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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest

"Meinst Du?"

"Ja, Briest; Du glaubst immer, sie könne kein
Wasser trüben. Aber darin irrst Du. Sie läßt sich
gern treiben, und wenn die Welle gut ist, dann ist
sie auch selber gut. Kampf und Widerstand sind
nicht ihre Sache."

Roswitha kam mit Annie, und so brach das
Gespräch ab.


Dies Gespräch führten Briest und Frau an dem¬
selben Tage, wo Innstetten von Hohen-Cremmen nach
Berlin hin abgereist war, Effi auf wenigstens noch
eine Woche zurücklassend. Er wußte, daß es nichts
Schöneres für sie gab, als so sorglos in einer
weichen Stimmung hinträumen zu können, immer
freundliche Worte zu hören und die Versicherung,
wie liebenswürdig sie sei. Ja, das war das, was
ihr vor allem wohl that, und sie genoß es auch
diesmal wieder in vollen Zügen und aufs dankbarste,
trotzdem jede Zerstreuung fehlte; Besuch kam selten,
weil es seit ihrer Verheiratung, wenigstens für die
junge Welt, an dem rechten Anziehungspunkte gebrach,
und selbst die Pfarre und die Schule waren nicht
mehr das, was sie noch vor Jahr und Tag gewesen
waren. Zumal im Schulhause stand alles halb leer.
Die Zwillinge hatten sich im Frühjahr an zwei

Effi Brieſt

„Meinſt Du?“

„Ja, Brieſt; Du glaubſt immer, ſie könne kein
Waſſer trüben. Aber darin irrſt Du. Sie läßt ſich
gern treiben, und wenn die Welle gut iſt, dann iſt
ſie auch ſelber gut. Kampf und Widerſtand ſind
nicht ihre Sache.“

Roswitha kam mit Annie, und ſo brach das
Geſpräch ab.


Dies Geſpräch führten Brieſt und Frau an dem¬
ſelben Tage, wo Innſtetten von Hohen-Cremmen nach
Berlin hin abgereiſt war, Effi auf wenigſtens noch
eine Woche zurücklaſſend. Er wußte, daß es nichts
Schöneres für ſie gab, als ſo ſorglos in einer
weichen Stimmung hinträumen zu können, immer
freundliche Worte zu hören und die Verſicherung,
wie liebenswürdig ſie ſei. Ja, das war das, was
ihr vor allem wohl that, und ſie genoß es auch
diesmal wieder in vollen Zügen und aufs dankbarſte,
trotzdem jede Zerſtreuung fehlte; Beſuch kam ſelten,
weil es ſeit ihrer Verheiratung, wenigſtens für die
junge Welt, an dem rechten Anziehungspunkte gebrach,
und ſelbſt die Pfarre und die Schule waren nicht
mehr das, was ſie noch vor Jahr und Tag geweſen
waren. Zumal im Schulhauſe ſtand alles halb leer.
Die Zwillinge hatten ſich im Frühjahr an zwei

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[377/0386] Effi Brieſt „Meinſt Du?“ „Ja, Brieſt; Du glaubſt immer, ſie könne kein Waſſer trüben. Aber darin irrſt Du. Sie läßt ſich gern treiben, und wenn die Welle gut iſt, dann iſt ſie auch ſelber gut. Kampf und Widerſtand ſind nicht ihre Sache.“ Roswitha kam mit Annie, und ſo brach das Geſpräch ab. Dies Geſpräch führten Brieſt und Frau an dem¬ ſelben Tage, wo Innſtetten von Hohen-Cremmen nach Berlin hin abgereiſt war, Effi auf wenigſtens noch eine Woche zurücklaſſend. Er wußte, daß es nichts Schöneres für ſie gab, als ſo ſorglos in einer weichen Stimmung hinträumen zu können, immer freundliche Worte zu hören und die Verſicherung, wie liebenswürdig ſie ſei. Ja, das war das, was ihr vor allem wohl that, und ſie genoß es auch diesmal wieder in vollen Zügen und aufs dankbarſte, trotzdem jede Zerſtreuung fehlte; Beſuch kam ſelten, weil es ſeit ihrer Verheiratung, wenigſtens für die junge Welt, an dem rechten Anziehungspunkte gebrach, und ſelbſt die Pfarre und die Schule waren nicht mehr das, was ſie noch vor Jahr und Tag geweſen waren. Zumal im Schulhauſe ſtand alles halb leer. Die Zwillinge hatten ſich im Frühjahr an zwei

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/386>, abgerufen am 02.06.2024.