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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine
gewisse Fidelitas, an der es übrigens von Anfang an
nicht gefehlt hatte, konnte jetzt nachhaltiger in ihr Recht
treten. Allerdings war noch immer ein wichtiger und
zugleich schwieriger Toast in Sicht, der, der sich mit
Dubslav und dem unglücklichen Wahlausgange zu be¬
schäftigen hatte. Wer sollte den ausbringen? Man hing
dieser Frage mit einiger Sorge nach und war eigentlich
froh, als es mit einemmale hieß, Gundermann werde
sprechen. Zwar wußte jeder, daß der Siebenmühlener
nicht ernsthaft zu nehmen sei, ja, daß Sonderbarkeiten
und vielleicht sogar Scheiterungen in Sicht stünden, aber
man tröstete sich, je mehr er scheitere, desto besser. Die
meisten waren bereits in erheblicher Aufregung, also
sehr unkritisch. Eine kleine Weile verging noch. Dann
bat Baron Beetz, dem die Rolle des Festordners zuge¬
fallen war, für Herrn von Gundermann auf Sieben¬
mühlen ums Wort. Einige sprachen ungeniert weiter,
"Ruhe, Ruhe!" riefen andre dazwischen, und als Baron
Beetz noch einmal an das Glas geklopft und nun,
auch seinerseits um Ruhe bittend, eine leidliche Stille
hergestellt hatte, trat Gundermann hinter seinen Stuhl
und begann, während er mit affektierter Nonchalance
seine Linke in die Hosentasche steckte.

"Meine Herren. Als ich vor so und so viel Jahren
in Berlin studierte" ("na nu"), "als ich vor Jahren in
Berlin studierte, war da mal 'ne Hinrichtung ..."

"Alle Wetter, der setzt gut ein."

"... war da mal 'ne Hinrichtung, weil eine
dicke Klempnermadamm, nachdem sie sich in ihren Lehr¬
burschen verliebt, ihren Mann, einen würdigen Klempner¬
meister, vergiftet hatte. Und der Bengel war erst sieb¬
zehn. Ja, meine Herren, so viel muß ich sagen, es
kamen damals auch schon dolle Geschichten vor. Und
ich, weil ich den Gefängnisdirektor kannte, ich hatte

Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine
gewiſſe Fidelitas, an der es übrigens von Anfang an
nicht gefehlt hatte, konnte jetzt nachhaltiger in ihr Recht
treten. Allerdings war noch immer ein wichtiger und
zugleich ſchwieriger Toaſt in Sicht, der, der ſich mit
Dubslav und dem unglücklichen Wahlausgange zu be¬
ſchäftigen hatte. Wer ſollte den ausbringen? Man hing
dieſer Frage mit einiger Sorge nach und war eigentlich
froh, als es mit einemmale hieß, Gundermann werde
ſprechen. Zwar wußte jeder, daß der Siebenmühlener
nicht ernſthaft zu nehmen ſei, ja, daß Sonderbarkeiten
und vielleicht ſogar Scheiterungen in Sicht ſtünden, aber
man tröſtete ſich, je mehr er ſcheitere, deſto beſſer. Die
meiſten waren bereits in erheblicher Aufregung, alſo
ſehr unkritiſch. Eine kleine Weile verging noch. Dann
bat Baron Beetz, dem die Rolle des Feſtordners zuge¬
fallen war, für Herrn von Gundermann auf Sieben¬
mühlen ums Wort. Einige ſprachen ungeniert weiter,
„Ruhe, Ruhe!“ riefen andre dazwiſchen, und als Baron
Beetz noch einmal an das Glas geklopft und nun,
auch ſeinerſeits um Ruhe bittend, eine leidliche Stille
hergeſtellt hatte, trat Gundermann hinter ſeinen Stuhl
und begann, während er mit affektierter Nonchalance
ſeine Linke in die Hoſentaſche ſteckte.

„Meine Herren. Als ich vor ſo und ſo viel Jahren
in Berlin ſtudierte“ („na nu“), „als ich vor Jahren in
Berlin ſtudierte, war da mal 'ne Hinrichtung ...“

„Alle Wetter, der ſetzt gut ein.“

„... war da mal 'ne Hinrichtung, weil eine
dicke Klempnermadamm, nachdem ſie ſich in ihren Lehr¬
burſchen verliebt, ihren Mann, einen würdigen Klempner¬
meiſter, vergiftet hatte. Und der Bengel war erſt ſieb¬
zehn. Ja, meine Herren, ſo viel muß ich ſagen, es
kamen damals auch ſchon dolle Geſchichten vor. Und
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[249/0256] Das Offizielle war hierdurch erledigt, und eine gewiſſe Fidelitas, an der es übrigens von Anfang an nicht gefehlt hatte, konnte jetzt nachhaltiger in ihr Recht treten. Allerdings war noch immer ein wichtiger und zugleich ſchwieriger Toaſt in Sicht, der, der ſich mit Dubslav und dem unglücklichen Wahlausgange zu be¬ ſchäftigen hatte. Wer ſollte den ausbringen? Man hing dieſer Frage mit einiger Sorge nach und war eigentlich froh, als es mit einemmale hieß, Gundermann werde ſprechen. Zwar wußte jeder, daß der Siebenmühlener nicht ernſthaft zu nehmen ſei, ja, daß Sonderbarkeiten und vielleicht ſogar Scheiterungen in Sicht ſtünden, aber man tröſtete ſich, je mehr er ſcheitere, deſto beſſer. Die meiſten waren bereits in erheblicher Aufregung, alſo ſehr unkritiſch. Eine kleine Weile verging noch. Dann bat Baron Beetz, dem die Rolle des Feſtordners zuge¬ fallen war, für Herrn von Gundermann auf Sieben¬ mühlen ums Wort. Einige ſprachen ungeniert weiter, „Ruhe, Ruhe!“ riefen andre dazwiſchen, und als Baron Beetz noch einmal an das Glas geklopft und nun, auch ſeinerſeits um Ruhe bittend, eine leidliche Stille hergeſtellt hatte, trat Gundermann hinter ſeinen Stuhl und begann, während er mit affektierter Nonchalance ſeine Linke in die Hoſentaſche ſteckte. „Meine Herren. Als ich vor ſo und ſo viel Jahren in Berlin ſtudierte“ („na nu“), „als ich vor Jahren in Berlin ſtudierte, war da mal 'ne Hinrichtung ...“ „Alle Wetter, der ſetzt gut ein.“ „... war da mal 'ne Hinrichtung, weil eine dicke Klempnermadamm, nachdem ſie ſich in ihren Lehr¬ burſchen verliebt, ihren Mann, einen würdigen Klempner¬ meiſter, vergiftet hatte. Und der Bengel war erſt ſieb¬ zehn. Ja, meine Herren, ſo viel muß ich ſagen, es kamen damals auch ſchon dolle Geſchichten vor. Und ich, weil ich den Gefängnisdirektor kannte, ich hatte

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 249. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/256>, abgerufen am 23.11.2024.