Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.Effi Briest schäftigte sich in ihren Gedanken viel, viel mehr mitdem Eindruck, den sie beide, Mutter und Tochter, bei ihrem Erscheinen an der Table d'hote machen würden, als mit Spinn und Mencke, Goschenhofer und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden waren. Und diesen ihren heiteren Phantasien ent¬ sprach denn auch ihre Haltung, als die große Ber¬ liner Woche nun wirklich da war. Vetter Briest vom Alexander-Regiment, ein ungemein ausgelassener, junger Leutnant, der die "Fliegenden Blätter" hielt und über die besten Witze Buch führte, stellte sich den Damen für jede dienstfreie Stunde zur Ver¬ fügung, und so saßen sie denn mit ihm bei Kranzler am Eckfenster oder zu statthafter Zeit auch wohl im Cafe Bauer und fuhren nachmittags in den Zoo¬ logischen Garten, um da die Giraffen zu sehen, von denen Vetter Briest, der übrigens Dagobert hieß, mit Vorliebe behauptete: "sie sähen aus wie adlige alte Jungfern." Jeder Tag verlief programmmäßig, und am dritten oder vierten Tage gingen sie, wie vorgeschrieben, in die Nationalgalerie, weil Vetter Dagobert seiner Kousine die "Insel der Seligen" zeigen wollte. "Fräulein Kousine stehe zwar auf dem Punkte, sich zu verheiraten, es sei aber doch vielleicht gut, die ,Insel der Seligen' schon vorher kennen gelernt zu haben." Die Tante gab ihm einen Effi Brieſt ſchäftigte ſich in ihren Gedanken viel, viel mehr mitdem Eindruck, den ſie beide, Mutter und Tochter, bei ihrem Erſcheinen an der Table d'hôte machen würden, als mit Spinn und Mencke, Goſchenhofer und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden waren. Und dieſen ihren heiteren Phantaſien ent¬ ſprach denn auch ihre Haltung, als die große Ber¬ liner Woche nun wirklich da war. Vetter Brieſt vom Alexander-Regiment, ein ungemein ausgelaſſener, junger Leutnant, der die „Fliegenden Blätter“ hielt und über die beſten Witze Buch führte, ſtellte ſich den Damen für jede dienſtfreie Stunde zur Ver¬ fügung, und ſo ſaßen ſie denn mit ihm bei Kranzler am Eckfenſter oder zu ſtatthafter Zeit auch wohl im Café Bauer und fuhren nachmittags in den Zoo¬ logiſchen Garten, um da die Giraffen zu ſehen, von denen Vetter Brieſt, der übrigens Dagobert hieß, mit Vorliebe behauptete: „ſie ſähen aus wie adlige alte Jungfern.“ Jeder Tag verlief programmmäßig, und am dritten oder vierten Tage gingen ſie, wie vorgeſchrieben, in die Nationalgalerie, weil Vetter Dagobert ſeiner Kouſine die „Inſel der Seligen“ zeigen wollte. „Fräulein Kouſine ſtehe zwar auf dem Punkte, ſich zu verheiraten, es ſei aber doch vielleicht gut, die ‚Inſel der Seligen‘ ſchon vorher kennen gelernt zu haben.“ Die Tante gab ihm einen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0038" n="29"/><fw place="top" type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> ſchäftigte ſich in ihren Gedanken viel, viel mehr mit<lb/> dem Eindruck, den ſie beide, Mutter und Tochter,<lb/> bei ihrem Erſcheinen an der <hi rendition="#aq">Table d'hôte</hi> machen<lb/> würden, als mit Spinn und Mencke, Goſchenhofer<lb/> und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden<lb/> waren. Und dieſen ihren heiteren Phantaſien ent¬<lb/> ſprach denn auch ihre Haltung, als die große Ber¬<lb/> liner Woche nun wirklich da war. Vetter Brieſt<lb/> vom Alexander-Regiment, ein ungemein ausgelaſſener,<lb/> junger Leutnant, der die „Fliegenden Blätter“ hielt<lb/> und über die beſten Witze Buch führte, ſtellte ſich<lb/> den Damen für jede dienſtfreie Stunde zur Ver¬<lb/> fügung, und ſo ſaßen ſie denn mit ihm bei Kranzler<lb/> am Eckfenſter oder zu ſtatthafter Zeit auch wohl im<lb/> Caf<hi rendition="#aq">é</hi> Bauer und fuhren nachmittags in den Zoo¬<lb/> logiſchen Garten, um da die Giraffen zu ſehen, von<lb/> denen Vetter Brieſt, der übrigens Dagobert hieß,<lb/> mit Vorliebe behauptete: „ſie ſähen aus wie adlige<lb/> alte Jungfern.“ Jeder Tag verlief programmmäßig,<lb/> und am dritten oder vierten Tage gingen ſie, wie<lb/> vorgeſchrieben, in die Nationalgalerie, weil Vetter<lb/> Dagobert ſeiner Kouſine die „Inſel der Seligen“<lb/> zeigen wollte. „Fräulein Kouſine ſtehe zwar auf<lb/> dem Punkte, ſich zu verheiraten, es ſei aber doch<lb/> vielleicht gut, die ‚Inſel der Seligen‘ ſchon vorher<lb/> kennen gelernt zu haben.“ Die Tante gab ihm einen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [29/0038]
Effi Brieſt
ſchäftigte ſich in ihren Gedanken viel, viel mehr mit
dem Eindruck, den ſie beide, Mutter und Tochter,
bei ihrem Erſcheinen an der Table d'hôte machen
würden, als mit Spinn und Mencke, Goſchenhofer
und ähnlichen Firmen, die vorläufig notiert worden
waren. Und dieſen ihren heiteren Phantaſien ent¬
ſprach denn auch ihre Haltung, als die große Ber¬
liner Woche nun wirklich da war. Vetter Brieſt
vom Alexander-Regiment, ein ungemein ausgelaſſener,
junger Leutnant, der die „Fliegenden Blätter“ hielt
und über die beſten Witze Buch führte, ſtellte ſich
den Damen für jede dienſtfreie Stunde zur Ver¬
fügung, und ſo ſaßen ſie denn mit ihm bei Kranzler
am Eckfenſter oder zu ſtatthafter Zeit auch wohl im
Café Bauer und fuhren nachmittags in den Zoo¬
logiſchen Garten, um da die Giraffen zu ſehen, von
denen Vetter Brieſt, der übrigens Dagobert hieß,
mit Vorliebe behauptete: „ſie ſähen aus wie adlige
alte Jungfern.“ Jeder Tag verlief programmmäßig,
und am dritten oder vierten Tage gingen ſie, wie
vorgeſchrieben, in die Nationalgalerie, weil Vetter
Dagobert ſeiner Kouſine die „Inſel der Seligen“
zeigen wollte. „Fräulein Kouſine ſtehe zwar auf
dem Punkte, ſich zu verheiraten, es ſei aber doch
vielleicht gut, die ‚Inſel der Seligen‘ ſchon vorher
kennen gelernt zu haben.“ Die Tante gab ihm einen
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