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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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stand eine Gipsbüste, Geschenk eines dem Stammtisch an¬
gehörigen Bildhauers, der darauf hin einen leider aus¬
gebliebenen Auftrag in Marmor erwartet hatte. Fauteuils
und Stühle steckten in großblumigen Überzügen, des¬
gleichen der Kronleuchter in einem Gazemantel, und an
den Frontfenstern standen, den ganzen Winter über, Mai¬
blumen. Riekchen trug auch Maiblumen auf jeder ihrer
Hauben, war überhaupt, seit das Trauerjahr um war,
immer hell gekleidet, wodurch ihre Gestalt noch un¬
körperlicher wirkte. Jeden ersten Montag im Monat war
allgemeines Reinmachen, auch bei Wind und Kälte. Dies
war immer ein Tag größter Aufregung, weil jedesmal
etwas zerbrochen oder umgestoßen wurde. Das blieb
auch so durch Jahre hin, bis das Auftreten von Hedwig,
die sich einer sehr geschickten Hand erfreute, Wandel in
diesem Punkte schaffte. Die Nippsachen zerbrachen nun
nicht mehr, und Riekchen war um so glücklicher darüber,
als Hartwigs hübsche Nichte, wenn sie mal wieder den
Dienst gekündigt hatte, regelmäßig allerlei davon zu er¬
zählen und mit immer neuen und oft sehr intrikaten Ge¬
schichten ins Feld zu rücken wußte.

Die Barbys hatten alle Ursache, mit dem Schicke¬
danzschen Hause zufrieden zu sein. Nur eines störte, das
war, daß jeden Mittwoch und Sonnabend die Teppiche
geklopft wurden, immer gerade zu der Stunde, wo der
alte Graf seine Nachmittagsruhe halten wollte. Das ver¬
droß ihn eine Weile, bis er schließlich zu dem Ergebnis
kam: "Eigentlich bin ich doch selber schuld daran. Warum
setz' ich mich immer wieder in die Hinterstube, statt einfach
vorn an mein Fenster? Immer hasardier' ich wieder und
denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; willst es doch noch
mal versuchen."


Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung
zu haben, er hielt auch beinah abergläubisch an ihr fest.

ſtand eine Gipsbüſte, Geſchenk eines dem Stammtiſch an¬
gehörigen Bildhauers, der darauf hin einen leider aus¬
gebliebenen Auftrag in Marmor erwartet hatte. Fauteuils
und Stühle ſteckten in großblumigen Überzügen, des¬
gleichen der Kronleuchter in einem Gazemantel, und an
den Frontfenſtern ſtanden, den ganzen Winter über, Mai¬
blumen. Riekchen trug auch Maiblumen auf jeder ihrer
Hauben, war überhaupt, ſeit das Trauerjahr um war,
immer hell gekleidet, wodurch ihre Geſtalt noch un¬
körperlicher wirkte. Jeden erſten Montag im Monat war
allgemeines Reinmachen, auch bei Wind und Kälte. Dies
war immer ein Tag größter Aufregung, weil jedesmal
etwas zerbrochen oder umgeſtoßen wurde. Das blieb
auch ſo durch Jahre hin, bis das Auftreten von Hedwig,
die ſich einer ſehr geſchickten Hand erfreute, Wandel in
dieſem Punkte ſchaffte. Die Nippſachen zerbrachen nun
nicht mehr, und Riekchen war um ſo glücklicher darüber,
als Hartwigs hübſche Nichte, wenn ſie mal wieder den
Dienſt gekündigt hatte, regelmäßig allerlei davon zu er¬
zählen und mit immer neuen und oft ſehr intrikaten Ge¬
ſchichten ins Feld zu rücken wußte.

Die Barbys hatten alle Urſache, mit dem Schicke¬
danzſchen Hauſe zufrieden zu ſein. Nur eines ſtörte, das
war, daß jeden Mittwoch und Sonnabend die Teppiche
geklopft wurden, immer gerade zu der Stunde, wo der
alte Graf ſeine Nachmittagsruhe halten wollte. Das ver¬
droß ihn eine Weile, bis er ſchließlich zu dem Ergebnis
kam: „Eigentlich bin ich doch ſelber ſchuld daran. Warum
ſetz' ich mich immer wieder in die Hinterſtube, ſtatt einfach
vorn an mein Fenſter? Immer haſardier' ich wieder und
denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; willſt es doch noch
mal verſuchen.“


Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung
zu haben, er hielt auch beinah abergläubiſch an ihr feſt.

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[156/0163] ſtand eine Gipsbüſte, Geſchenk eines dem Stammtiſch an¬ gehörigen Bildhauers, der darauf hin einen leider aus¬ gebliebenen Auftrag in Marmor erwartet hatte. Fauteuils und Stühle ſteckten in großblumigen Überzügen, des¬ gleichen der Kronleuchter in einem Gazemantel, und an den Frontfenſtern ſtanden, den ganzen Winter über, Mai¬ blumen. Riekchen trug auch Maiblumen auf jeder ihrer Hauben, war überhaupt, ſeit das Trauerjahr um war, immer hell gekleidet, wodurch ihre Geſtalt noch un¬ körperlicher wirkte. Jeden erſten Montag im Monat war allgemeines Reinmachen, auch bei Wind und Kälte. Dies war immer ein Tag größter Aufregung, weil jedesmal etwas zerbrochen oder umgeſtoßen wurde. Das blieb auch ſo durch Jahre hin, bis das Auftreten von Hedwig, die ſich einer ſehr geſchickten Hand erfreute, Wandel in dieſem Punkte ſchaffte. Die Nippſachen zerbrachen nun nicht mehr, und Riekchen war um ſo glücklicher darüber, als Hartwigs hübſche Nichte, wenn ſie mal wieder den Dienſt gekündigt hatte, regelmäßig allerlei davon zu er¬ zählen und mit immer neuen und oft ſehr intrikaten Ge¬ ſchichten ins Feld zu rücken wußte. Die Barbys hatten alle Urſache, mit dem Schicke¬ danzſchen Hauſe zufrieden zu ſein. Nur eines ſtörte, das war, daß jeden Mittwoch und Sonnabend die Teppiche geklopft wurden, immer gerade zu der Stunde, wo der alte Graf ſeine Nachmittagsruhe halten wollte. Das ver¬ droß ihn eine Weile, bis er ſchließlich zu dem Ergebnis kam: „Eigentlich bin ich doch ſelber ſchuld daran. Warum ſetz' ich mich immer wieder in die Hinterſtube, ſtatt einfach vorn an mein Fenſter? Immer haſardier' ich wieder und denke: heute bleibt es vielleicht ruhig; willſt es doch noch mal verſuchen.“ Ja, der alte Graf war nicht bloß froh, die Wohnung zu haben, er hielt auch beinah abergläubiſch an ihr feſt.

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 156. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/163>, abgerufen am 06.05.2024.