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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
gesellschaft gehörte, hatte sich auf dem Rückwege von
der Kirche zum Hochzeitshause dahin geäußert, es
sei doch merkwürdig, wie reich gesät in einem Staate,
wie der unsrige, die Talente seien. "Ich sehe darin
einen Triumph unserer Schulen und vielleicht mehr
noch unserer Philosophie. Wenn ich bedenke, dieser
Niemeyer, ein alter Dorfpastor, der anfangs aussah
wie ein Hospitalit ... ja, Freund, sagen Sie selbst
hat er nicht gesprochen wie ein Hofprediger. Dieser
Takt und diese Kunst der Antithese, ganz wie Kögel
und an Gefühl ihm noch über. Kögel ist zu kalt.
Freilich ein Mann in seiner Stellung muß kalt sein.
Woran scheitert man denn im Leben überhaupt?
Immer nur an der Wärme." Der noch unverheiratete,
aber wohl eben deshalb zum viertenmale in einem
"Verhältnis" stehende Würdenträger, an den sich
diese Worte gerichtet hatten, stimmte selbstverständlich
zu. "Nur zu wahr, lieber Freund," sagte er. "Zu
viel Wärme! ... ganz vorzüglich ... Übrigens
muß ich Ihnen nachher eine Geschichte erzählen."


Der Tag nach der Hochzeit war ein heller
Oktobertag. Die Morgensonne blinkte; trotzdem war
es schon herbstlich frisch, und Briest, der eben ge¬
meinschaftlich mit seiner Frau das Frühstück ge¬

Effi Brieſt
geſellſchaft gehörte, hatte ſich auf dem Rückwege von
der Kirche zum Hochzeitshauſe dahin geäußert, es
ſei doch merkwürdig, wie reich geſät in einem Staate,
wie der unſrige, die Talente ſeien. „Ich ſehe darin
einen Triumph unſerer Schulen und vielleicht mehr
noch unſerer Philoſophie. Wenn ich bedenke, dieſer
Niemeyer, ein alter Dorfpaſtor, der anfangs ausſah
wie ein Hoſpitalit … ja, Freund, ſagen Sie ſelbſt
hat er nicht geſprochen wie ein Hofprediger. Dieſer
Takt und dieſe Kunſt der Antitheſe, ganz wie Kögel
und an Gefühl ihm noch über. Kögel iſt zu kalt.
Freilich ein Mann in ſeiner Stellung muß kalt ſein.
Woran ſcheitert man denn im Leben überhaupt?
Immer nur an der Wärme.“ Der noch unverheiratete,
aber wohl eben deshalb zum viertenmale in einem
„Verhältnis“ ſtehende Würdenträger, an den ſich
dieſe Worte gerichtet hatten, ſtimmte ſelbſtverſtändlich
zu. „Nur zu wahr, lieber Freund,“ ſagte er. „Zu
viel Wärme! … ganz vorzüglich … Übrigens
muß ich Ihnen nachher eine Geſchichte erzählen.“


Der Tag nach der Hochzeit war ein heller
Oktobertag. Die Morgenſonne blinkte; trotzdem war
es ſchon herbſtlich friſch, und Brieſt, der eben ge¬
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[54/0063] Effi Brieſt geſellſchaft gehörte, hatte ſich auf dem Rückwege von der Kirche zum Hochzeitshauſe dahin geäußert, es ſei doch merkwürdig, wie reich geſät in einem Staate, wie der unſrige, die Talente ſeien. „Ich ſehe darin einen Triumph unſerer Schulen und vielleicht mehr noch unſerer Philoſophie. Wenn ich bedenke, dieſer Niemeyer, ein alter Dorfpaſtor, der anfangs ausſah wie ein Hoſpitalit … ja, Freund, ſagen Sie ſelbſt hat er nicht geſprochen wie ein Hofprediger. Dieſer Takt und dieſe Kunſt der Antitheſe, ganz wie Kögel und an Gefühl ihm noch über. Kögel iſt zu kalt. Freilich ein Mann in ſeiner Stellung muß kalt ſein. Woran ſcheitert man denn im Leben überhaupt? Immer nur an der Wärme.“ Der noch unverheiratete, aber wohl eben deshalb zum viertenmale in einem „Verhältnis“ ſtehende Würdenträger, an den ſich dieſe Worte gerichtet hatten, ſtimmte ſelbſtverſtändlich zu. „Nur zu wahr, lieber Freund,“ ſagte er. „Zu viel Wärme! … ganz vorzüglich … Übrigens muß ich Ihnen nachher eine Geſchichte erzählen.“ Der Tag nach der Hochzeit war ein heller Oktobertag. Die Morgenſonne blinkte; trotzdem war es ſchon herbſtlich friſch, und Brieſt, der eben ge¬ meinſchaftlich mit ſeiner Frau das Frühſtück ge¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/63>, abgerufen am 23.11.2024.