Fontane, Theodor: Von vor und nach der Reise. 2. Aufl. Berlin, 1894.ein Schaf", eine kränkende Bezeichnung, die sogar zweimal unterstrichen war. Auf welcher Seite die tiefere Menschenkenntnis lag, wer will es sagen? Haß irrt, aber Liebe auch. Sinnend und enttäuscht zugleich, hing ich dem allem nach, mehr und mehr von der Erfolglosigkeit meines Studienspazierganges und damit zugleich auch von der Notwendigkeit eines Rückzuges durchdrungen. Ich trat ihn an und kaum eine Viertelstunde später, so lag auch schon die heuer im April bereits zur Maienlaube gewordene Bellevuestraße hinter mir und scharf rechts biegend, trat ich bei Josty ein, um mich, nach all den Anstrengungen meiner Entdeckungsreise, durch eine Tasse Kaffee zu kräftigen. Es war ziemlich voll unter dem Glaspavillon oben und siehe da, neben mir in hellblauer Seide, saßen jetzt zwei Chinesen, ihre Zöpfe beinah kokett über die Stuhllehne niederhängend. Der jüngere, vielleicht erratend von welchen chinesischen Attentaten ich herkam, sah mich schelmisch freundlich an, so schelmisch, wie nur Chinesen einen ansehen können, der ältere aber war in seine Lektüre vertieft, nicht in Kon-fut-se, wohl aber in die Kölnische Zeitung. Und als nun die Tasse kam und ich das anderthalb Stunden lang vergeblich gesuchte Himmlische Reich so bequem und ein Schaf“, eine kränkende Bezeichnung, die sogar zweimal unterstrichen war. Auf welcher Seite die tiefere Menschenkenntnis lag, wer will es sagen? Haß irrt, aber Liebe auch. Sinnend und enttäuscht zugleich, hing ich dem allem nach, mehr und mehr von der Erfolglosigkeit meines Studienspazierganges und damit zugleich auch von der Notwendigkeit eines Rückzuges durchdrungen. Ich trat ihn an und kaum eine Viertelstunde später, so lag auch schon die heuer im April bereits zur Maienlaube gewordene Bellevuestraße hinter mir und scharf rechts biegend, trat ich bei Josty ein, um mich, nach all den Anstrengungen meiner Entdeckungsreise, durch eine Tasse Kaffee zu kräftigen. Es war ziemlich voll unter dem Glaspavillon oben und siehe da, neben mir in hellblauer Seide, saßen jetzt zwei Chinesen, ihre Zöpfe beinah kokett über die Stuhllehne niederhängend. Der jüngere, vielleicht erratend von welchen chinesischen Attentaten ich herkam, sah mich schelmisch freundlich an, so schelmisch, wie nur Chinesen einen ansehen können, der ältere aber war in seine Lektüre vertieft, nicht in Kon-fut-se, wohl aber in die Kölnische Zeitung. Und als nun die Tasse kam und ich das anderthalb Stunden lang vergeblich gesuchte Himmlische Reich so bequem und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0167" n="165"/> ein Schaf“, eine kränkende Bezeichnung, die sogar zweimal unterstrichen war. Auf welcher Seite die tiefere Menschenkenntnis lag, wer will es sagen? Haß irrt, aber Liebe auch.</p><lb/> <p>Sinnend und enttäuscht zugleich, hing ich dem allem nach, mehr und mehr von der Erfolglosigkeit meines Studienspazierganges und damit zugleich auch von der Notwendigkeit eines Rückzuges durchdrungen.</p><lb/> <p>Ich trat ihn an und kaum eine Viertelstunde später, so lag auch schon die heuer im April bereits zur Maienlaube gewordene Bellevuestraße hinter mir und scharf rechts biegend, trat ich bei Josty ein, um mich, nach all den Anstrengungen meiner Entdeckungsreise, durch eine Tasse Kaffee zu kräftigen. Es war ziemlich voll unter dem Glaspavillon oben und siehe da, neben mir in hellblauer Seide, saßen jetzt zwei <hi rendition="#g">Chinesen</hi>, ihre Zöpfe beinah kokett über die Stuhllehne niederhängend. Der jüngere, vielleicht erratend von welchen chinesischen Attentaten ich herkam, sah mich schelmisch freundlich an, so schelmisch, wie nur Chinesen einen ansehen können, der ältere aber war in seine Lektüre vertieft, nicht in Kon-fut-se, wohl aber in die Kölnische Zeitung. Und als nun die Tasse kam und ich das anderthalb Stunden lang vergeblich gesuchte Himmlische Reich so bequem und </p> </div> </body> </text> </TEI> [165/0167]
ein Schaf“, eine kränkende Bezeichnung, die sogar zweimal unterstrichen war. Auf welcher Seite die tiefere Menschenkenntnis lag, wer will es sagen? Haß irrt, aber Liebe auch.
Sinnend und enttäuscht zugleich, hing ich dem allem nach, mehr und mehr von der Erfolglosigkeit meines Studienspazierganges und damit zugleich auch von der Notwendigkeit eines Rückzuges durchdrungen.
Ich trat ihn an und kaum eine Viertelstunde später, so lag auch schon die heuer im April bereits zur Maienlaube gewordene Bellevuestraße hinter mir und scharf rechts biegend, trat ich bei Josty ein, um mich, nach all den Anstrengungen meiner Entdeckungsreise, durch eine Tasse Kaffee zu kräftigen. Es war ziemlich voll unter dem Glaspavillon oben und siehe da, neben mir in hellblauer Seide, saßen jetzt zwei Chinesen, ihre Zöpfe beinah kokett über die Stuhllehne niederhängend. Der jüngere, vielleicht erratend von welchen chinesischen Attentaten ich herkam, sah mich schelmisch freundlich an, so schelmisch, wie nur Chinesen einen ansehen können, der ältere aber war in seine Lektüre vertieft, nicht in Kon-fut-se, wohl aber in die Kölnische Zeitung. Und als nun die Tasse kam und ich das anderthalb Stunden lang vergeblich gesuchte Himmlische Reich so bequem und
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(2014-01-22T15:28:28Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Frederike Neuber, Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-22T15:28:28Z)
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2014-01-22T15:28:28Z)
Weitere Informationen:Theodor Fontane: Von vor und nach der Reise. Plaudereien und kleine Geschichten. Hrsg. von Walter Hettche und Gabriele Radecke. Berlin 2007 [= Große Brandenburger Ausgabe, Das erzählerische Werk, Bd. 19]: Bereitstellung der Texttranskription (mit freundlicher Genehmigung des Aufbau-Verlags Berlin). Anmerkungen zur Transkription:
Auslassungszeichen im Text werden einheitlich als U+2026 <…> (HORIZONTAL ELLIPSIS) wiedergegeben.
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