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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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war, die kleinen Leute hinter sich hatte. Hunderte seiner
Parteigenossen standen in Gruppen auf dem Triangel¬
platz umher und unterhielten sich lachend über die Wahl¬
reden, die während der letzten Tage teils in Rheinsberg
und Wutz, teils auf dem platten Lande von Rednern
der gegnerischen Parteien gehalten worden waren. Einer
der mit unter den Bäumen Stehenden, ein Intimus
Torgelows, war der Drechslergeselle Söderkopp, der sich
schon lediglich in seiner Eigenschaft als Drechslergeselle
eines großen Ansehns erfreute. Jeder dachte: der kann
auch noch mal Bebel werden. "Warum nicht? Bebel
is alt, und dann haben wir den." Aber Söderkopp
verstand es auch wirklich, die Leute zu packen. Am
schärfsten ging er gegen Gundermann vor. "Ja, dieser
Gundermann, den kenn' ich. Brettschneider und Börsen¬
filou; jeder Groschen is zusammengejobbert. Sieben
Mühlen hat er, aber bloß zwei Redensarten, und der
Fortschritt ist abwechselnd die ,Vorfrucht' und dann wieder
der ,Vater' der Sozialdemokratie. Vielleicht stammen
wir auch noch von Gundermann ab. So einer bringt
alles fertig."

Uncke, während Söderkopp so sprach, war von Baum
zu Baum immer näher gerückt und machte seine Notizen.
In weiterer Entfernung stand Pyterke, schmunzelnd und
sichtlich verwundert, was Uncke wieder alles aufzuschreiben
habe.

Pyterkes Verwunderung über das "Aufschreiben"
war nur zu berechtigt, aber sie wär' es um ein gut Teil
weniger gewesen, wenn sich Unckes aufhorchender Dienst¬
eifer statt dem Sozialdemokraten Söderkopp lieber dem
Gespräch einer nebenstehenden Gruppe zugewandt hätte.
Hier plauderten nämlich mehrere "Staatserhaltende"
von dem mutmaßlichen Ausgange der Wahl und daß
es mit dem Siege des alten Stechlin von Minute
zu Minute schlechter stünde. Besonders die Rheins¬

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war, die kleinen Leute hinter ſich hatte. Hunderte ſeiner
Parteigenoſſen ſtanden in Gruppen auf dem Triangel¬
platz umher und unterhielten ſich lachend über die Wahl¬
reden, die während der letzten Tage teils in Rheinsberg
und Wutz, teils auf dem platten Lande von Rednern
der gegneriſchen Parteien gehalten worden waren. Einer
der mit unter den Bäumen Stehenden, ein Intimus
Torgelows, war der Drechslergeſelle Söderkopp, der ſich
ſchon lediglich in ſeiner Eigenſchaft als Drechslergeſelle
eines großen Anſehns erfreute. Jeder dachte: der kann
auch noch mal Bebel werden. „Warum nicht? Bebel
is alt, und dann haben wir den.“ Aber Söderkopp
verſtand es auch wirklich, die Leute zu packen. Am
ſchärfſten ging er gegen Gundermann vor. „Ja, dieſer
Gundermann, den kenn' ich. Brettſchneider und Börſen¬
filou; jeder Groſchen is zuſammengejobbert. Sieben
Mühlen hat er, aber bloß zwei Redensarten, und der
Fortſchritt iſt abwechſelnd die ‚Vorfrucht‘ und dann wieder
der ‚Vater‘ der Sozialdemokratie. Vielleicht ſtammen
wir auch noch von Gundermann ab. So einer bringt
alles fertig.“

Uncke, während Söderkopp ſo ſprach, war von Baum
zu Baum immer näher gerückt und machte ſeine Notizen.
In weiterer Entfernung ſtand Pyterke, ſchmunzelnd und
ſichtlich verwundert, was Uncke wieder alles aufzuſchreiben
habe.

Pyterkes Verwunderung über das „Aufſchreiben“
war nur zu berechtigt, aber ſie wär' es um ein gut Teil
weniger geweſen, wenn ſich Unckes aufhorchender Dienſt¬
eifer ſtatt dem Sozialdemokraten Söderkopp lieber dem
Geſpräch einer nebenſtehenden Gruppe zugewandt hätte.
Hier plauderten nämlich mehrere „Staatserhaltende“
von dem mutmaßlichen Ausgange der Wahl und daß
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zu Minute ſchlechter ſtünde. Beſonders die Rheins¬

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[243/0250] war, die kleinen Leute hinter ſich hatte. Hunderte ſeiner Parteigenoſſen ſtanden in Gruppen auf dem Triangel¬ platz umher und unterhielten ſich lachend über die Wahl¬ reden, die während der letzten Tage teils in Rheinsberg und Wutz, teils auf dem platten Lande von Rednern der gegneriſchen Parteien gehalten worden waren. Einer der mit unter den Bäumen Stehenden, ein Intimus Torgelows, war der Drechslergeſelle Söderkopp, der ſich ſchon lediglich in ſeiner Eigenſchaft als Drechslergeſelle eines großen Anſehns erfreute. Jeder dachte: der kann auch noch mal Bebel werden. „Warum nicht? Bebel is alt, und dann haben wir den.“ Aber Söderkopp verſtand es auch wirklich, die Leute zu packen. Am ſchärfſten ging er gegen Gundermann vor. „Ja, dieſer Gundermann, den kenn' ich. Brettſchneider und Börſen¬ filou; jeder Groſchen is zuſammengejobbert. Sieben Mühlen hat er, aber bloß zwei Redensarten, und der Fortſchritt iſt abwechſelnd die ‚Vorfrucht‘ und dann wieder der ‚Vater‘ der Sozialdemokratie. Vielleicht ſtammen wir auch noch von Gundermann ab. So einer bringt alles fertig.“ Uncke, während Söderkopp ſo ſprach, war von Baum zu Baum immer näher gerückt und machte ſeine Notizen. In weiterer Entfernung ſtand Pyterke, ſchmunzelnd und ſichtlich verwundert, was Uncke wieder alles aufzuſchreiben habe. Pyterkes Verwunderung über das „Aufſchreiben“ war nur zu berechtigt, aber ſie wär' es um ein gut Teil weniger geweſen, wenn ſich Unckes aufhorchender Dienſt¬ eifer ſtatt dem Sozialdemokraten Söderkopp lieber dem Geſpräch einer nebenſtehenden Gruppe zugewandt hätte. Hier plauderten nämlich mehrere „Staatserhaltende“ von dem mutmaßlichen Ausgange der Wahl und daß es mit dem Siege des alten Stechlin von Minute zu Minute ſchlechter ſtünde. Beſonders die Rheins¬ 16 *

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/250>, abgerufen am 04.05.2024.