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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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ist er nicht 'rausgekommen und wird auch nicht 'raus¬
kommen, weil er überhaupt nicht da ist. Meinen alten
Krippenstapel, den kenn' ich."

Koseleger, Weltmann, wie er war, lenkte rasch ein,
sprach von Konventiklerbeschränktheit und gab die Mög¬
lichkeit einer Intrigue zu.

"Natürlich wird es einem schwer, in diesem Erden¬
winkel an derlei Dinge zu glauben, denn ,Intrigue'
zählt ganz eminent zu den höheren Kulturformen. In¬
trigue hat hier in unserer alten Grafschaft, glaub' ich,
noch keinen Boden. Aber andrerseits ist es doch freilich
wahr, daß heutzutage die Verwerflichkeiten, ja selbst die
Verbrechen und Laster, nicht bloß im Gefolge der Kultur
auftreten, sondern umgekehrt ihr voranschreiten, als be¬
klagenswerte Herolde falscher Gesittung! Bedenken Sie,
was wir neuerdings in unsern Äquatorialprovinzen erlebt
haben. Die Zivilisation ist noch nicht da und schon
haben wir ihre Gräuel. Man erschauert, wenn man
davon liest und freut sich der kleinen und alltäglichen
Verhältnisse, drin der Wille Gottes uns gnädig stellte."

Nach diesen Worten, die was von einem guten
Abgang hatten, erhob sich Koseleger und der Alte,
seinerseits seinen Arm in den des Superintendenten
einhakend, "um sich", wie er sagte, "auf die Kirche
zu stützen", begleitete seinen Besuch bis wieder auf die
Rampe hinaus und grüßte noch mit der Hand, als der
Wagen schon über die Bohlenbrücke fuhr. Dann wandte
er sich rasch an Engelke, der neben ihm stand, und
sagte:

"Engelke, schade, daß ich mit dir nicht wetten
kann. Lust hätt' ich. Heute kommt noch wer, du wirst
es sehn. Eine Woche lang läßt sich keine Katze blicken,
aber wenn unser Schicksal erst mal 'nen Entschluß ge¬
faßt hat, dann kann es sich auch wieder nicht genug
thun. Man gewinnt dreimal das große Los oder man

iſt er nicht 'rausgekommen und wird auch nicht 'raus¬
kommen, weil er überhaupt nicht da iſt. Meinen alten
Krippenſtapel, den kenn' ich.“

Koſeleger, Weltmann, wie er war, lenkte raſch ein,
ſprach von Konventiklerbeſchränktheit und gab die Mög¬
lichkeit einer Intrigue zu.

„Natürlich wird es einem ſchwer, in dieſem Erden¬
winkel an derlei Dinge zu glauben, denn ‚Intrigue‘
zählt ganz eminent zu den höheren Kulturformen. In¬
trigue hat hier in unſerer alten Grafſchaft, glaub' ich,
noch keinen Boden. Aber andrerſeits iſt es doch freilich
wahr, daß heutzutage die Verwerflichkeiten, ja ſelbſt die
Verbrechen und Laſter, nicht bloß im Gefolge der Kultur
auftreten, ſondern umgekehrt ihr voranſchreiten, als be¬
klagenswerte Herolde falſcher Geſittung! Bedenken Sie,
was wir neuerdings in unſern Äquatorialprovinzen erlebt
haben. Die Ziviliſation iſt noch nicht da und ſchon
haben wir ihre Gräuel. Man erſchauert, wenn man
davon lieſt und freut ſich der kleinen und alltäglichen
Verhältniſſe, drin der Wille Gottes uns gnädig ſtellte.“

Nach dieſen Worten, die was von einem guten
Abgang hatten, erhob ſich Koſeleger und der Alte,
ſeinerſeits ſeinen Arm in den des Superintendenten
einhakend, „um ſich“, wie er ſagte, „auf die Kirche
zu ſtützen“, begleitete ſeinen Beſuch bis wieder auf die
Rampe hinaus und grüßte noch mit der Hand, als der
Wagen ſchon über die Bohlenbrücke fuhr. Dann wandte
er ſich raſch an Engelke, der neben ihm ſtand, und
ſagte:

„Engelke, ſchade, daß ich mit dir nicht wetten
kann. Luſt hätt' ich. Heute kommt noch wer, du wirſt
es ſehn. Eine Woche lang läßt ſich keine Katze blicken,
aber wenn unſer Schickſal erſt mal 'nen Entſchluß ge¬
faßt hat, dann kann es ſich auch wieder nicht genug
thun. Man gewinnt dreimal das große Los oder man

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[431/0438] iſt er nicht 'rausgekommen und wird auch nicht 'raus¬ kommen, weil er überhaupt nicht da iſt. Meinen alten Krippenſtapel, den kenn' ich.“ Koſeleger, Weltmann, wie er war, lenkte raſch ein, ſprach von Konventiklerbeſchränktheit und gab die Mög¬ lichkeit einer Intrigue zu. „Natürlich wird es einem ſchwer, in dieſem Erden¬ winkel an derlei Dinge zu glauben, denn ‚Intrigue‘ zählt ganz eminent zu den höheren Kulturformen. In¬ trigue hat hier in unſerer alten Grafſchaft, glaub' ich, noch keinen Boden. Aber andrerſeits iſt es doch freilich wahr, daß heutzutage die Verwerflichkeiten, ja ſelbſt die Verbrechen und Laſter, nicht bloß im Gefolge der Kultur auftreten, ſondern umgekehrt ihr voranſchreiten, als be¬ klagenswerte Herolde falſcher Geſittung! Bedenken Sie, was wir neuerdings in unſern Äquatorialprovinzen erlebt haben. Die Ziviliſation iſt noch nicht da und ſchon haben wir ihre Gräuel. Man erſchauert, wenn man davon lieſt und freut ſich der kleinen und alltäglichen Verhältniſſe, drin der Wille Gottes uns gnädig ſtellte.“ Nach dieſen Worten, die was von einem guten Abgang hatten, erhob ſich Koſeleger und der Alte, ſeinerſeits ſeinen Arm in den des Superintendenten einhakend, „um ſich“, wie er ſagte, „auf die Kirche zu ſtützen“, begleitete ſeinen Beſuch bis wieder auf die Rampe hinaus und grüßte noch mit der Hand, als der Wagen ſchon über die Bohlenbrücke fuhr. Dann wandte er ſich raſch an Engelke, der neben ihm ſtand, und ſagte: „Engelke, ſchade, daß ich mit dir nicht wetten kann. Luſt hätt' ich. Heute kommt noch wer, du wirſt es ſehn. Eine Woche lang läßt ſich keine Katze blicken, aber wenn unſer Schickſal erſt mal 'nen Entſchluß ge¬ faßt hat, dann kann es ſich auch wieder nicht genug thun. Man gewinnt dreimal das große Los oder man

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 431. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/438>, abgerufen am 25.11.2024.