günstige Witterung nicht davon abhalten. Es wurde wie früher bestimmt, daß ihr Roswitha bis an den Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des Kirchhofs entgegenkommen solle, sie verfehlten sich aber noch häufiger als früher. "Ich könnte Dich schelten, Roswitha, daß Du mich nie findest. Aber es hat nichts auf sich; ich ängstige mich nicht mehr, auch nicht einmal am Kirchhof, und im Walde bin ich noch keiner Menschenseele begegnet."
Es war am Tage vor Innstetten's Rückkehr von Berlin, daß Effi das sagte. Roswitha machte nicht viel davon und beschäftigte sich lieber damit, Guir¬ landen über den Thüren anzubringen; auch der Haifisch bekam einen Fichtenzweig und sah noch merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi sagte: "Das ist recht, Roswitha; er wird sich freuen über all' das Grün, wenn er morgen wieder da ist. Ob ich heute wohl noch gehe? Doktor Hannemann besteht darauf und meint in einem fort, ich nähme es nicht ernst genug, sonst müßte ich besser ausseh'n; ich habe aber keine rechte Lust heut, es nieselt und der Himmel ist so grau."
"Ich werde der gnäd'gen Frau den Regen¬ mantel bringen."
"Das thu'! Aber komme heute nicht nach, wir treffen uns ja doch nicht," und sie lachte. "Wirklich,
Effi Brieſt
günſtige Witterung nicht davon abhalten. Es wurde wie früher beſtimmt, daß ihr Roswitha bis an den Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des Kirchhofs entgegenkommen ſolle, ſie verfehlten ſich aber noch häufiger als früher. „Ich könnte Dich ſchelten, Roswitha, daß Du mich nie findeſt. Aber es hat nichts auf ſich; ich ängſtige mich nicht mehr, auch nicht einmal am Kirchhof, und im Walde bin ich noch keiner Menſchenſeele begegnet.“
Es war am Tage vor Innſtetten's Rückkehr von Berlin, daß Effi das ſagte. Roswitha machte nicht viel davon und beſchäftigte ſich lieber damit, Guir¬ landen über den Thüren anzubringen; auch der Haifiſch bekam einen Fichtenzweig und ſah noch merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi ſagte: „Das iſt recht, Roswitha; er wird ſich freuen über all' das Grün, wenn er morgen wieder da iſt. Ob ich heute wohl noch gehe? Doktor Hannemann beſteht darauf und meint in einem fort, ich nähme es nicht ernſt genug, ſonſt müßte ich beſſer ausſeh'n; ich habe aber keine rechte Luſt heut, es nieſelt und der Himmel iſt ſo grau.“
„Ich werde der gnäd'gen Frau den Regen¬ mantel bringen.“
„Das thu'! Aber komme heute nicht nach, wir treffen uns ja doch nicht,“ und ſie lachte. „Wirklich,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0311"n="302"/><fwplace="top"type="header">Effi Brieſt<lb/></fw> günſtige Witterung nicht davon abhalten. Es wurde<lb/>
wie früher beſtimmt, daß ihr Roswitha bis an den<lb/>
Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des<lb/>
Kirchhofs entgegenkommen ſolle, ſie verfehlten ſich<lb/>
aber noch häufiger als früher. „Ich könnte Dich<lb/>ſchelten, Roswitha, daß Du mich nie findeſt. Aber<lb/>
es hat nichts auf ſich; ich ängſtige mich nicht mehr,<lb/>
auch nicht einmal am Kirchhof, und im Walde bin<lb/>
ich noch keiner Menſchenſeele begegnet.“</p><lb/><p>Es war am Tage vor Innſtetten's Rückkehr von<lb/>
Berlin, daß Effi das ſagte. Roswitha machte nicht<lb/>
viel davon und beſchäftigte ſich lieber damit, Guir¬<lb/>
landen über den Thüren anzubringen; auch der<lb/>
Haifiſch bekam einen Fichtenzweig und ſah noch<lb/>
merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi ſagte: „Das<lb/>
iſt recht, Roswitha; er wird ſich freuen über all'<lb/>
das Grün, wenn er morgen wieder da iſt. Ob ich<lb/>
heute wohl noch gehe? Doktor Hannemann beſteht<lb/>
darauf und meint in einem fort, ich nähme es nicht<lb/>
ernſt genug, ſonſt müßte ich beſſer ausſeh'n; ich habe<lb/>
aber keine rechte Luſt heut, es nieſelt und der Himmel<lb/>
iſt ſo grau.“</p><lb/><p>„Ich werde der gnäd'gen Frau den Regen¬<lb/>
mantel bringen.“</p><lb/><p>„Das thu'! Aber komme heute nicht nach, wir<lb/>
treffen uns ja doch nicht,“ und ſie lachte. „Wirklich,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[302/0311]
Effi Brieſt
günſtige Witterung nicht davon abhalten. Es wurde
wie früher beſtimmt, daß ihr Roswitha bis an den
Ausgang der Reeperbahn oder bis in die Nähe des
Kirchhofs entgegenkommen ſolle, ſie verfehlten ſich
aber noch häufiger als früher. „Ich könnte Dich
ſchelten, Roswitha, daß Du mich nie findeſt. Aber
es hat nichts auf ſich; ich ängſtige mich nicht mehr,
auch nicht einmal am Kirchhof, und im Walde bin
ich noch keiner Menſchenſeele begegnet.“
Es war am Tage vor Innſtetten's Rückkehr von
Berlin, daß Effi das ſagte. Roswitha machte nicht
viel davon und beſchäftigte ſich lieber damit, Guir¬
landen über den Thüren anzubringen; auch der
Haifiſch bekam einen Fichtenzweig und ſah noch
merkwürdiger aus als gewöhnlich. Effi ſagte: „Das
iſt recht, Roswitha; er wird ſich freuen über all'
das Grün, wenn er morgen wieder da iſt. Ob ich
heute wohl noch gehe? Doktor Hannemann beſteht
darauf und meint in einem fort, ich nähme es nicht
ernſt genug, ſonſt müßte ich beſſer ausſeh'n; ich habe
aber keine rechte Luſt heut, es nieſelt und der Himmel
iſt ſo grau.“
„Ich werde der gnäd'gen Frau den Regen¬
mantel bringen.“
„Das thu'! Aber komme heute nicht nach, wir
treffen uns ja doch nicht,“ und ſie lachte. „Wirklich,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/311>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.