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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Rücksitze des Wagens ein. Das ergab aber, besonders
zwischen den zwei Schwestern, eine vollkommene Rang-
und Höflichkeitsstreiterei. "Ja, wenn es jetzt in die
Kirche ginge," sagte Armgard, "so hättest du recht.
Aber unser Wagen ist ja schon wieder ein ganz einfacher
Landauer geworden, und Woldemar und ich sind, vier
Stunden nach der Trauung, schon wider wie zwei ge¬
wöhnliche Menschen. Und sich dessen bewußt zu werden,
damit kann man nicht früh genug anfangen."

"Armgard, du wirst mir zu gescheit," sagte Me¬
lusine.

Man einigte sich zuletzt, und als der Wagen am
Anhalter Bahnhof eintraf, waren Rex und Czako bereits
da, -- beide mit Riesensträußen, -- zogen sich aber un¬
mittelbar nach Überreichung ihrer Bouquets wieder zurück.
Nur die Baronin und Melusine blieben noch auf dem
Bahnsteig und warteten unter lebhafter Plauderei bis
zum Abgange des Zuges. In dem von dem jungen
Paare gewählten Coupe befanden sich noch zwei Reisende;
der eine, blond und artig und mit goldener Brille,
konnte nur ein Sachse sein, der andre dagegen, mit
Pelz und Juchtenkoffer, war augenscheinlich ein "Inter¬
nationaler" aus dem Osten oder selbst aus dem Süd¬
osten Europas.

Nun aber hörte man das Signal, und der Zug
setzte sich in Bewegung.


Die Baronin und Melusine grüßten noch mit ihren
Tüchern. Dann bestiegen sie wieder den draußen haltenden
Wagen. Es war ein herrliches Wetter, einer jener Vor¬
frühlingstage, wie sie sich gelegentlich schon im Februar
einstellen.

"Es ist so schön," sagte Melusine. "Benutzen
wir's. Ich denke, liebe Baronin, wir fahren hier zu¬

Rückſitze des Wagens ein. Das ergab aber, beſonders
zwiſchen den zwei Schweſtern, eine vollkommene Rang-
und Höflichkeitsſtreiterei. „Ja, wenn es jetzt in die
Kirche ginge,“ ſagte Armgard, „ſo hätteſt du recht.
Aber unſer Wagen iſt ja ſchon wieder ein ganz einfacher
Landauer geworden, und Woldemar und ich ſind, vier
Stunden nach der Trauung, ſchon wider wie zwei ge¬
wöhnliche Menſchen. Und ſich deſſen bewußt zu werden,
damit kann man nicht früh genug anfangen.“

„Armgard, du wirſt mir zu geſcheit,“ ſagte Me¬
luſine.

Man einigte ſich zuletzt, und als der Wagen am
Anhalter Bahnhof eintraf, waren Rex und Czako bereits
da, — beide mit Rieſenſträußen, — zogen ſich aber un¬
mittelbar nach Überreichung ihrer Bouquets wieder zurück.
Nur die Baronin und Meluſine blieben noch auf dem
Bahnſteig und warteten unter lebhafter Plauderei bis
zum Abgange des Zuges. In dem von dem jungen
Paare gewählten Coupé befanden ſich noch zwei Reiſende;
der eine, blond und artig und mit goldener Brille,
konnte nur ein Sachſe ſein, der andre dagegen, mit
Pelz und Juchtenkoffer, war augenſcheinlich ein „Inter¬
nationaler“ aus dem Oſten oder ſelbſt aus dem Süd¬
oſten Europas.

Nun aber hörte man das Signal, und der Zug
ſetzte ſich in Bewegung.


Die Baronin und Meluſine grüßten noch mit ihren
Tüchern. Dann beſtiegen ſie wieder den draußen haltenden
Wagen. Es war ein herrliches Wetter, einer jener Vor¬
frühlingstage, wie ſie ſich gelegentlich ſchon im Februar
einſtellen.

„Es iſt ſo ſchön,“ ſagte Meluſine. „Benutzen
wir's. Ich denke, liebe Baronin, wir fahren hier zu¬

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[389/0396] Rückſitze des Wagens ein. Das ergab aber, beſonders zwiſchen den zwei Schweſtern, eine vollkommene Rang- und Höflichkeitsſtreiterei. „Ja, wenn es jetzt in die Kirche ginge,“ ſagte Armgard, „ſo hätteſt du recht. Aber unſer Wagen iſt ja ſchon wieder ein ganz einfacher Landauer geworden, und Woldemar und ich ſind, vier Stunden nach der Trauung, ſchon wider wie zwei ge¬ wöhnliche Menſchen. Und ſich deſſen bewußt zu werden, damit kann man nicht früh genug anfangen.“ „Armgard, du wirſt mir zu geſcheit,“ ſagte Me¬ luſine. Man einigte ſich zuletzt, und als der Wagen am Anhalter Bahnhof eintraf, waren Rex und Czako bereits da, — beide mit Rieſenſträußen, — zogen ſich aber un¬ mittelbar nach Überreichung ihrer Bouquets wieder zurück. Nur die Baronin und Meluſine blieben noch auf dem Bahnſteig und warteten unter lebhafter Plauderei bis zum Abgange des Zuges. In dem von dem jungen Paare gewählten Coupé befanden ſich noch zwei Reiſende; der eine, blond und artig und mit goldener Brille, konnte nur ein Sachſe ſein, der andre dagegen, mit Pelz und Juchtenkoffer, war augenſcheinlich ein „Inter¬ nationaler“ aus dem Oſten oder ſelbſt aus dem Süd¬ oſten Europas. Nun aber hörte man das Signal, und der Zug ſetzte ſich in Bewegung. Die Baronin und Meluſine grüßten noch mit ihren Tüchern. Dann beſtiegen ſie wieder den draußen haltenden Wagen. Es war ein herrliches Wetter, einer jener Vor¬ frühlingstage, wie ſie ſich gelegentlich ſchon im Februar einſtellen. „Es iſt ſo ſchön,“ ſagte Meluſine. „Benutzen wir's. Ich denke, liebe Baronin, wir fahren hier zu¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 389. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/396>, abgerufen am 17.05.2024.