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Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899.

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selbst und einigermaßen auch bei der Frau Hartwig, die
während der ganzen Rede beständig mit dem Kopf genickt
und nachträglich ihrem Manne bemerkt hatte: "Ja,
Hartwig, da liegt doch was drin." Hartwig selber indes,
der, im Gegensatz zu den meisten seines Standes, humo¬
ristisch angeflogen war, hatte für die merkwürdige Fügung
von "drei Tage vor Weihnachten" nicht das geringste
Verständnis gezeigt, vielmehr nur die Bemerkung dafür
gehabt: "Ich weiß nicht, Mutter, was du dir eigentlich
dabei denkst? Ein Tag ist wie der andre; mal muß man
'ran," -- worauf die Frau jedoch geantwortet hatte:
"Ja, Hartwig, das sagst du so immer; aber wenn du
dran bist, dann red'st du anders."

Der verstorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn
ankam, ein Leben hinter sich, das sich in zwei sehr ver¬
schiedene Hälften, in eine ganz kleine unbedeutende und
in eine ganz große teilte. Die unbedeutende Hälfte hatte
lange gedauert, die große nur ganz kurz. Er war ein
Ziegelstreichersohn aus dem bei Potsdam gelegenen Dorfe
Kaputt, was er, als er aus dem diesem Dorfnamen
entsprechenden Zustande heraus war, in Gesellschaft guter
Freunde gern hervorhob. Es war so ziemlich der ein¬
zige Witz seines Lebens, an dem er aber zäh festhielt,
weil er sah, daß er immer wieder wirkte. Manche gingen
so weit, ihm den Witz auch noch moralisch gutzuschreiben
und behaupteten: Schickedanz sei nicht bloß ein Cha¬
rakter, sondern auch eine bescheidene Natur.

Ob dies zutraf, wer will es sagen! Aber das war
sicher, daß er sich von Anfang an als ein aufgeweckter
Junge gezeigt hatte. Schon mit sechzehn war er als
Hilfsschreiber in die deutsch-englische Hagelversicherungs¬
gesellschaft Pluvius eingetreten und hatte mit sechsund¬
sechzig sein fünfzigjähriges Dienstjubiläum in eben dieser
Gesellschaft gefeiert. Das war aus bestimmten Gründen
ein großer Tag gewesen. Denn als Schickedanz ihn

ſelbſt und einigermaßen auch bei der Frau Hartwig, die
während der ganzen Rede beſtändig mit dem Kopf genickt
und nachträglich ihrem Manne bemerkt hatte: „Ja,
Hartwig, da liegt doch was drin.“ Hartwig ſelber indes,
der, im Gegenſatz zu den meiſten ſeines Standes, humo¬
riſtiſch angeflogen war, hatte für die merkwürdige Fügung
von „drei Tage vor Weihnachten“ nicht das geringſte
Verſtändnis gezeigt, vielmehr nur die Bemerkung dafür
gehabt: „Ich weiß nicht, Mutter, was du dir eigentlich
dabei denkſt? Ein Tag iſt wie der andre; mal muß man
'ran,“ — worauf die Frau jedoch geantwortet hatte:
„Ja, Hartwig, das ſagſt du ſo immer; aber wenn du
dran biſt, dann red'ſt du anders.“

Der verſtorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn
ankam, ein Leben hinter ſich, das ſich in zwei ſehr ver¬
ſchiedene Hälften, in eine ganz kleine unbedeutende und
in eine ganz große teilte. Die unbedeutende Hälfte hatte
lange gedauert, die große nur ganz kurz. Er war ein
Ziegelſtreicherſohn aus dem bei Potsdam gelegenen Dorfe
Kaputt, was er, als er aus dem dieſem Dorfnamen
entſprechenden Zuſtande heraus war, in Geſellſchaft guter
Freunde gern hervorhob. Es war ſo ziemlich der ein¬
zige Witz ſeines Lebens, an dem er aber zäh feſthielt,
weil er ſah, daß er immer wieder wirkte. Manche gingen
ſo weit, ihm den Witz auch noch moraliſch gutzuſchreiben
und behaupteten: Schickedanz ſei nicht bloß ein Cha¬
rakter, ſondern auch eine beſcheidene Natur.

Ob dies zutraf, wer will es ſagen! Aber das war
ſicher, daß er ſich von Anfang an als ein aufgeweckter
Junge gezeigt hatte. Schon mit ſechzehn war er als
Hilfsſchreiber in die deutſch-engliſche Hagelverſicherungs¬
geſellſchaft Pluvius eingetreten und hatte mit ſechsund¬
ſechzig ſein fünfzigjähriges Dienſtjubiläum in eben dieſer
Geſellſchaft gefeiert. Das war aus beſtimmten Gründen
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[151/0158] ſelbſt und einigermaßen auch bei der Frau Hartwig, die während der ganzen Rede beſtändig mit dem Kopf genickt und nachträglich ihrem Manne bemerkt hatte: „Ja, Hartwig, da liegt doch was drin.“ Hartwig ſelber indes, der, im Gegenſatz zu den meiſten ſeines Standes, humo¬ riſtiſch angeflogen war, hatte für die merkwürdige Fügung von „drei Tage vor Weihnachten“ nicht das geringſte Verſtändnis gezeigt, vielmehr nur die Bemerkung dafür gehabt: „Ich weiß nicht, Mutter, was du dir eigentlich dabei denkſt? Ein Tag iſt wie der andre; mal muß man 'ran,“ — worauf die Frau jedoch geantwortet hatte: „Ja, Hartwig, das ſagſt du ſo immer; aber wenn du dran biſt, dann red'ſt du anders.“ Der verſtorbene Schickedanz hatte, wie der Tod ihn ankam, ein Leben hinter ſich, das ſich in zwei ſehr ver¬ ſchiedene Hälften, in eine ganz kleine unbedeutende und in eine ganz große teilte. Die unbedeutende Hälfte hatte lange gedauert, die große nur ganz kurz. Er war ein Ziegelſtreicherſohn aus dem bei Potsdam gelegenen Dorfe Kaputt, was er, als er aus dem dieſem Dorfnamen entſprechenden Zuſtande heraus war, in Geſellſchaft guter Freunde gern hervorhob. Es war ſo ziemlich der ein¬ zige Witz ſeines Lebens, an dem er aber zäh feſthielt, weil er ſah, daß er immer wieder wirkte. Manche gingen ſo weit, ihm den Witz auch noch moraliſch gutzuſchreiben und behaupteten: Schickedanz ſei nicht bloß ein Cha¬ rakter, ſondern auch eine beſcheidene Natur. Ob dies zutraf, wer will es ſagen! Aber das war ſicher, daß er ſich von Anfang an als ein aufgeweckter Junge gezeigt hatte. Schon mit ſechzehn war er als Hilfsſchreiber in die deutſch-engliſche Hagelverſicherungs¬ geſellſchaft Pluvius eingetreten und hatte mit ſechsund¬ ſechzig ſein fünfzigjähriges Dienſtjubiläum in eben dieſer Geſellſchaft gefeiert. Das war aus beſtimmten Gründen ein großer Tag geweſen. Denn als Schickedanz ihn

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Der Stechlin. Berlin, 1899, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_stechlin_1899/158>, abgerufen am 06.05.2024.