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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896.

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Effi Briest
"Nein," sagte sie zu sich selber, "so bin ich doch
nicht gewesen. Vielleicht hat es mir auch an Zucht
gefehlt, wie diese furchtbare Sidonie mir eben an¬
deutete, vielleicht auch anderes noch. Man war zu
Haus zu gütig gegen mich, man liebte mich zu sehr.
Aber das darf ich doch wohl sagen, ich habe mich
nie geziert. Das war immer Hulda's Sache. Darum
gefiel sie mir auch nicht, als ich diesen Sommer sie
wieder sah."

Auf dem Rückwege vom Walde nach der Ober¬
förstern begann es zu schneien. Crampas gesellte
sich zu Effi und sprach ihr sein Bedauern aus, daß
er noch nicht Gelegenheit gehabt habe, sie zu be¬
grüßen. Zugleich wies er auf die großen, schweren
Schneeflocken, die fielen, und sagte: "Wenn das so
weiter geht, so schneien wir hier ein."

"Das wäre nicht das Schlimmste. Mit dem
Eingeschneitwerden verbinde ich von langer Zeit her
eine freundliche Vorstellung, eine Vorstellung von
Schutz und Beistand."

"Das ist mir neu, meine gnädigste Frau."

"Ja," fuhr Effi fort und versuchte zu lachen,
"mit den Vorstellungen ist es ein eigen Ding, man
macht sie sich nicht bloß nach dem, was man persönlich
erfahren hat, auch nach dem, was man irgendwo
gehört oder ganz zufällig weiß. Sie sind so belesen,

Effi Brieſt
„Nein,“ ſagte ſie zu ſich ſelber, „ſo bin ich doch
nicht geweſen. Vielleicht hat es mir auch an Zucht
gefehlt, wie dieſe furchtbare Sidonie mir eben an¬
deutete, vielleicht auch anderes noch. Man war zu
Haus zu gütig gegen mich, man liebte mich zu ſehr.
Aber das darf ich doch wohl ſagen, ich habe mich
nie geziert. Das war immer Hulda's Sache. Darum
gefiel ſie mir auch nicht, als ich dieſen Sommer ſie
wieder ſah.“

Auf dem Rückwege vom Walde nach der Ober¬
förſtern begann es zu ſchneien. Crampas geſellte
ſich zu Effi und ſprach ihr ſein Bedauern aus, daß
er noch nicht Gelegenheit gehabt habe, ſie zu be¬
grüßen. Zugleich wies er auf die großen, ſchweren
Schneeflocken, die fielen, und ſagte: „Wenn das ſo
weiter geht, ſo ſchneien wir hier ein.“

„Das wäre nicht das Schlimmſte. Mit dem
Eingeſchneitwerden verbinde ich von langer Zeit her
eine freundliche Vorſtellung, eine Vorſtellung von
Schutz und Beiſtand.“

„Das iſt mir neu, meine gnädigſte Frau.“

„Ja,“ fuhr Effi fort und verſuchte zu lachen,
„mit den Vorſtellungen iſt es ein eigen Ding, man
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[261/0270] Effi Brieſt „Nein,“ ſagte ſie zu ſich ſelber, „ſo bin ich doch nicht geweſen. Vielleicht hat es mir auch an Zucht gefehlt, wie dieſe furchtbare Sidonie mir eben an¬ deutete, vielleicht auch anderes noch. Man war zu Haus zu gütig gegen mich, man liebte mich zu ſehr. Aber das darf ich doch wohl ſagen, ich habe mich nie geziert. Das war immer Hulda's Sache. Darum gefiel ſie mir auch nicht, als ich dieſen Sommer ſie wieder ſah.“ Auf dem Rückwege vom Walde nach der Ober¬ förſtern begann es zu ſchneien. Crampas geſellte ſich zu Effi und ſprach ihr ſein Bedauern aus, daß er noch nicht Gelegenheit gehabt habe, ſie zu be¬ grüßen. Zugleich wies er auf die großen, ſchweren Schneeflocken, die fielen, und ſagte: „Wenn das ſo weiter geht, ſo ſchneien wir hier ein.“ „Das wäre nicht das Schlimmſte. Mit dem Eingeſchneitwerden verbinde ich von langer Zeit her eine freundliche Vorſtellung, eine Vorſtellung von Schutz und Beiſtand.“ „Das iſt mir neu, meine gnädigſte Frau.“ „Ja,“ fuhr Effi fort und verſuchte zu lachen, „mit den Vorſtellungen iſt es ein eigen Ding, man macht ſie ſich nicht bloß nach dem, was man perſönlich erfahren hat, auch nach dem, was man irgendwo gehört oder ganz zufällig weiß. Sie ſind ſo beleſen,

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/270>, abgerufen am 26.11.2024.