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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
ihrer Haltung einen eigenen Reiz. In jeglichem,
was sie that, lag etwas Wehmütiges wie eine Abbitte,
und es hätte sie glücklich gemacht, dies alles noch
deutlicher zeigen zu können. Aber das verbot sich
freilich.

Das gesellschaftliche Leben der großen Stadt
war, als sie während der ersten Aprilwochen ihre
Besuche machten, noch nicht vorüber, wohl aber im
Erlöschen, und so kam es für sie zu keiner rechten Teil¬
nahme mehr daran. In der zweiten Hälfte des Mai
starb es dann ganz hin, und mehr noch als vorher war
man glücklich, sich in der Mittagsstunde, wenn Inn¬
stetten von seinem Ministerium kam, im Tiergarten
treffen oder nachmittags einen Spaziergang nach dem
Charlottenburger Schloßgarten machen zu können.
Effi sah sich, wenn sie die lange Front zwischen dem
Schloß und den Orangeriebäumen auf und ab schritt,
immer wieder die massenhaft dortstehenden römischen
Kaiser an, fand eine merkwürdige Ähnlichkeit zwischen
Nero und Titus, sammelte Tannenäpfel, die von den
Trauertannen gefallen waren, und ging dann, Arm
in Arm mit ihrem Manne, bis auf das nach der
Spree hin einsam gelegene "Belvedere" zu.

"Da drin soll es auch einmal gespukt haben,"
sagte sie.

"Nein, bloß Geistererscheinungen."

Effi Brieſt
ihrer Haltung einen eigenen Reiz. In jeglichem,
was ſie that, lag etwas Wehmütiges wie eine Abbitte,
und es hätte ſie glücklich gemacht, dies alles noch
deutlicher zeigen zu können. Aber das verbot ſich
freilich.

Das geſellſchaftliche Leben der großen Stadt
war, als ſie während der erſten Aprilwochen ihre
Beſuche machten, noch nicht vorüber, wohl aber im
Erlöſchen, und ſo kam es für ſie zu keiner rechten Teil¬
nahme mehr daran. In der zweiten Hälfte des Mai
ſtarb es dann ganz hin, und mehr noch als vorher war
man glücklich, ſich in der Mittagsſtunde, wenn Inn¬
ſtetten von ſeinem Miniſterium kam, im Tiergarten
treffen oder nachmittags einen Spaziergang nach dem
Charlottenburger Schloßgarten machen zu können.
Effi ſah ſich, wenn ſie die lange Front zwiſchen dem
Schloß und den Orangeriebäumen auf und ab ſchritt,
immer wieder die maſſenhaft dortſtehenden römiſchen
Kaiſer an, fand eine merkwürdige Ähnlichkeit zwiſchen
Nero und Titus, ſammelte Tannenäpfel, die von den
Trauertannen gefallen waren, und ging dann, Arm
in Arm mit ihrem Manne, bis auf das nach der
Spree hin einſam gelegene „Belvedere“ zu.

„Da drin ſoll es auch einmal geſpukt haben,“
ſagte ſie.

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[361/0370] Effi Brieſt ihrer Haltung einen eigenen Reiz. In jeglichem, was ſie that, lag etwas Wehmütiges wie eine Abbitte, und es hätte ſie glücklich gemacht, dies alles noch deutlicher zeigen zu können. Aber das verbot ſich freilich. Das geſellſchaftliche Leben der großen Stadt war, als ſie während der erſten Aprilwochen ihre Beſuche machten, noch nicht vorüber, wohl aber im Erlöſchen, und ſo kam es für ſie zu keiner rechten Teil¬ nahme mehr daran. In der zweiten Hälfte des Mai ſtarb es dann ganz hin, und mehr noch als vorher war man glücklich, ſich in der Mittagsſtunde, wenn Inn¬ ſtetten von ſeinem Miniſterium kam, im Tiergarten treffen oder nachmittags einen Spaziergang nach dem Charlottenburger Schloßgarten machen zu können. Effi ſah ſich, wenn ſie die lange Front zwiſchen dem Schloß und den Orangeriebäumen auf und ab ſchritt, immer wieder die maſſenhaft dortſtehenden römiſchen Kaiſer an, fand eine merkwürdige Ähnlichkeit zwiſchen Nero und Titus, ſammelte Tannenäpfel, die von den Trauertannen gefallen waren, und ging dann, Arm in Arm mit ihrem Manne, bis auf das nach der Spree hin einſam gelegene „Belvedere“ zu. „Da drin ſoll es auch einmal geſpukt haben,“ ſagte ſie. „Nein, bloß Geiſtererſcheinungen.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/370>, abgerufen am 22.11.2024.