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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
Art, wie sich ihr Leben gestaltete, nicht Wunder
nehmen konnte. Die Liebe, mit der ihr nicht nur
Innstetten, sondern auch fernerstehende Personen be¬
gegneten, und nicht zum wenigsten die beinah zärt¬
liche Freundschaft, die die Ministerin, eine selbst noch
junge Frau, für sie an den Tag legte -- all' das
ließ die Sorgen und Ängste zurückliegender Tage
sich wenigstens mindern, und als ein zweites Jahr
ins Land gegangen war und die Kaiserin, bei Ge¬
legenheit einer neuen Stiftung, die "Frau Geheim¬
rätin" mit ausgewählt und in die Zahl der Ehren¬
damen eingereiht, der alte Kaiser Wilhelm aber auf
dem Hofball gnädige, huldvolle Worte an die schöne,
junge Frau, "von der er schon gehört habe", gerichtet
hatte, da fiel es allmählich von ihr ab. Es war
einmal gewesen, aber weit, weit weg, wie auf einem
andern Stern, und alles löste sich wie ein Nebelbild
und wurde Traum.

Die Hohen-Cremmener kamen dann und wann
auf Besuch und freuten sich des Glücks der Kinder,
Annie wuchs heran -- "schön wie die Großmutter,"
sagte der alte Briest -- und wenn es an dem klaren
Himmel eine Wolke gab, so war es die, daß es, wie
man nun beinahe annehmen mußte, bei Klein-Annie
sein Bewenden haben werde; Haus Innstetten (denn
es gab nicht einmal Namensvettern) stand also

Effi Brieſt
Art, wie ſich ihr Leben geſtaltete, nicht Wunder
nehmen konnte. Die Liebe, mit der ihr nicht nur
Innſtetten, ſondern auch fernerſtehende Perſonen be¬
gegneten, und nicht zum wenigſten die beinah zärt¬
liche Freundſchaft, die die Miniſterin, eine ſelbſt noch
junge Frau, für ſie an den Tag legte — all' das
ließ die Sorgen und Ängſte zurückliegender Tage
ſich wenigſtens mindern, und als ein zweites Jahr
ins Land gegangen war und die Kaiſerin, bei Ge¬
legenheit einer neuen Stiftung, die „Frau Geheim¬
rätin“ mit ausgewählt und in die Zahl der Ehren¬
damen eingereiht, der alte Kaiſer Wilhelm aber auf
dem Hofball gnädige, huldvolle Worte an die ſchöne,
junge Frau, „von der er ſchon gehört habe“, gerichtet
hatte, da fiel es allmählich von ihr ab. Es war
einmal geweſen, aber weit, weit weg, wie auf einem
andern Stern, und alles löſte ſich wie ein Nebelbild
und wurde Traum.

Die Hohen-Cremmener kamen dann und wann
auf Beſuch und freuten ſich des Glücks der Kinder,
Annie wuchs heran — „ſchön wie die Großmutter,“
ſagte der alte Brieſt — und wenn es an dem klaren
Himmel eine Wolke gab, ſo war es die, daß es, wie
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[388/0397] Effi Brieſt Art, wie ſich ihr Leben geſtaltete, nicht Wunder nehmen konnte. Die Liebe, mit der ihr nicht nur Innſtetten, ſondern auch fernerſtehende Perſonen be¬ gegneten, und nicht zum wenigſten die beinah zärt¬ liche Freundſchaft, die die Miniſterin, eine ſelbſt noch junge Frau, für ſie an den Tag legte — all' das ließ die Sorgen und Ängſte zurückliegender Tage ſich wenigſtens mindern, und als ein zweites Jahr ins Land gegangen war und die Kaiſerin, bei Ge¬ legenheit einer neuen Stiftung, die „Frau Geheim¬ rätin“ mit ausgewählt und in die Zahl der Ehren¬ damen eingereiht, der alte Kaiſer Wilhelm aber auf dem Hofball gnädige, huldvolle Worte an die ſchöne, junge Frau, „von der er ſchon gehört habe“, gerichtet hatte, da fiel es allmählich von ihr ab. Es war einmal geweſen, aber weit, weit weg, wie auf einem andern Stern, und alles löſte ſich wie ein Nebelbild und wurde Traum. Die Hohen-Cremmener kamen dann und wann auf Beſuch und freuten ſich des Glücks der Kinder, Annie wuchs heran — „ſchön wie die Großmutter,“ ſagte der alte Brieſt — und wenn es an dem klaren Himmel eine Wolke gab, ſo war es die, daß es, wie man nun beinahe annehmen mußte, bei Klein-Annie ſein Bewenden haben werde; Haus Innſtetten (denn es gab nicht einmal Namensvettern) ſtand alſo

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/397>, abgerufen am 02.06.2024.