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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
den Puls gefühlt und die Patientin leicht, aber doch
scharf beobachtet hatte. "Sehr wahrscheinlich, meine
gnädigste Frau." Was er aber still zu sich selber
sagte, das lautete: "Schulkrank und mit Virtuosität
gespielt; Evastochter comme il faut." Er ließ jedoch
nichts davon merken, sondern sagte mit allem wünschens¬
werten Ernst: "Ruhe und Wärme sind das beste,
was ich anraten kann. Eine Medizin, übrigens
nichts Schlimmes, wird das weitere thun."

Und er erhob sich, um das Rezept aufzuschreiben:
Aqua Amygdalarum amararum eine halbe Unze,
Syrupus florum Aurantii zwei Unzen. "Hiervon,
meine gnädigste Frau, bitte ich Sie, alle zwei Stunden
einen halben Theelöffel voll nehmen zu wollen. Es
wird Ihre Nerven beruhigen. Und worauf ich noch
dringen möchte: keine geistigen Anstrengungen, keine
Besuche, keine Lektüre." Dabei wies er auf das
neben ihr liegende Buch.

"Es ist Scott."

"O, dagegen ist nichts einzuwenden. Das beste
sind Reisebeschreibungen. Ich spreche morgen wieder
vor."

Effi hatte sich wundervoll gehalten, ihre Rolle
gut durchgespielt. Als sie wieder allein war --
die Mama begleitete den Geheimrat --, schoß ihr
trotzdem das Blut zu Kopf; sie hatte recht gut be¬

Effi Brieſt
den Puls gefühlt und die Patientin leicht, aber doch
ſcharf beobachtet hatte. „Sehr wahrſcheinlich, meine
gnädigſte Frau.“ Was er aber ſtill zu ſich ſelber
ſagte, das lautete: „Schulkrank und mit Virtuoſität
geſpielt; Evastochter comme il faut.“ Er ließ jedoch
nichts davon merken, ſondern ſagte mit allem wünſchens¬
werten Ernſt: „Ruhe und Wärme ſind das beſte,
was ich anraten kann. Eine Medizin, übrigens
nichts Schlimmes, wird das weitere thun.“

Und er erhob ſich, um das Rezept aufzuſchreiben:
Aqua Amygdalarum amararum eine halbe Unze,
Syrupus florum Aurantii zwei Unzen. „Hiervon,
meine gnädigſte Frau, bitte ich Sie, alle zwei Stunden
einen halben Theelöffel voll nehmen zu wollen. Es
wird Ihre Nerven beruhigen. Und worauf ich noch
dringen möchte: keine geiſtigen Anſtrengungen, keine
Beſuche, keine Lektüre.“ Dabei wies er auf das
neben ihr liegende Buch.

„Es iſt Scott.“

„O, dagegen iſt nichts einzuwenden. Das beſte
ſind Reiſebeſchreibungen. Ich ſpreche morgen wieder
vor.“

Effi hatte ſich wundervoll gehalten, ihre Rolle
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[348/0357] Effi Brieſt den Puls gefühlt und die Patientin leicht, aber doch ſcharf beobachtet hatte. „Sehr wahrſcheinlich, meine gnädigſte Frau.“ Was er aber ſtill zu ſich ſelber ſagte, das lautete: „Schulkrank und mit Virtuoſität geſpielt; Evastochter comme il faut.“ Er ließ jedoch nichts davon merken, ſondern ſagte mit allem wünſchens¬ werten Ernſt: „Ruhe und Wärme ſind das beſte, was ich anraten kann. Eine Medizin, übrigens nichts Schlimmes, wird das weitere thun.“ Und er erhob ſich, um das Rezept aufzuſchreiben: Aqua Amygdalarum amararum eine halbe Unze, Syrupus florum Aurantii zwei Unzen. „Hiervon, meine gnädigſte Frau, bitte ich Sie, alle zwei Stunden einen halben Theelöffel voll nehmen zu wollen. Es wird Ihre Nerven beruhigen. Und worauf ich noch dringen möchte: keine geiſtigen Anſtrengungen, keine Beſuche, keine Lektüre.“ Dabei wies er auf das neben ihr liegende Buch. „Es iſt Scott.“ „O, dagegen iſt nichts einzuwenden. Das beſte ſind Reiſebeſchreibungen. Ich ſpreche morgen wieder vor.“ Effi hatte ſich wundervoll gehalten, ihre Rolle gut durchgeſpielt. Als ſie wieder allein war — die Mama begleitete den Geheimrat —, ſchoß ihr trotzdem das Blut zu Kopf; ſie hatte recht gut be¬

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/357>, abgerufen am 22.11.2024.