Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.Ich war gleich nach dem gemeinsam eingenommenen Frühstück auf mein Zimmer zurückgekehrt und ohne jedes Wissen und Ahnen, welches Gespräch inzwischen über mich geführt wurde, hatte ich doch ein sehr bestimmtes Gefühl, daß nach Eintreffen dieses Besuches meine glücklichen Tage gezählt seien. Ich empfand, daß ein Wirbelwind in der Luft sei, der mich jeden Augenblick fassen könne, und so warf ich mich in einen Lehnstuhl und seufzte: "Meine Ruh' ist hin." Es schien aber fast, als ob ich mich geirrt haben sollte, die nächsten Stunden vergingen stiller und ungestörter, als gewöhnlich, und eine flüchtige Hoffnung überkam mich, meine Situation doch für schlimmer und verzweifelter als nötig angesehen zu haben. Ich las also wieder, schrieb einen langen Brief und fütterte die Vögel, die sich auf mein Fensterbrett gesetzt hatten - dann vernahm ich von fern her das Rufen des Kukuks und frug ihn: "wie viel Tage bleib' ich noch?" "Kukuk" und dann schwieg er wieder. "Nur einen Tag." Das schien mir doch zu wenig und ich mußte lachen! Eine halbe Stunde später klangen die bekannten drei Schläge zu mir herauf, die regelmäßig zu Tisch riefen, denn im Hause meines Freundes wurde nicht geläutet, sondern mit einem Paukenstocke gegen ein Ich war gleich nach dem gemeinsam eingenommenen Frühstück auf mein Zimmer zurückgekehrt und ohne jedes Wissen und Ahnen, welches Gespräch inzwischen über mich geführt wurde, hatte ich doch ein sehr bestimmtes Gefühl, daß nach Eintreffen dieses Besuches meine glücklichen Tage gezählt seien. Ich empfand, daß ein Wirbelwind in der Luft sei, der mich jeden Augenblick fassen könne, und so warf ich mich in einen Lehnstuhl und seufzte: „Meine Ruh’ ist hin.“ Es schien aber fast, als ob ich mich geirrt haben sollte, die nächsten Stunden vergingen stiller und ungestörter, als gewöhnlich, und eine flüchtige Hoffnung überkam mich, meine Situation doch für schlimmer und verzweifelter als nötig angesehen zu haben. Ich las also wieder, schrieb einen langen Brief und fütterte die Vögel, die sich auf mein Fensterbrett gesetzt hatten – dann vernahm ich von fern her das Rufen des Kukuks und frug ihn: „wie viel Tage bleib’ ich noch?“ „Kukuk“ und dann schwieg er wieder. „Nur einen Tag.“ Das schien mir doch zu wenig und ich mußte lachen! Eine halbe Stunde später klangen die bekannten drei Schläge zu mir herauf, die regelmäßig zu Tisch riefen, denn im Hause meines Freundes wurde nicht geläutet, sondern mit einem Paukenstocke gegen ein <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0096" n="94"/> <p>Ich war gleich nach dem gemeinsam eingenommenen Frühstück auf mein Zimmer zurückgekehrt und ohne jedes Wissen und Ahnen, welches Gespräch inzwischen über mich geführt wurde, hatte ich doch ein sehr bestimmtes Gefühl, daß nach Eintreffen dieses Besuches meine glücklichen Tage gezählt seien. Ich empfand, daß ein Wirbelwind in der Luft sei, der mich jeden Augenblick fassen könne, und so warf ich mich in einen Lehnstuhl und seufzte: „Meine Ruh’ ist hin.“</p><lb/> <p>Es schien aber fast, als ob ich mich geirrt haben sollte, die nächsten Stunden vergingen stiller und ungestörter, als gewöhnlich, und eine flüchtige Hoffnung überkam mich, meine Situation doch für schlimmer und verzweifelter als nötig angesehen zu haben. Ich las also wieder, schrieb einen langen Brief und fütterte die Vögel, die sich auf mein Fensterbrett gesetzt hatten – dann vernahm ich von fern her das Rufen des Kukuks und frug ihn: „wie viel Tage bleib’ ich noch?“ „Kukuk“ und dann schwieg er wieder. „Nur <hi rendition="#g">einen</hi> Tag.“ Das schien mir doch zu wenig und ich mußte lachen!</p><lb/> <p>Eine halbe Stunde später klangen die bekannten drei Schläge zu mir herauf, die regelmäßig zu Tisch riefen, denn im Hause meines Freundes wurde nicht geläutet, sondern mit einem Paukenstocke gegen ein </p> </div> </body> </text> </TEI> [94/0096]
Ich war gleich nach dem gemeinsam eingenommenen Frühstück auf mein Zimmer zurückgekehrt und ohne jedes Wissen und Ahnen, welches Gespräch inzwischen über mich geführt wurde, hatte ich doch ein sehr bestimmtes Gefühl, daß nach Eintreffen dieses Besuches meine glücklichen Tage gezählt seien. Ich empfand, daß ein Wirbelwind in der Luft sei, der mich jeden Augenblick fassen könne, und so warf ich mich in einen Lehnstuhl und seufzte: „Meine Ruh’ ist hin.“
Es schien aber fast, als ob ich mich geirrt haben sollte, die nächsten Stunden vergingen stiller und ungestörter, als gewöhnlich, und eine flüchtige Hoffnung überkam mich, meine Situation doch für schlimmer und verzweifelter als nötig angesehen zu haben. Ich las also wieder, schrieb einen langen Brief und fütterte die Vögel, die sich auf mein Fensterbrett gesetzt hatten – dann vernahm ich von fern her das Rufen des Kukuks und frug ihn: „wie viel Tage bleib’ ich noch?“ „Kukuk“ und dann schwieg er wieder. „Nur einen Tag.“ Das schien mir doch zu wenig und ich mußte lachen!
Eine halbe Stunde später klangen die bekannten drei Schläge zu mir herauf, die regelmäßig zu Tisch riefen, denn im Hause meines Freundes wurde nicht geläutet, sondern mit einem Paukenstocke gegen ein
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 94. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/96>, abgerufen am 16.02.2025. |