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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

Effi nickte.

"Und das alles," fuhr die Zwicker fort, "ge¬
schieht am grünen Holze der Havelseite. Das alles
liegt nach Westen zu, da haben Sie Kultur und
höhere Gesittung. Aber nun gehen Sie, meine
Gnädigste, nach der andern Seite hin, die Spree
hinauf. Ich spreche nicht von Treptow und Stralau,
das sind Bagatellen, Harmlosigkeiten, aber wenn Sie
die Spezialkarte zur Hand nehmen wollen, da be¬
gegnen Sie neben mindestens sonderbaren Namen
wie Kiekebusch, wie Wuhlheide ... Sie hätten hören
sollen, wie Zwicker das Wort aussprach ... Namen
von geradezu brutalem Charakter, mit denen ich Ihr
Ohr nicht verletzen will. Aber natürlich sind das
gerade die Plätze, die bevorzugt werden. Ich hasse
diese Landpartieen, die sich das Volksgemüt als eine
Kremserpartie mit ,Ich bin ein Preuße' vorstellt, in
Wahrheit aber schlummern hier die Keime einer
sozialen Revolution. Wenn ich sage soziale Revolution,
so meine ich natürlich moralische Revolution, alles
andere ist bereits wieder überholt, und schon Zwicker
sagte mir noch in seinen letzten Tagen: ,Glaube mir,
Sophie, Saturn frißt seine Kinder.' Und Zwicker,
welche Mängel und Gebrechen er haben mochte, das
bin ich ihm schuldig, er war ein philosophischer
Kopf und hatte ein natürliches Gefühl für historische

Effi Brieſt

Effi nickte.

„Und das alles,“ fuhr die Zwicker fort, „ge¬
ſchieht am grünen Holze der Havelſeite. Das alles
liegt nach Weſten zu, da haben Sie Kultur und
höhere Geſittung. Aber nun gehen Sie, meine
Gnädigſte, nach der andern Seite hin, die Spree
hinauf. Ich ſpreche nicht von Treptow und Stralau,
das ſind Bagatellen, Harmloſigkeiten, aber wenn Sie
die Spezialkarte zur Hand nehmen wollen, da be¬
gegnen Sie neben mindeſtens ſonderbaren Namen
wie Kiekebuſch, wie Wuhlheide … Sie hätten hören
ſollen, wie Zwicker das Wort ausſprach … Namen
von geradezu brutalem Charakter, mit denen ich Ihr
Ohr nicht verletzen will. Aber natürlich ſind das
gerade die Plätze, die bevorzugt werden. Ich haſſe
dieſe Landpartieen, die ſich das Volksgemüt als eine
Kremſerpartie mit ‚Ich bin ein Preuße‘ vorſtellt, in
Wahrheit aber ſchlummern hier die Keime einer
ſozialen Revolution. Wenn ich ſage ſoziale Revolution,
ſo meine ich natürlich moraliſche Revolution, alles
andere iſt bereits wieder überholt, und ſchon Zwicker
ſagte mir noch in ſeinen letzten Tagen: ‚Glaube mir,
Sophie, Saturn frißt ſeine Kinder.‘ Und Zwicker,
welche Mängel und Gebrechen er haben mochte, das
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[443/0452] Effi Brieſt Effi nickte. „Und das alles,“ fuhr die Zwicker fort, „ge¬ ſchieht am grünen Holze der Havelſeite. Das alles liegt nach Weſten zu, da haben Sie Kultur und höhere Geſittung. Aber nun gehen Sie, meine Gnädigſte, nach der andern Seite hin, die Spree hinauf. Ich ſpreche nicht von Treptow und Stralau, das ſind Bagatellen, Harmloſigkeiten, aber wenn Sie die Spezialkarte zur Hand nehmen wollen, da be¬ gegnen Sie neben mindeſtens ſonderbaren Namen wie Kiekebuſch, wie Wuhlheide … Sie hätten hören ſollen, wie Zwicker das Wort ausſprach … Namen von geradezu brutalem Charakter, mit denen ich Ihr Ohr nicht verletzen will. Aber natürlich ſind das gerade die Plätze, die bevorzugt werden. Ich haſſe dieſe Landpartieen, die ſich das Volksgemüt als eine Kremſerpartie mit ‚Ich bin ein Preuße‘ vorſtellt, in Wahrheit aber ſchlummern hier die Keime einer ſozialen Revolution. Wenn ich ſage ſoziale Revolution, ſo meine ich natürlich moraliſche Revolution, alles andere iſt bereits wieder überholt, und ſchon Zwicker ſagte mir noch in ſeinen letzten Tagen: ‚Glaube mir, Sophie, Saturn frißt ſeine Kinder.‘ Und Zwicker, welche Mängel und Gebrechen er haben mochte, das bin ich ihm ſchuldig, er war ein philoſophiſcher Kopf und hatte ein natürliches Gefühl für hiſtoriſche

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/452>, abgerufen am 22.11.2024.