versündigen. Die Kirche kann
was, is was, und der alte Luther, nu der war schon
ganz gewiß was, weil er ehrlich war und für seine Sache
sterben wollte. Nahe dran war er. Eigentlich kommt's
doch immer bloß darauf an, daß einer sagt, ,dafür
sterb' ich'. Und es dann aber auch thut. Für was,
is beinah' gleich. Daß man überhaupt so was kann,
wie sich opfern, das ist das Große. Kirchlich mag es
ja falsch sein, was ich da so sage; aber was sie jetzt
,sittlich' nennen (und manche sagen auch ,schönheitlich',
aber das is ein zu dolles Wort), also was sie jetzt sittlich
nennen, so bloß auf das hin angesehn, da is das
persönliche sich einsetzen und für was sterben können

ſtößt ſich dreimal den Kopp. Und immer an derſelben
Stelle.“


Es ſchlug zwölf, als Dubslav vom Portal her
wieder den Flur paſſierte. Dabei ſah er nach dem
Hippenmann hinauf und zählte die Schläge. „Zwölf“,
ſagte er „und um zwölf iſt alles aus und dann fängt
der neue Tag an. Es giebt freilich zwei Zwölfen, und
die Zwölf, die da oben jetzt ſchlägt, das is die Mittags¬
zwölf. Aber Mittag! ... Wo biſt du Sonne ge¬
blieben!“ All dem weiter nachhängend, wie er jetzt öfter
that, kam er an ſeinen Kaminplatz und nahm eine
Zeitung in die Hand. Er ſah jedoch kaum drauf hin
und beſchäftigte ſich, während er zu leſen ſchien, eigent¬
lich nur mit der Frage, „wer wohl heute noch kommen
könne“, und dabei neben andren Perſonen aus ſeiner
Umgebung auch an Lorenzen denkend, kam er zu dem
Schlußreſultat, daß ihm Lorenzen „mit all ſeinem neuen
Unſinn“ doch am Ende lieber ſei als Koſeleger mit ſeinen
Heilsgütern, von denen er wohl zwei-, dreimal geſprochen
hatte. „Ja, die Heilsgüter, die ſind ganz gut. Verſteht
ſich. Ich werde mich nicht ſo verſündigen. Die Kirche kann
was, is was, und der alte Luther, nu der war ſchon
ganz gewiß was, weil er ehrlich war und für ſeine Sache
ſterben wollte. Nahe dran war er. Eigentlich kommt's
doch immer bloß darauf an, daß einer ſagt, ‚dafür
ſterb' ich‘. Und es dann aber auch thut. Für was,
is beinah' gleich. Daß man überhaupt ſo was kann,
wie ſich opfern, das iſt das Große. Kirchlich mag es
ja falſch ſein, was ich da ſo ſage; aber was ſie jetzt
‚ſittlich‘ nennen (und manche ſagen auch ‚ſchönheitlich‘,
aber das is ein zu dolles Wort), alſo was ſie jetzt ſittlich
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[432/0439] ſtößt ſich dreimal den Kopp. Und immer an derſelben Stelle.“ Es ſchlug zwölf, als Dubslav vom Portal her wieder den Flur paſſierte. Dabei ſah er nach dem Hippenmann hinauf und zählte die Schläge. „Zwölf“, ſagte er „und um zwölf iſt alles aus und dann fängt der neue Tag an. Es giebt freilich zwei Zwölfen, und die Zwölf, die da oben jetzt ſchlägt, das is die Mittags¬ zwölf. Aber Mittag! ... Wo biſt du Sonne ge¬ blieben!“ All dem weiter nachhängend, wie er jetzt öfter that, kam er an ſeinen Kaminplatz und nahm eine Zeitung in die Hand. Er ſah jedoch kaum drauf hin und beſchäftigte ſich, während er zu leſen ſchien, eigent¬ lich nur mit der Frage, „wer wohl heute noch kommen könne“, und dabei neben andren Perſonen aus ſeiner Umgebung auch an Lorenzen denkend, kam er zu dem Schlußreſultat, daß ihm Lorenzen „mit all ſeinem neuen Unſinn“ doch am Ende lieber ſei als Koſeleger mit ſeinen Heilsgütern, von denen er wohl zwei-, dreimal geſprochen hatte. „Ja, die Heilsgüter, die ſind ganz gut. Verſteht ſich. Ich werde mich nicht ſo verſündigen. Die Kirche kann was, is was, und der alte Luther, nu der war ſchon ganz gewiß was, weil er ehrlich war und für ſeine Sache ſterben wollte. Nahe dran war er. Eigentlich kommt's doch immer bloß darauf an, daß einer ſagt, ‚dafür ſterb' ich‘. Und es dann aber auch thut. Für was, is beinah' gleich. Daß man überhaupt ſo was kann, wie ſich opfern, das iſt das Große. Kirchlich mag es ja falſch ſein, was ich da ſo ſage; aber was ſie jetzt ‚ſittlich‘ nennen (und manche ſagen auch ‚ſchönheitlich‘, aber das is ein zu dolles Wort), alſo was ſie jetzt ſittlich nennen, ſo bloß auf das hin angeſehn, da is das perſönliche ſich einſetzen und für was ſterben können

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/439>, abgerufen am 25.11.2024.