Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.Aber auch damit kam ich nicht weit. Er harkte das Heu auseinander, wenn es trocknen sollte, und harkte es wieder zusammen, wenn es trocken war; er machte Botengänge nach Agnetendorf hinunter oder nach Kirche Wang hinauf, und saß, wenn man ihn nicht abrief, an einer auf der Scheunendiele stehenden Hobelbank, um da alles wieder in stand zu setzen, was zerbrochen oder irgendwie reparaturbedürftig war. Ein Topf Milchkaffee stand meist neben ihm, von dem er übrigens mehr nippte als trank. Die sieben Fräuleins waren viel um ihn her und suchten ihn in kirchliche Fragen zu verwickeln, denen er immer klug auswich. "Das gab es noch nicht, als ich jung war," oder "das ist nichts mehr für meinen alten Kopf," - das waren so seine Lieblingsantworten, und weil er sie meist mit einem artigen und feinen Lächeln begleitete, fiel ich immer wieder in die Vorstellung seiner Vornehmheit oder einer mal von ihm gespielten Gesellschaftsrolle zurück. Schließlich indes konnt' ich mich gegen die Wahrnehmung nicht wehren, daß ein paar bloße Zufälligkeiten mich irre geführt hätten, und als der nächste Samstag zur Rüste ging und der alte Wilhelm mit seinem Bettsack und Kleiderbündel unter freundlichem Gruß wieder an mir vorüberfuhr, genau denselben Schlängelpfad hinauf, den er die Woche vorher Aber auch damit kam ich nicht weit. Er harkte das Heu auseinander, wenn es trocknen sollte, und harkte es wieder zusammen, wenn es trocken war; er machte Botengänge nach Agnetendorf hinunter oder nach Kirche Wang hinauf, und saß, wenn man ihn nicht abrief, an einer auf der Scheunendiele stehenden Hobelbank, um da alles wieder in stand zu setzen, was zerbrochen oder irgendwie reparaturbedürftig war. Ein Topf Milchkaffee stand meist neben ihm, von dem er übrigens mehr nippte als trank. Die sieben Fräuleins waren viel um ihn her und suchten ihn in kirchliche Fragen zu verwickeln, denen er immer klug auswich. „Das gab es noch nicht, als ich jung war,“ oder „das ist nichts mehr für meinen alten Kopf,“ – das waren so seine Lieblingsantworten, und weil er sie meist mit einem artigen und feinen Lächeln begleitete, fiel ich immer wieder in die Vorstellung seiner Vornehmheit oder einer mal von ihm gespielten Gesellschaftsrolle zurück. Schließlich indes konnt’ ich mich gegen die Wahrnehmung nicht wehren, daß ein paar bloße Zufälligkeiten mich irre geführt hätten, und als der nächste Samstag zur Rüste ging und der alte Wilhelm mit seinem Bettsack und Kleiderbündel unter freundlichem Gruß wieder an mir vorüberfuhr, genau denselben Schlängelpfad hinauf, den er die Woche vorher <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0223" n="221"/> Aber auch damit kam ich nicht weit. Er harkte das Heu auseinander, wenn es trocknen sollte, und harkte es wieder zusammen, wenn es trocken war; er machte Botengänge nach Agnetendorf hinunter oder nach Kirche Wang hinauf, und saß, wenn man ihn nicht abrief, an einer auf der Scheunendiele stehenden Hobelbank, um da alles wieder in stand zu setzen, was zerbrochen oder irgendwie reparaturbedürftig war. Ein Topf Milchkaffee stand meist neben ihm, von dem er übrigens mehr nippte als trank. Die sieben Fräuleins waren viel um ihn her und suchten ihn in kirchliche Fragen zu verwickeln, denen er immer klug auswich. „Das gab es noch nicht, als ich jung war,“ oder „das ist nichts mehr für meinen alten Kopf,“ – das waren so seine Lieblingsantworten, und weil er sie meist mit einem artigen und feinen Lächeln begleitete, fiel ich immer wieder in die Vorstellung seiner Vornehmheit oder einer mal von ihm gespielten Gesellschaftsrolle zurück. Schließlich indes konnt’ ich mich gegen die Wahrnehmung nicht wehren, daß ein paar bloße Zufälligkeiten mich irre geführt hätten, und als der nächste Samstag zur Rüste ging und der alte Wilhelm mit seinem Bettsack und Kleiderbündel unter freundlichem Gruß wieder an mir vorüberfuhr, genau denselben Schlängelpfad hinauf, den er die Woche vorher </p> </div> </body> </text> </TEI> [221/0223]
Aber auch damit kam ich nicht weit. Er harkte das Heu auseinander, wenn es trocknen sollte, und harkte es wieder zusammen, wenn es trocken war; er machte Botengänge nach Agnetendorf hinunter oder nach Kirche Wang hinauf, und saß, wenn man ihn nicht abrief, an einer auf der Scheunendiele stehenden Hobelbank, um da alles wieder in stand zu setzen, was zerbrochen oder irgendwie reparaturbedürftig war. Ein Topf Milchkaffee stand meist neben ihm, von dem er übrigens mehr nippte als trank. Die sieben Fräuleins waren viel um ihn her und suchten ihn in kirchliche Fragen zu verwickeln, denen er immer klug auswich. „Das gab es noch nicht, als ich jung war,“ oder „das ist nichts mehr für meinen alten Kopf,“ – das waren so seine Lieblingsantworten, und weil er sie meist mit einem artigen und feinen Lächeln begleitete, fiel ich immer wieder in die Vorstellung seiner Vornehmheit oder einer mal von ihm gespielten Gesellschaftsrolle zurück. Schließlich indes konnt’ ich mich gegen die Wahrnehmung nicht wehren, daß ein paar bloße Zufälligkeiten mich irre geführt hätten, und als der nächste Samstag zur Rüste ging und der alte Wilhelm mit seinem Bettsack und Kleiderbündel unter freundlichem Gruß wieder an mir vorüberfuhr, genau denselben Schlängelpfad hinauf, den er die Woche vorher
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Zitationshilfe: | Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894, S. 221. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_reise_1894/223>, abgerufen am 04.07.2024. |