Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.neugierig den vom Regen halb verwaschenen Namen bequemer entziffern zu können. "O nicht doch" unterbrach sie lebhaft. ",Hier ruht das unschuldige Kind', das reicht aus, das ist genug, und immer, wenn ich es lese, giebt es mir einen Stich ins Herz, daß gerade dies die Stelle war, wo die Preußen einbrachen, hier, durch eben dieses Kirchhofsthor, und das Erste, was sie niedertraten und umwarfen, das waren diese Kreuze mit ihrer schlichten, so herzbeweglichen Inschrift ... Aber kommen Sie, Kindergräber erzählen nicht viel und sind nur rührsam. Ich will Sie lieber zu Ruth Brown führen." "Zu Ruth Brown? das klingt so englisch." "Und ist auch so: Generalin Ruth Brown. Uebrigens ist die Geschichte, die sich an ihr Grab knüpft, und zwar ganz äußerlich an ihr Grab als solches, eigentlich die Hauptsache. Denken Sie, die Generalin hat hier eine Art Mietsgrab bezogen oder wenigstens ein Grab aus zweiter Hand." "A second-hand grave?" "Ja, so könnte man's beinah nennen. Dies Grab hier hatte nämlich ursprünglich einen anderen Insassen und war die leicht ausgemauerte Behausung eines bei Kissingen gefallenen Offiziers. Als dieser Offizier aber in seine, wenn ich nicht irre, neugierig den vom Regen halb verwaschenen Namen bequemer entziffern zu können. „O nicht doch“ unterbrach sie lebhaft. „‚Hier ruht das unschuldige Kind‘, das reicht aus, das ist genug, und immer, wenn ich es lese, giebt es mir einen Stich ins Herz, daß gerade dies die Stelle war, wo die Preußen einbrachen, hier, durch eben dieses Kirchhofsthor, und das Erste, was sie niedertraten und umwarfen, das waren diese Kreuze mit ihrer schlichten, so herzbeweglichen Inschrift … Aber kommen Sie, Kindergräber erzählen nicht viel und sind nur rührsam. Ich will Sie lieber zu Ruth Brown führen.“ „Zu Ruth Brown? das klingt so englisch.“ „Und ist auch so: Generalin Ruth Brown. Uebrigens ist die Geschichte, die sich an ihr Grab knüpft, und zwar ganz äußerlich an ihr Grab als solches, eigentlich die Hauptsache. Denken Sie, die Generalin hat hier eine Art Mietsgrab bezogen oder wenigstens ein Grab aus zweiter Hand.“ „A second-hand grave?“ „Ja, so könnte man’s beinah nennen. Dies Grab hier hatte nämlich ursprünglich einen anderen Insassen und war die leicht ausgemauerte Behausung eines bei Kissingen gefallenen Offiziers. Als dieser Offizier aber in seine, wenn ich nicht irre, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0075" n="73"/> neugierig den vom Regen halb verwaschenen Namen bequemer entziffern zu können.</p><lb/> <p>„O nicht doch“ unterbrach sie lebhaft. „‚Hier ruht das unschuldige Kind‘, das reicht aus, das ist genug, und immer, wenn ich es lese, giebt es mir einen Stich ins Herz, daß gerade <hi rendition="#g">dies</hi> die Stelle war, wo die Preußen einbrachen, <hi rendition="#g">hier</hi>, durch eben dieses Kirchhofsthor, und das Erste, was sie niedertraten und umwarfen, das waren diese Kreuze mit ihrer schlichten, so herzbeweglichen Inschrift … Aber kommen Sie, Kindergräber erzählen nicht viel und sind nur rührsam. Ich will Sie lieber zu Ruth Brown führen.“</p><lb/> <p>„Zu Ruth Brown? das klingt so englisch.“</p><lb/> <p>„Und ist auch so: Generalin Ruth Brown. Uebrigens ist die Geschichte, die sich an ihr Grab knüpft, und zwar ganz äußerlich an ihr Grab als solches, eigentlich die Hauptsache. Denken Sie, die Generalin hat hier eine Art Mietsgrab bezogen oder wenigstens ein Grab aus zweiter Hand.“</p><lb/> <p>„A second-hand grave?“</p><lb/> <p>„Ja, so könnte man’s beinah nennen. Dies Grab hier hatte nämlich ursprünglich einen anderen Insassen und war die leicht ausgemauerte Behausung eines bei Kissingen gefallenen Offiziers. Als dieser Offizier aber in seine, wenn ich nicht irre, </p> </div> </body> </text> </TEI> [73/0075]
neugierig den vom Regen halb verwaschenen Namen bequemer entziffern zu können.
„O nicht doch“ unterbrach sie lebhaft. „‚Hier ruht das unschuldige Kind‘, das reicht aus, das ist genug, und immer, wenn ich es lese, giebt es mir einen Stich ins Herz, daß gerade dies die Stelle war, wo die Preußen einbrachen, hier, durch eben dieses Kirchhofsthor, und das Erste, was sie niedertraten und umwarfen, das waren diese Kreuze mit ihrer schlichten, so herzbeweglichen Inschrift … Aber kommen Sie, Kindergräber erzählen nicht viel und sind nur rührsam. Ich will Sie lieber zu Ruth Brown führen.“
„Zu Ruth Brown? das klingt so englisch.“
„Und ist auch so: Generalin Ruth Brown. Uebrigens ist die Geschichte, die sich an ihr Grab knüpft, und zwar ganz äußerlich an ihr Grab als solches, eigentlich die Hauptsache. Denken Sie, die Generalin hat hier eine Art Mietsgrab bezogen oder wenigstens ein Grab aus zweiter Hand.“
„A second-hand grave?“
„Ja, so könnte man’s beinah nennen. Dies Grab hier hatte nämlich ursprünglich einen anderen Insassen und war die leicht ausgemauerte Behausung eines bei Kissingen gefallenen Offiziers. Als dieser Offizier aber in seine, wenn ich nicht irre,
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/75>, abgerufen am 04.07.2024. |