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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
so lange das dauerte, das Amt des ,Einschenkens
en cascade' an den ihm gegenüber sitzenden Crampas
abtreten mußte; der Hauslehrer aber stürzte von
seinem Platz am unteren Ende der Tafel an das
Klavier und schlug die ersten Takte des Preußenliedes
an, worauf alles stehend und feierlich einfiel: "Ich
bin ein Preuße ... will ein Preuße sein."

"Es ist doch etwas Schönes," sagte gleich nach
der ersten Strophe der alte Borcke zu Innstetten,
"so 'was hat man in anderen Ländern nicht."

"Nein," antwortete Innstetten, der von solchem
Patriotismus nicht viel hielt, "in anderen Ländern
hat man 'was anderes."

Man sang alle Strophen durch, dann hieß es,
die Wagen seien vorgefahren, und gleich darnach
erhob sich alles, um die Pferde nicht warten zu
lassen. Denn diese Rücksicht "auf die Pferde" ging
auch im Kreise Kessin allem anderen vor. Im Haus¬
flur standen zwei hübsche Mägde, Ring hielt auf
dergleichen, um den Herrschaften beim Anziehen ihrer
Pelze behülflich zu sein. Alles war heiter angeregt,
einige mehr als das, und das Einsteigen in die ver¬
schiedenen Gefährte schien sich schnell und ohne Störung
vollziehen zu sollen, als es mit einemmal hieß, der
Gieshübler'sche Schlitten sei nicht da. Gieshübler
selbst war viel zu artig, um gleich Unruhe zu zeigen

Effi Brieſt
ſo lange das dauerte, das Amt des ‚Einſchenkens
en cascade‘ an den ihm gegenüber ſitzenden Crampas
abtreten mußte; der Hauslehrer aber ſtürzte von
ſeinem Platz am unteren Ende der Tafel an das
Klavier und ſchlug die erſten Takte des Preußenliedes
an, worauf alles ſtehend und feierlich einfiel: „Ich
bin ein Preuße … will ein Preuße ſein.“

„Es iſt doch etwas Schönes,“ ſagte gleich nach
der erſten Strophe der alte Borcke zu Innſtetten,
„ſo 'was hat man in anderen Ländern nicht.“

„Nein,“ antwortete Innſtetten, der von ſolchem
Patriotismus nicht viel hielt, „in anderen Ländern
hat man 'was anderes.“

Man ſang alle Strophen durch, dann hieß es,
die Wagen ſeien vorgefahren, und gleich darnach
erhob ſich alles, um die Pferde nicht warten zu
laſſen. Denn dieſe Rückſicht „auf die Pferde“ ging
auch im Kreiſe Keſſin allem anderen vor. Im Haus¬
flur ſtanden zwei hübſche Mägde, Ring hielt auf
dergleichen, um den Herrſchaften beim Anziehen ihrer
Pelze behülflich zu ſein. Alles war heiter angeregt,
einige mehr als das, und das Einſteigen in die ver¬
ſchiedenen Gefährte ſchien ſich ſchnell und ohne Störung
vollziehen zu ſollen, als es mit einemmal hieß, der
Gieshübler'ſche Schlitten ſei nicht da. Gieshübler
ſelbſt war viel zu artig, um gleich Unruhe zu zeigen

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[269/0278] Effi Brieſt ſo lange das dauerte, das Amt des ‚Einſchenkens en cascade‘ an den ihm gegenüber ſitzenden Crampas abtreten mußte; der Hauslehrer aber ſtürzte von ſeinem Platz am unteren Ende der Tafel an das Klavier und ſchlug die erſten Takte des Preußenliedes an, worauf alles ſtehend und feierlich einfiel: „Ich bin ein Preuße … will ein Preuße ſein.“ „Es iſt doch etwas Schönes,“ ſagte gleich nach der erſten Strophe der alte Borcke zu Innſtetten, „ſo 'was hat man in anderen Ländern nicht.“ „Nein,“ antwortete Innſtetten, der von ſolchem Patriotismus nicht viel hielt, „in anderen Ländern hat man 'was anderes.“ Man ſang alle Strophen durch, dann hieß es, die Wagen ſeien vorgefahren, und gleich darnach erhob ſich alles, um die Pferde nicht warten zu laſſen. Denn dieſe Rückſicht „auf die Pferde“ ging auch im Kreiſe Keſſin allem anderen vor. Im Haus¬ flur ſtanden zwei hübſche Mägde, Ring hielt auf dergleichen, um den Herrſchaften beim Anziehen ihrer Pelze behülflich zu ſein. Alles war heiter angeregt, einige mehr als das, und das Einſteigen in die ver¬ ſchiedenen Gefährte ſchien ſich ſchnell und ohne Störung vollziehen zu ſollen, als es mit einemmal hieß, der Gieshübler'ſche Schlitten ſei nicht da. Gieshübler ſelbſt war viel zu artig, um gleich Unruhe zu zeigen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/278>, abgerufen am 25.11.2024.