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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Entwickelung ... Aber ich sehe, meine liebe Frau
von Innstetten, so artig sie sonst ist, hört nur noch
mit halbem Ohr zu; natürlich, der Postbote hat sich
drüben blicken lassen, und da fliegt denn das Herz
hinüber und nimmt die Liebesworte vorweg aus dem
Briefe heraus ... Nun, Böselager, was bringen Sie?"

Der Angeredete war mittlerweile bis an den
Tisch herangetreten und packte aus: mehrere Zeitungen,
zwei Friseuranzeigen und zuletzt auch einen großen
eingeschriebenen Brief an Frau Baronin von Inn¬
stetten, geb. von Briest.

Die Empfängerin unterschrieb, und nun ging
der Postbote wieder. Die Zwicker aber überflog die
Friseuranzeigen und lachte über die Preisermäßigung
von Shampooing.

Effi hörte nicht hin; sie drehte den ihrerseits
empfangenen Brief zwischen den Fingern und hatte
eine ihr unerklärliche Scheu, ihn zu öffnen. Ein¬
geschrieben und mit zwei großen Siegeln gesiegelt
und ein dickes Couvert. Was bedeutete das? Post¬
stempel : "Hohen-Cremmen", und die Adresse von der
Handschrift der Mutter. Von Innstetten, es war
der fünfte Tag, keine Zeile.

Sie nahm eine Stickschere mit Perlmuttergriff
und schnitt die Längsseite des Briefes langsam auf.
Und nun harrte ihrer eine neue Überraschung. Der

Effi Brieſt
Entwickelung … Aber ich ſehe, meine liebe Frau
von Innſtetten, ſo artig ſie ſonſt iſt, hört nur noch
mit halbem Ohr zu; natürlich, der Poſtbote hat ſich
drüben blicken laſſen, und da fliegt denn das Herz
hinüber und nimmt die Liebesworte vorweg aus dem
Briefe heraus … Nun, Böſelager, was bringen Sie?“

Der Angeredete war mittlerweile bis an den
Tiſch herangetreten und packte aus: mehrere Zeitungen,
zwei Friſeuranzeigen und zuletzt auch einen großen
eingeſchriebenen Brief an Frau Baronin von Inn¬
ſtetten, geb. von Brieſt.

Die Empfängerin unterſchrieb, und nun ging
der Poſtbote wieder. Die Zwicker aber überflog die
Friſeuranzeigen und lachte über die Preisermäßigung
von Shampooing.

Effi hörte nicht hin; ſie drehte den ihrerſeits
empfangenen Brief zwiſchen den Fingern und hatte
eine ihr unerklärliche Scheu, ihn zu öffnen. Ein¬
geſchrieben und mit zwei großen Siegeln geſiegelt
und ein dickes Couvert. Was bedeutete das? Poſt¬
ſtempel : „Hohen-Cremmen“, und die Adreſſe von der
Handſchrift der Mutter. Von Innſtetten, es war
der fünfte Tag, keine Zeile.

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[444/0453] Effi Brieſt Entwickelung … Aber ich ſehe, meine liebe Frau von Innſtetten, ſo artig ſie ſonſt iſt, hört nur noch mit halbem Ohr zu; natürlich, der Poſtbote hat ſich drüben blicken laſſen, und da fliegt denn das Herz hinüber und nimmt die Liebesworte vorweg aus dem Briefe heraus … Nun, Böſelager, was bringen Sie?“ Der Angeredete war mittlerweile bis an den Tiſch herangetreten und packte aus: mehrere Zeitungen, zwei Friſeuranzeigen und zuletzt auch einen großen eingeſchriebenen Brief an Frau Baronin von Inn¬ ſtetten, geb. von Brieſt. Die Empfängerin unterſchrieb, und nun ging der Poſtbote wieder. Die Zwicker aber überflog die Friſeuranzeigen und lachte über die Preisermäßigung von Shampooing. Effi hörte nicht hin; ſie drehte den ihrerſeits empfangenen Brief zwiſchen den Fingern und hatte eine ihr unerklärliche Scheu, ihn zu öffnen. Ein¬ geſchrieben und mit zwei großen Siegeln geſiegelt und ein dickes Couvert. Was bedeutete das? Poſt¬ ſtempel : „Hohen-Cremmen“, und die Adreſſe von der Handſchrift der Mutter. Von Innſtetten, es war der fünfte Tag, keine Zeile. Sie nahm eine Stickſchere mit Perlmuttergriff und ſchnitt die Längsſeite des Briefes langſam auf. Und nun harrte ihrer eine neue Überraſchung. Der

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 444. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/453>, abgerufen am 22.11.2024.