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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Die Herren vom Lande werden so leicht ungeduldig,
und ich wundere mich oft, daß sie die Predigt bis zu
Ende mitanhören. Daneben ist freilich meine Geschichte
aus Siam ..."

"Erzählen, Direktorchen, erzählen."

"Nun denn, auf Ihre Gefahr. Freilich auch auf
meine ... Da war also, und es ist noch gar nicht
lange her, ein König von Siam. Die Siamesen haben
nämlich auch Könige."

"Nu, natürlich. So tief stehen sie doch nicht."

"Also da war ein König von Siam, und dieser
König hatte eine Tochter."

"Klingt ja wie aus 'm Märchen."

"Ist auch, meine Herren. Eine Tochter, eine richtige
Prinzessin, und ein Nachbarfürst (aber von geringerem
Stande, so daß man doch auch hier wieder an den
Kandidaten erinnert wird) -- dieser Nachbarfürst raubte
die Prinzessin und nahm sie mit in seine Heimat und
seinen Harem, trotz alles Sträubens."

"Na, na."

"So wenigstens wird berichtet. Aber der König
von Siam war nicht der Mann, so was ruhig einzu¬
stecken. Er unternahm vielmehr einen heiligen Krieg
gegen den Nachbarfürsten, schlug ihn und führte die
Prinzessin im Triumphe wieder zurück. Und alles Volk
war wie von Sieg und Glück berauscht. Aber die Prin¬
zessin selbst war schwermütig."

"Kann ich mir denken. Wollte wieder weg."

"Nein, ihr Herren. Wollte nicht zurück. Denn es
war eine sehr feine Dame, die gelitten hatte ..."

"Ja. Aber wie ..."

"Die gelitten hatte und fortan nur dem einen Ge¬
danken der Entsühnung lebte, dem Gedanken, wie das
Unheilige, das Berührtsein, wieder von ihr genommen
werden könne."

Die Herren vom Lande werden ſo leicht ungeduldig,
und ich wundere mich oft, daß ſie die Predigt bis zu
Ende mitanhören. Daneben iſt freilich meine Geſchichte
aus Siam ...“

„Erzählen, Direktorchen, erzählen.“

„Nun denn, auf Ihre Gefahr. Freilich auch auf
meine ... Da war alſo, und es iſt noch gar nicht
lange her, ein König von Siam. Die Siameſen haben
nämlich auch Könige.“

„Nu, natürlich. So tief ſtehen ſie doch nicht.“

„Alſo da war ein König von Siam, und dieſer
König hatte eine Tochter.“

„Klingt ja wie aus 'm Märchen.“

„Iſt auch, meine Herren. Eine Tochter, eine richtige
Prinzeſſin, und ein Nachbarfürſt (aber von geringerem
Stande, ſo daß man doch auch hier wieder an den
Kandidaten erinnert wird) — dieſer Nachbarfürſt raubte
die Prinzeſſin und nahm ſie mit in ſeine Heimat und
ſeinen Harem, trotz alles Sträubens.“

„Na, na.“

„So wenigſtens wird berichtet. Aber der König
von Siam war nicht der Mann, ſo was ruhig einzu¬
ſtecken. Er unternahm vielmehr einen heiligen Krieg
gegen den Nachbarfürſten, ſchlug ihn und führte die
Prinzeſſin im Triumphe wieder zurück. Und alles Volk
war wie von Sieg und Glück berauſcht. Aber die Prin¬
zeſſin ſelbſt war ſchwermütig.“

„Kann ich mir denken. Wollte wieder weg.“

„Nein, ihr Herren. Wollte nicht zurück. Denn es
war eine ſehr feine Dame, die gelitten hatte ...“

„Ja. Aber wie ...“

„Die gelitten hatte und fortan nur dem einen Ge¬
danken der Entſühnung lebte, dem Gedanken, wie das
Unheilige, das Berührtſein, wieder von ihr genommen
werden könne.“

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[256/0263] Die Herren vom Lande werden ſo leicht ungeduldig, und ich wundere mich oft, daß ſie die Predigt bis zu Ende mitanhören. Daneben iſt freilich meine Geſchichte aus Siam ...“ „Erzählen, Direktorchen, erzählen.“ „Nun denn, auf Ihre Gefahr. Freilich auch auf meine ... Da war alſo, und es iſt noch gar nicht lange her, ein König von Siam. Die Siameſen haben nämlich auch Könige.“ „Nu, natürlich. So tief ſtehen ſie doch nicht.“ „Alſo da war ein König von Siam, und dieſer König hatte eine Tochter.“ „Klingt ja wie aus 'm Märchen.“ „Iſt auch, meine Herren. Eine Tochter, eine richtige Prinzeſſin, und ein Nachbarfürſt (aber von geringerem Stande, ſo daß man doch auch hier wieder an den Kandidaten erinnert wird) — dieſer Nachbarfürſt raubte die Prinzeſſin und nahm ſie mit in ſeine Heimat und ſeinen Harem, trotz alles Sträubens.“ „Na, na.“ „So wenigſtens wird berichtet. Aber der König von Siam war nicht der Mann, ſo was ruhig einzu¬ ſtecken. Er unternahm vielmehr einen heiligen Krieg gegen den Nachbarfürſten, ſchlug ihn und führte die Prinzeſſin im Triumphe wieder zurück. Und alles Volk war wie von Sieg und Glück berauſcht. Aber die Prin¬ zeſſin ſelbſt war ſchwermütig.“ „Kann ich mir denken. Wollte wieder weg.“ „Nein, ihr Herren. Wollte nicht zurück. Denn es war eine ſehr feine Dame, die gelitten hatte ...“ „Ja. Aber wie ...“ „Die gelitten hatte und fortan nur dem einen Ge¬ danken der Entſühnung lebte, dem Gedanken, wie das Unheilige, das Berührtſein, wieder von ihr genommen werden könne.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/263>, abgerufen am 22.11.2024.