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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
dessen Flügel sie offen ließ. Wie that ihr das alles
so wohl. Neben dem Kirchturm stand der Mond
und warf sein Licht auch auf den Rasenplatz mit
der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten. Alles
schimmerte silbern, und neben den Schattenstreifen
lagen weiße Lichtstreifen, so weiß, als läge Leinwand
auf der Bleiche. Weiterhin aber standen die hohen
Rhabarberstauden wieder, die Blätter herbstlich gelb,
und sie mußte des Tages gedenken, nun erst wenig
über zwei Jahre, wo sie hier mit Hulda und den
Jahnke'schen Mädchen gespielt hatte. Und dann war
sie, als der Besuch kam, die kleine Steintreppe neben
der Bank hinaufgestiegen, und eine Stunde später
war sie Braut.

Sie erhob sich und ging auf die Thür zu und
horchte; Roswitha schlief schon und Annie auch.

Und mit einemmale, während sie das Kind so
vor sich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus
den Kessiner Tagen wieder vor ihre Seele: das land¬
rätliche Haus mit seinem Giebel und die Veranda
mit dem Blick auf die Plantage, und sie saß im
Schaukelstuhl und wiegte sich; und nun trat Crampas
an sie heran, um sie zu begrüßen, und dann kam
Roswitha mit dem Kinde, und sie nahm es und hob
es hoch in die Höhe und küßte es.

"Das war der erste Tag; da fing es an." Und

Effi Brieſt
deſſen Flügel ſie offen ließ. Wie that ihr das alles
ſo wohl. Neben dem Kirchturm ſtand der Mond
und warf ſein Licht auch auf den Raſenplatz mit
der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten. Alles
ſchimmerte ſilbern, und neben den Schattenſtreifen
lagen weiße Lichtſtreifen, ſo weiß, als läge Leinwand
auf der Bleiche. Weiterhin aber ſtanden die hohen
Rhabarberſtauden wieder, die Blätter herbſtlich gelb,
und ſie mußte des Tages gedenken, nun erſt wenig
über zwei Jahre, wo ſie hier mit Hulda und den
Jahnke'ſchen Mädchen geſpielt hatte. Und dann war
ſie, als der Beſuch kam, die kleine Steintreppe neben
der Bank hinaufgeſtiegen, und eine Stunde ſpäter
war ſie Braut.

Sie erhob ſich und ging auf die Thür zu und
horchte; Roswitha ſchlief ſchon und Annie auch.

Und mit einemmale, während ſie das Kind ſo
vor ſich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus
den Keſſiner Tagen wieder vor ihre Seele: das land¬
rätliche Haus mit ſeinem Giebel und die Veranda
mit dem Blick auf die Plantage, und ſie ſaß im
Schaukelſtuhl und wiegte ſich; und nun trat Crampas
an ſie heran, um ſie zu begrüßen, und dann kam
Roswitha mit dem Kinde, und ſie nahm es und hob
es hoch in die Höhe und küßte es.

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[380/0389] Effi Brieſt deſſen Flügel ſie offen ließ. Wie that ihr das alles ſo wohl. Neben dem Kirchturm ſtand der Mond und warf ſein Licht auch auf den Raſenplatz mit der Sonnenuhr und den Heliotropbeeten. Alles ſchimmerte ſilbern, und neben den Schattenſtreifen lagen weiße Lichtſtreifen, ſo weiß, als läge Leinwand auf der Bleiche. Weiterhin aber ſtanden die hohen Rhabarberſtauden wieder, die Blätter herbſtlich gelb, und ſie mußte des Tages gedenken, nun erſt wenig über zwei Jahre, wo ſie hier mit Hulda und den Jahnke'ſchen Mädchen geſpielt hatte. Und dann war ſie, als der Beſuch kam, die kleine Steintreppe neben der Bank hinaufgeſtiegen, und eine Stunde ſpäter war ſie Braut. Sie erhob ſich und ging auf die Thür zu und horchte; Roswitha ſchlief ſchon und Annie auch. Und mit einemmale, während ſie das Kind ſo vor ſich hatte, traten ungerufen allerlei Bilder aus den Keſſiner Tagen wieder vor ihre Seele: das land¬ rätliche Haus mit ſeinem Giebel und die Veranda mit dem Blick auf die Plantage, und ſie ſaß im Schaukelſtuhl und wiegte ſich; und nun trat Crampas an ſie heran, um ſie zu begrüßen, und dann kam Roswitha mit dem Kinde, und ſie nahm es und hob es hoch in die Höhe und küßte es. „Das war der erſte Tag; da fing es an.“ Und

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 380. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/389>, abgerufen am 25.11.2024.