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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
rätin von Padden und einer etwas jüngeren Frau
von Titzewitz. Die Ritterschaftsrätin, eine vorzügliche
alte Dame, war in allen Stücken ein Original und
suchte das, was die Natur, besonders durch starke
Backenknochenbildung, nach der wendisch-heidnischen
Seite hin für sie gethan hatte, durch christlich-
germanische Glaubensstrenge wieder in Ausgleich zu
bringen. In dieser Strenge ging sie so weit, daß
selbst Sidonie von Grasenabb eine Art esprit fort
neben ihr war, wogegen sie freilich -- vielleicht weil
sich die Radegaster und die Swantowiter Linie des
Hauses in ihr vereinigten -- über jenen alten Padden¬
humor verfügte, der, von langer Zeit her, wie ein
Segen auf der Familie ruhte, und jeden, der mit
derselben in Berührung kam, auch wenn es Gegner
in Politik und Kirche waren, herzlich erfreute.

"Nun, Kind," sagte die Ritterschaftsrätin, "wie
geht es Ihnen denn eigentlich?"

"Gut, gnädigste Frau; ich habe einen sehr aus¬
gezeichneten Mann."

"Weiß ich. Aber das hilft nicht immer. Ich
hatte auch einen ausgezeichneten Mann. Wie steht
es hier? Keine Anfechtungen?"

Effi erschrak und war zugleich wie gerührt.
Es lag etwas ungemein Erquickliches in dem freien
und natürlichen Ton, in dem die alte Dame sprach,

Effi Brieſt
rätin von Padden und einer etwas jüngeren Frau
von Titzewitz. Die Ritterſchaftsrätin, eine vorzügliche
alte Dame, war in allen Stücken ein Original und
ſuchte das, was die Natur, beſonders durch ſtarke
Backenknochenbildung, nach der wendiſch-heidniſchen
Seite hin für ſie gethan hatte, durch chriſtlich-
germaniſche Glaubensſtrenge wieder in Ausgleich zu
bringen. In dieſer Strenge ging ſie ſo weit, daß
ſelbſt Sidonie von Graſenabb eine Art esprit fort
neben ihr war, wogegen ſie freilich — vielleicht weil
ſich die Radegaſter und die Swantowiter Linie des
Hauſes in ihr vereinigten — über jenen alten Padden¬
humor verfügte, der, von langer Zeit her, wie ein
Segen auf der Familie ruhte, und jeden, der mit
derſelben in Berührung kam, auch wenn es Gegner
in Politik und Kirche waren, herzlich erfreute.

„Nun, Kind,“ ſagte die Ritterſchaftsrätin, „wie
geht es Ihnen denn eigentlich?“

„Gut, gnädigſte Frau; ich habe einen ſehr aus¬
gezeichneten Mann.“

„Weiß ich. Aber das hilft nicht immer. Ich
hatte auch einen ausgezeichneten Mann. Wie ſteht
es hier? Keine Anfechtungen?“

Effi erſchrak und war zugleich wie gerührt.
Es lag etwas ungemein Erquickliches in dem freien
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[287/0296] Effi Brieſt rätin von Padden und einer etwas jüngeren Frau von Titzewitz. Die Ritterſchaftsrätin, eine vorzügliche alte Dame, war in allen Stücken ein Original und ſuchte das, was die Natur, beſonders durch ſtarke Backenknochenbildung, nach der wendiſch-heidniſchen Seite hin für ſie gethan hatte, durch chriſtlich- germaniſche Glaubensſtrenge wieder in Ausgleich zu bringen. In dieſer Strenge ging ſie ſo weit, daß ſelbſt Sidonie von Graſenabb eine Art esprit fort neben ihr war, wogegen ſie freilich — vielleicht weil ſich die Radegaſter und die Swantowiter Linie des Hauſes in ihr vereinigten — über jenen alten Padden¬ humor verfügte, der, von langer Zeit her, wie ein Segen auf der Familie ruhte, und jeden, der mit derſelben in Berührung kam, auch wenn es Gegner in Politik und Kirche waren, herzlich erfreute. „Nun, Kind,“ ſagte die Ritterſchaftsrätin, „wie geht es Ihnen denn eigentlich?“ „Gut, gnädigſte Frau; ich habe einen ſehr aus¬ gezeichneten Mann.“ „Weiß ich. Aber das hilft nicht immer. Ich hatte auch einen ausgezeichneten Mann. Wie ſteht es hier? Keine Anfechtungen?“ Effi erſchrak und war zugleich wie gerührt. Es lag etwas ungemein Erquickliches in dem freien und natürlichen Ton, in dem die alte Dame ſprach,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/296>, abgerufen am 02.06.2024.