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Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888.

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das ganze Vaterunser steht. Alles blos durch die
Loupe zu sehen."

"Und so sprecht Ihr!"

"Ganz so, mein Schatz. Und wenn ich mit
meiner Nachbarin zur Linken, also mit Komtesse
Lene fertig bin, so wend' ich mich zu meiner Nach¬
barin zur Rechten, also zu Frau Baronin Dörr. . ."

Die Dörr schlug vor Entzücken mit der Hand
aufs Knie, daß es einen lauten Puff gab ...

"Zu Frau Baronin Dörr also. Und spreche
nun worüber? Nun, sagen wir über Morcheln."

"Aber mein Gott, Morcheln. Ueber Morcheln,
Herr Baron, das geht doch nicht."

"O warum nicht, warum soll es nicht gehen,
liebe Frau Dörr? Das ist ein sehr ernstes und
lehrreiches Gespräch und hat für manche mehr Be¬
deutung, als Sie glauben. Ich besuchte mal einen
Freund in Polen, Regiments- und Kriegskameraden,
der ein großes Schloß bewohnte, roth und mit zwei
dicken Thürmen, und so furchtbar alt, wie's eigent¬
lich gar nicht mehr vorkommt. Und das letzte Zimmer
war sein Wohnzimmer; denn er war unverheirathet,
weil er ein Weiberfeind war . . ."

"Ist es möglich?"

"Und überall waren morsche, durchgetretene Dielen
und immer, wo ein paar Dielen fehlten, da war

das ganze Vaterunſer ſteht. Alles blos durch die
Loupe zu ſehen.“

„Und ſo ſprecht Ihr!“

„Ganz ſo, mein Schatz. Und wenn ich mit
meiner Nachbarin zur Linken, alſo mit Komteſſe
Lene fertig bin, ſo wend' ich mich zu meiner Nach¬
barin zur Rechten, alſo zu Frau Baronin Dörr. . .“

Die Dörr ſchlug vor Entzücken mit der Hand
aufs Knie, daß es einen lauten Puff gab ...

„Zu Frau Baronin Dörr alſo. Und ſpreche
nun worüber? Nun, ſagen wir über Morcheln.“

„Aber mein Gott, Morcheln. Ueber Morcheln,
Herr Baron, das geht doch nicht.“

„O warum nicht, warum ſoll es nicht gehen,
liebe Frau Dörr? Das iſt ein ſehr ernſtes und
lehrreiches Geſpräch und hat für manche mehr Be¬
deutung, als Sie glauben. Ich beſuchte mal einen
Freund in Polen, Regiments- und Kriegskameraden,
der ein großes Schloß bewohnte, roth und mit zwei
dicken Thürmen, und ſo furchtbar alt, wie's eigent¬
lich gar nicht mehr vorkommt. Und das letzte Zimmer
war ſein Wohnzimmer; denn er war unverheirathet,
weil er ein Weiberfeind war . . .“

„Iſt es möglich?“

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[36/0046] das ganze Vaterunſer ſteht. Alles blos durch die Loupe zu ſehen.“ „Und ſo ſprecht Ihr!“ „Ganz ſo, mein Schatz. Und wenn ich mit meiner Nachbarin zur Linken, alſo mit Komteſſe Lene fertig bin, ſo wend' ich mich zu meiner Nach¬ barin zur Rechten, alſo zu Frau Baronin Dörr. . .“ Die Dörr ſchlug vor Entzücken mit der Hand aufs Knie, daß es einen lauten Puff gab ... „Zu Frau Baronin Dörr alſo. Und ſpreche nun worüber? Nun, ſagen wir über Morcheln.“ „Aber mein Gott, Morcheln. Ueber Morcheln, Herr Baron, das geht doch nicht.“ „O warum nicht, warum ſoll es nicht gehen, liebe Frau Dörr? Das iſt ein ſehr ernſtes und lehrreiches Geſpräch und hat für manche mehr Be¬ deutung, als Sie glauben. Ich beſuchte mal einen Freund in Polen, Regiments- und Kriegskameraden, der ein großes Schloß bewohnte, roth und mit zwei dicken Thürmen, und ſo furchtbar alt, wie's eigent¬ lich gar nicht mehr vorkommt. Und das letzte Zimmer war ſein Wohnzimmer; denn er war unverheirathet, weil er ein Weiberfeind war . . .“ „Iſt es möglich?“ „Und überall waren morſche, durchgetretene Dielen und immer, wo ein paar Dielen fehlten, da war

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Irrungen, Wirrungen. Leipzig, 1888, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_irrungen_1888/46>, abgerufen am 27.04.2024.