Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894."Zwei und funfzig" simperte der Angeklagte ziemlich kleinlaut vor sich hin. "Um so schlimmer. Und anfällig wie Sie sind, mit Ihrer natürlichen Beanlagung für Asthma und Rheumatismus, Sie wollen einen alten Turnvater spielen und ohne Halstuch, frisch, fromm und frei, bei Sturm und Regen, in einem wahren Sündflutwetter, auf dem Kurfürstendamm spazieren gehn? Oder gar bis Wilmersdorf. Und abends eine Satte saure Milch? Und alles blos, weil Sie draußen in Thüringen ein paar hustenlose Tage gehabt haben? Es ist zum Lachen. Und nun hören Sie, wenn wir gute Freunde bleiben sollen: es wird morgens wieder ausgeschlafen, je länger, je besser; und danken Sie Gott, daß Sie nicht vor zehn Uhr früh an die Mitregierung des preußischen Staates heranmüssen. Und wenn Sie zwischen drei und vier, wie meine sächsischen Landsleute sagen, wieder ,daheeme' sind und sich's haben schmecken lassen - denn Ihre Frau versteht es; das weiß ich noch aus alten Zeiten und aus der Rosenthaler Straße her - dann legen Sie sich auf's Ohr und gönnen sich den Schlaf und die Ruhe des Gerechten." Es schien, daß Gottgetreu replicieren wollte. Der alte Geheimrat ließ es aber nicht dazu kommen und fuhr in superiorem Tone fort: "Ich „Zwei und funfzig“ simperte der Angeklagte ziemlich kleinlaut vor sich hin. „Um so schlimmer. Und anfällig wie Sie sind, mit Ihrer natürlichen Beanlagung für Asthma und Rheumatismus, Sie wollen einen alten Turnvater spielen und ohne Halstuch, frisch, fromm und frei, bei Sturm und Regen, in einem wahren Sündflutwetter, auf dem Kurfürstendamm spazieren gehn? Oder gar bis Wilmersdorf. Und abends eine Satte saure Milch? Und alles blos, weil Sie draußen in Thüringen ein paar hustenlose Tage gehabt haben? Es ist zum Lachen. Und nun hören Sie, wenn wir gute Freunde bleiben sollen: es wird morgens wieder ausgeschlafen, je länger, je besser; und danken Sie Gott, daß Sie nicht vor zehn Uhr früh an die Mitregierung des preußischen Staates heranmüssen. Und wenn Sie zwischen drei und vier, wie meine sächsischen Landsleute sagen, wieder ‚daheeme‘ sind und sich’s haben schmecken lassen – denn Ihre Frau versteht es; das weiß ich noch aus alten Zeiten und aus der Rosenthaler Straße her – dann legen Sie sich auf’s Ohr und gönnen sich den Schlaf und die Ruhe des Gerechten.“ Es schien, daß Gottgetreu replicieren wollte. Der alte Geheimrat ließ es aber nicht dazu kommen und fuhr in superiorem Tone fort: „Ich <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0035" n="33"/> <p>„Zwei und funfzig“ simperte der Angeklagte ziemlich kleinlaut vor sich hin.</p><lb/> <p>„Um so schlimmer. Und anfällig wie Sie sind, mit Ihrer natürlichen Beanlagung für Asthma und Rheumatismus, <hi rendition="#g">Sie</hi> wollen einen alten Turnvater spielen und ohne Halstuch, frisch, fromm und frei, bei Sturm und Regen, in einem wahren Sündflutwetter, auf dem Kurfürstendamm spazieren gehn? Oder gar bis Wilmersdorf. Und abends eine Satte saure Milch? Und alles blos, weil Sie draußen in Thüringen ein paar hustenlose Tage gehabt haben? Es ist zum Lachen. Und nun hören Sie, wenn wir gute Freunde bleiben sollen: es wird morgens wieder ausgeschlafen, je länger, je besser; und danken Sie Gott, daß Sie nicht vor zehn Uhr früh an die Mitregierung des preußischen Staates heranmüssen. Und wenn Sie zwischen drei und vier, wie meine sächsischen Landsleute sagen, wieder ‚daheeme‘ sind und sich’s haben schmecken lassen – denn Ihre Frau versteht es; das weiß ich noch aus alten Zeiten und aus der Rosenthaler Straße her – dann legen Sie sich auf’s Ohr und gönnen sich den Schlaf und die Ruhe des Gerechten.“</p><lb/> <p>Es schien, daß Gottgetreu replicieren wollte.</p><lb/> <p>Der alte Geheimrat ließ es aber nicht dazu kommen und fuhr in superiorem Tone fort: „Ich </p> </div> </body> </text> </TEI> [33/0035]
„Zwei und funfzig“ simperte der Angeklagte ziemlich kleinlaut vor sich hin.
„Um so schlimmer. Und anfällig wie Sie sind, mit Ihrer natürlichen Beanlagung für Asthma und Rheumatismus, Sie wollen einen alten Turnvater spielen und ohne Halstuch, frisch, fromm und frei, bei Sturm und Regen, in einem wahren Sündflutwetter, auf dem Kurfürstendamm spazieren gehn? Oder gar bis Wilmersdorf. Und abends eine Satte saure Milch? Und alles blos, weil Sie draußen in Thüringen ein paar hustenlose Tage gehabt haben? Es ist zum Lachen. Und nun hören Sie, wenn wir gute Freunde bleiben sollen: es wird morgens wieder ausgeschlafen, je länger, je besser; und danken Sie Gott, daß Sie nicht vor zehn Uhr früh an die Mitregierung des preußischen Staates heranmüssen. Und wenn Sie zwischen drei und vier, wie meine sächsischen Landsleute sagen, wieder ‚daheeme‘ sind und sich’s haben schmecken lassen – denn Ihre Frau versteht es; das weiß ich noch aus alten Zeiten und aus der Rosenthaler Straße her – dann legen Sie sich auf’s Ohr und gönnen sich den Schlaf und die Ruhe des Gerechten.“
Es schien, daß Gottgetreu replicieren wollte.
Der alte Geheimrat ließ es aber nicht dazu kommen und fuhr in superiorem Tone fort: „Ich
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/35>, abgerufen am 04.07.2024. |