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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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"Geht nicht. Berührt is berührt."

"Mit nichten, Herr von Molchow. Die hohe Priester¬
schaft wurde herangezogen und hielt, wie man hier viel¬
leicht sagen würde, einen Synod, in dem man sich mit
der Frage der Entsühnung oder, was dasselbe sagen
will, mit der Frage der Wiederherstellung der Virginität
beschäftigte. Man kam überein (oder fand es auch viel¬
leicht in alten Büchern), daß sie in Blut gebadet werden
müsse."

"Brrr."

"Und zu diesem Behufe wurde sie bald danach in
eine Tempelhalle geführt, drin zwei mächtige Wannen
standen, eine von rotem Porphyr und eine von weißem
Marmor, und zwischen diesen Wannen, auf einer Art
Treppe, stand die Prinzessin selbst. Und nun wurden
drei weiße Büffel in die Tempelhalle gebracht, und der
hohe Priester trennte mit einem Schnitt jedem der drei
das Haupt vom Rumpf und ließ das Blut in die da¬
neben stehende Porphyrwanne fließen. Und jetzt war
das Bad bereitet, und die Prinzessin, nachdem siamesische
Jungfrauen sie entkleidet hatten, stieg in das Büffelblut
hinab, und der Hohepriester nahm ein heiliges Gefäß
und schöpfte damit und goß es aus über die Prinzessin."

"Eine starke Geschichte; bei Tisch hätt' ich mehrere
Gänge passieren lassen. Ich find' es doch entschieden
zu viel."

"Ich nicht," sagte der alte Zühlen, der sich in¬
zwischen eingefunden und seit ein paar Minuten mit zu¬
gehört hatte. "Was heißt zu viel oder zu stark? Stark
ist es, so viel geb' ich zu; aber nicht zu stark. Daß es
stark ist, das ist ja eben der Witz von der Sache. Wenn
die Prinzessin bloß einen Leberfleck gehabt hätte, so fänd'
ich es ohne weiteres zu stark; es muß immer ein richtiges
Verhältnis da sein zwischen Mittel und Zweck. Ein
Leberfleck ist gar nichts. Aber bedenken Sie, 'ne richtige

Fontane, Der Stechlin. 17

„Geht nicht. Berührt is berührt.“

„Mit nichten, Herr von Molchow. Die hohe Prieſter¬
ſchaft wurde herangezogen und hielt, wie man hier viel¬
leicht ſagen würde, einen Synod, in dem man ſich mit
der Frage der Entſühnung oder, was daſſelbe ſagen
will, mit der Frage der Wiederherſtellung der Virginität
beſchäftigte. Man kam überein (oder fand es auch viel¬
leicht in alten Büchern), daß ſie in Blut gebadet werden
müſſe.“

„Brrr.“

„Und zu dieſem Behufe wurde ſie bald danach in
eine Tempelhalle geführt, drin zwei mächtige Wannen
ſtanden, eine von rotem Porphyr und eine von weißem
Marmor, und zwiſchen dieſen Wannen, auf einer Art
Treppe, ſtand die Prinzeſſin ſelbſt. Und nun wurden
drei weiße Büffel in die Tempelhalle gebracht, und der
hohe Prieſter trennte mit einem Schnitt jedem der drei
das Haupt vom Rumpf und ließ das Blut in die da¬
neben ſtehende Porphyrwanne fließen. Und jetzt war
das Bad bereitet, und die Prinzeſſin, nachdem ſiameſiſche
Jungfrauen ſie entkleidet hatten, ſtieg in das Büffelblut
hinab, und der Hoheprieſter nahm ein heiliges Gefäß
und ſchöpfte damit und goß es aus über die Prinzeſſin.“

„Eine ſtarke Geſchichte; bei Tiſch hätt' ich mehrere
Gänge paſſieren laſſen. Ich find' es doch entſchieden
zu viel.“

„Ich nicht,“ ſagte der alte Zühlen, der ſich in¬
zwiſchen eingefunden und ſeit ein paar Minuten mit zu¬
gehört hatte. „Was heißt zu viel oder zu ſtark? Stark
iſt es, ſo viel geb' ich zu; aber nicht zu ſtark. Daß es
ſtark iſt, das iſt ja eben der Witz von der Sache. Wenn
die Prinzeſſin bloß einen Leberfleck gehabt hätte, ſo fänd'
ich es ohne weiteres zu ſtark; es muß immer ein richtiges
Verhältnis da ſein zwiſchen Mittel und Zweck. Ein
Leberfleck iſt gar nichts. Aber bedenken Sie, 'ne richtige

Fontane, Der Stechlin. 17
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[257/0264] „Geht nicht. Berührt is berührt.“ „Mit nichten, Herr von Molchow. Die hohe Prieſter¬ ſchaft wurde herangezogen und hielt, wie man hier viel¬ leicht ſagen würde, einen Synod, in dem man ſich mit der Frage der Entſühnung oder, was daſſelbe ſagen will, mit der Frage der Wiederherſtellung der Virginität beſchäftigte. Man kam überein (oder fand es auch viel¬ leicht in alten Büchern), daß ſie in Blut gebadet werden müſſe.“ „Brrr.“ „Und zu dieſem Behufe wurde ſie bald danach in eine Tempelhalle geführt, drin zwei mächtige Wannen ſtanden, eine von rotem Porphyr und eine von weißem Marmor, und zwiſchen dieſen Wannen, auf einer Art Treppe, ſtand die Prinzeſſin ſelbſt. Und nun wurden drei weiße Büffel in die Tempelhalle gebracht, und der hohe Prieſter trennte mit einem Schnitt jedem der drei das Haupt vom Rumpf und ließ das Blut in die da¬ neben ſtehende Porphyrwanne fließen. Und jetzt war das Bad bereitet, und die Prinzeſſin, nachdem ſiameſiſche Jungfrauen ſie entkleidet hatten, ſtieg in das Büffelblut hinab, und der Hoheprieſter nahm ein heiliges Gefäß und ſchöpfte damit und goß es aus über die Prinzeſſin.“ „Eine ſtarke Geſchichte; bei Tiſch hätt' ich mehrere Gänge paſſieren laſſen. Ich find' es doch entſchieden zu viel.“ „Ich nicht,“ ſagte der alte Zühlen, der ſich in¬ zwiſchen eingefunden und ſeit ein paar Minuten mit zu¬ gehört hatte. „Was heißt zu viel oder zu ſtark? Stark iſt es, ſo viel geb' ich zu; aber nicht zu ſtark. Daß es ſtark iſt, das iſt ja eben der Witz von der Sache. Wenn die Prinzeſſin bloß einen Leberfleck gehabt hätte, ſo fänd' ich es ohne weiteres zu ſtark; es muß immer ein richtiges Verhältnis da ſein zwiſchen Mittel und Zweck. Ein Leberfleck iſt gar nichts. Aber bedenken Sie, 'ne richtige Fontane, Der Stechlin. 17

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/264>, abgerufen am 22.11.2024.