Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

Bild:
<< vorherige Seite
Effi Briest

"Ja," sagte Wüllersdorf, als er das Papier
wieder zusammenfaltete, "die ist uns über."

"Finde ich auch."

"Und das ist auch der Grund, daß Ihnen alles
andere so fraglich erscheint."

"Sie treffen's. Es geht mir schon lange durch
den Kopf, und diese schlichten Worte mit ihrer ge¬
wollten oder vielleicht auch nicht gewollten Anklage
haben mich wieder vollends aus dem Häuschen ge¬
bracht. Es quält mich seit Jahr und Tag schon,
und ich möchte aus dieser ganzen Geschichte heraus;
nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich aus¬
zeichnet, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts ist.
Mein Leben ist verpfuscht, und so hab' ich mir im
Stillen ausgedacht, ich müßte mit all' den Strebungen
und Eitelkeiten überhaupt nichts mehr zu thun
haben, und mein Schulmeistertum, was ja wohl
mein Eigentlichstes ist, als ein höherer Sittendirektor
verwenden können. Es hat ja dergleichen gegeben.
Ich müßte also, wenn's ginge, solche schrecklich be¬
rühmte Figur werden, wie beispielsweise der Doktor
Wichern im Rauhen Hause zu Hamburg gewesen ist,
dieser Mirakelmensch, der alle Verbrecher mit seinem
Blick und seiner Frömmigkeit bändigte ..."

"Hm, dagegen ist nichts zu sagen; das würde
gehen."

Effi Brieſt

„Ja,“ ſagte Wüllersdorf, als er das Papier
wieder zuſammenfaltete, „die iſt uns über.“

„Finde ich auch.“

„Und das iſt auch der Grund, daß Ihnen alles
andere ſo fraglich erſcheint.“

„Sie treffen's. Es geht mir ſchon lange durch
den Kopf, und dieſe ſchlichten Worte mit ihrer ge¬
wollten oder vielleicht auch nicht gewollten Anklage
haben mich wieder vollends aus dem Häuschen ge¬
bracht. Es quält mich ſeit Jahr und Tag ſchon,
und ich möchte aus dieſer ganzen Geſchichte heraus;
nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich aus¬
zeichnet, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts iſt.
Mein Leben iſt verpfuſcht, und ſo hab' ich mir im
Stillen ausgedacht, ich müßte mit all' den Strebungen
und Eitelkeiten überhaupt nichts mehr zu thun
haben, und mein Schulmeiſtertum, was ja wohl
mein Eigentlichſtes iſt, als ein höherer Sittendirektor
verwenden können. Es hat ja dergleichen gegeben.
Ich müßte alſo, wenn's ginge, ſolche ſchrecklich be¬
rühmte Figur werden, wie beiſpielsweiſe der Doktor
Wichern im Rauhen Hauſe zu Hamburg geweſen iſt,
dieſer Mirakelmenſch, der alle Verbrecher mit ſeinem
Blick und ſeiner Frömmigkeit bändigte …“

„Hm, dagegen iſt nichts zu ſagen; das würde
gehen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0514" n="505"/>
        <fw place="top" type="header">Effi Brie&#x017F;t<lb/></fw>
        <p>&#x201E;Ja,&#x201C; &#x017F;agte Wüllersdorf, als er das Papier<lb/>
wieder zu&#x017F;ammenfaltete, &#x201E;die i&#x017F;t uns über.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Finde ich auch.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und das i&#x017F;t auch der Grund, daß Ihnen alles<lb/>
andere &#x017F;o fraglich er&#x017F;cheint.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie treffen's. Es geht mir &#x017F;chon lange durch<lb/>
den Kopf, und die&#x017F;e &#x017F;chlichten Worte mit ihrer ge¬<lb/>
wollten oder vielleicht auch nicht gewollten Anklage<lb/>
haben mich wieder vollends aus dem Häuschen ge¬<lb/>
bracht. Es quält mich &#x017F;eit Jahr und Tag &#x017F;chon,<lb/>
und ich möchte aus die&#x017F;er ganzen Ge&#x017F;chichte heraus;<lb/>
nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich aus¬<lb/>
zeichnet, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts i&#x017F;t.<lb/>
Mein Leben i&#x017F;t verpfu&#x017F;cht, und &#x017F;o hab' ich mir im<lb/>
Stillen ausgedacht, ich müßte mit all' den Strebungen<lb/>
und Eitelkeiten überhaupt nichts mehr zu thun<lb/>
haben, und mein Schulmei&#x017F;tertum, was ja wohl<lb/>
mein Eigentlich&#x017F;tes i&#x017F;t, als ein höherer Sittendirektor<lb/>
verwenden können. Es hat ja dergleichen gegeben.<lb/>
Ich müßte al&#x017F;o, wenn's ginge, &#x017F;olche &#x017F;chrecklich be¬<lb/>
rühmte Figur werden, wie bei&#x017F;pielswei&#x017F;e der Doktor<lb/>
Wichern im Rauhen Hau&#x017F;e zu Hamburg gewe&#x017F;en i&#x017F;t,<lb/>
die&#x017F;er Mirakelmen&#x017F;ch, der alle Verbrecher mit &#x017F;einem<lb/>
Blick und &#x017F;einer Frömmigkeit bändigte &#x2026;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Hm, dagegen i&#x017F;t nichts zu &#x017F;agen; das würde<lb/>
gehen.&#x201C;</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[505/0514] Effi Brieſt „Ja,“ ſagte Wüllersdorf, als er das Papier wieder zuſammenfaltete, „die iſt uns über.“ „Finde ich auch.“ „Und das iſt auch der Grund, daß Ihnen alles andere ſo fraglich erſcheint.“ „Sie treffen's. Es geht mir ſchon lange durch den Kopf, und dieſe ſchlichten Worte mit ihrer ge¬ wollten oder vielleicht auch nicht gewollten Anklage haben mich wieder vollends aus dem Häuschen ge¬ bracht. Es quält mich ſeit Jahr und Tag ſchon, und ich möchte aus dieſer ganzen Geſchichte heraus; nichts gefällt mir mehr; je mehr man mich aus¬ zeichnet, je mehr fühle ich, daß dies alles nichts iſt. Mein Leben iſt verpfuſcht, und ſo hab' ich mir im Stillen ausgedacht, ich müßte mit all' den Strebungen und Eitelkeiten überhaupt nichts mehr zu thun haben, und mein Schulmeiſtertum, was ja wohl mein Eigentlichſtes iſt, als ein höherer Sittendirektor verwenden können. Es hat ja dergleichen gegeben. Ich müßte alſo, wenn's ginge, ſolche ſchrecklich be¬ rühmte Figur werden, wie beiſpielsweiſe der Doktor Wichern im Rauhen Hauſe zu Hamburg geweſen iſt, dieſer Mirakelmenſch, der alle Verbrecher mit ſeinem Blick und ſeiner Frömmigkeit bändigte …“ „Hm, dagegen iſt nichts zu ſagen; das würde gehen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/514
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 505. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/514>, abgerufen am 24.11.2024.