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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
nieder und sprach halblaut vor sich hin: "O Du Gott
im Himmel, vergieb mir, was ich gethan; ich war
ein Kind ... Aber nein, nein, ich war kein Kind,
ich war alt genug, um zu wissen, was ich that. Ich
hab es auch gewußt, und ich will meine Schuld
nicht kleiner machen, ... aber das ist zuviel. Denn
das hier, mit dem Kind, das bist nicht Du, Gott,
der mich strafen will, das ist er, bloß er! Ich habe
geglaubt, daß er ein edles Herz habe, und habe mich
immer klein neben ihm gefühlt; aber jetzt weiß ich,
daß er es ist, er ist klein. Und weil er klein ist,
ist er grausam. Alles, was klein ist, ist grausam.
Das hat er dem Kinde beigebracht, ein Schulmeister
war er immer, Crampas hat ihn so genannt, spöttisch
damals, aber er hat recht gehabt. ,O gewiß, wenn
ich darf.' Du brauchst nicht zu dürfen; ich will
Euch nicht mehr, ich hass' Euch, auch mein eigen Kind.
Was zu viel ist, ist zu viel. Ein Streber war er,
weiter nichts. -- Ehre, Ehre, Ehre ... und dann
hat er den armen Kerl totgeschossen, den ich nicht
einmal liebte und den ich vergessen hatte, weil
ich ihn nicht liebte. Dummheit war alles, und
nun Blut und Mord, Und ich schuld. Und nun
schickt er mir das Kind, weil er einer Ministerin
nichts abschlagen kann, und ehe er das Kind schickt,
richtet er's ab wie einen Papagei und bringt ihm

31 *

Effi Brieſt
nieder und ſprach halblaut vor ſich hin: „O Du Gott
im Himmel, vergieb mir, was ich gethan; ich war
ein Kind … Aber nein, nein, ich war kein Kind,
ich war alt genug, um zu wiſſen, was ich that. Ich
hab es auch gewußt, und ich will meine Schuld
nicht kleiner machen, … aber das iſt zuviel. Denn
das hier, mit dem Kind, das biſt nicht Du, Gott,
der mich ſtrafen will, das iſt er, bloß er! Ich habe
geglaubt, daß er ein edles Herz habe, und habe mich
immer klein neben ihm gefühlt; aber jetzt weiß ich,
daß er es iſt, er iſt klein. Und weil er klein iſt,
iſt er grauſam. Alles, was klein iſt, iſt grauſam.
Das hat er dem Kinde beigebracht, ein Schulmeiſter
war er immer, Crampas hat ihn ſo genannt, ſpöttiſch
damals, aber er hat recht gehabt. ,O gewiß, wenn
ich darf.‛ Du brauchſt nicht zu dürfen; ich will
Euch nicht mehr, ich haſſ' Euch, auch mein eigen Kind.
Was zu viel iſt, iſt zu viel. Ein Streber war er,
weiter nichts. — Ehre, Ehre, Ehre … und dann
hat er den armen Kerl totgeſchoſſen, den ich nicht
einmal liebte und den ich vergeſſen hatte, weil
ich ihn nicht liebte. Dummheit war alles, und
nun Blut und Mord, Und ich ſchuld. Und nun
ſchickt er mir das Kind, weil er einer Miniſterin
nichts abſchlagen kann, und ehe er das Kind ſchickt,
richtet er's ab wie einen Papagei und bringt ihm

31 *
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[483/0492] Effi Brieſt nieder und ſprach halblaut vor ſich hin: „O Du Gott im Himmel, vergieb mir, was ich gethan; ich war ein Kind … Aber nein, nein, ich war kein Kind, ich war alt genug, um zu wiſſen, was ich that. Ich hab es auch gewußt, und ich will meine Schuld nicht kleiner machen, … aber das iſt zuviel. Denn das hier, mit dem Kind, das biſt nicht Du, Gott, der mich ſtrafen will, das iſt er, bloß er! Ich habe geglaubt, daß er ein edles Herz habe, und habe mich immer klein neben ihm gefühlt; aber jetzt weiß ich, daß er es iſt, er iſt klein. Und weil er klein iſt, iſt er grauſam. Alles, was klein iſt, iſt grauſam. Das hat er dem Kinde beigebracht, ein Schulmeiſter war er immer, Crampas hat ihn ſo genannt, ſpöttiſch damals, aber er hat recht gehabt. ,O gewiß, wenn ich darf.‛ Du brauchſt nicht zu dürfen; ich will Euch nicht mehr, ich haſſ' Euch, auch mein eigen Kind. Was zu viel iſt, iſt zu viel. Ein Streber war er, weiter nichts. — Ehre, Ehre, Ehre … und dann hat er den armen Kerl totgeſchoſſen, den ich nicht einmal liebte und den ich vergeſſen hatte, weil ich ihn nicht liebte. Dummheit war alles, und nun Blut und Mord, Und ich ſchuld. Und nun ſchickt er mir das Kind, weil er einer Miniſterin nichts abſchlagen kann, und ehe er das Kind ſchickt, richtet er's ab wie einen Papagei und bringt ihm 31 *

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 483. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/492>, abgerufen am 16.07.2024.