um gleißnerisch sein Bedauern auszusprechen, daß sein ,lieber Gast' noch immer fehle, da hört man auf der Treppe draußen einen Aufschrei der entsetzten Dienerschaften, und ehe noch irgend wer weiß, was geschehen ist, jagt etwas an der langen Festestafel entlang, und nun springt es auf den Stuhl und setzt ein abgeschlagenes Haupt auf den leergebliebenen Platz, und über eben dieses Haupt hinweg starrt Rollo auf sein Gegenüber, den König. Rollo hatte seinen Herrn auf seinem letzten Gange begleitet und im selben Augenblicke, wo das Beil fiel, hatte das treue Tier das fallende Haupt gepackt, und da war er nun, unser Freund Rollo, an der langen Festes¬ tafel und verklagte den königlichen Mörder."
Effi war ganz still geworden. Endlich sagte sie: "Crampas, das ist in seiner Art sehr schön, und weil es sehr schön ist, will ich es Ihnen verzeihen. Aber Sie könnten doch Bess'res und zugleich mir Lieberes thun, wenn Sie mir andere Geschichten er¬ zählten. Auch von Heine. Heine wird doch nicht bloß von Vitzliputzli und Don Pedro und Ihrem Rollo -- denn meiner hätte so 'was nicht gethan -- gedichtet haben. Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr ansehen, ohne an den Kalatrava-Ritter zu denken, den die Königin heim¬ lich liebte ... Rufen Sie, bitte, Kruse, daß er die
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Effi Brieſt
um gleißneriſch ſein Bedauern auszuſprechen, daß ſein ‚lieber Gaſt‘ noch immer fehle, da hört man auf der Treppe draußen einen Aufſchrei der entſetzten Dienerſchaften, und ehe noch irgend wer weiß, was geſchehen iſt, jagt etwas an der langen Feſtestafel entlang, und nun ſpringt es auf den Stuhl und ſetzt ein abgeſchlagenes Haupt auf den leergebliebenen Platz, und über eben dieſes Haupt hinweg ſtarrt Rollo auf ſein Gegenüber, den König. Rollo hatte ſeinen Herrn auf ſeinem letzten Gange begleitet und im ſelben Augenblicke, wo das Beil fiel, hatte das treue Tier das fallende Haupt gepackt, und da war er nun, unſer Freund Rollo, an der langen Feſtes¬ tafel und verklagte den königlichen Mörder.“
Effi war ganz ſtill geworden. Endlich ſagte ſie: „Crampas, das iſt in ſeiner Art ſehr ſchön, und weil es ſehr ſchön iſt, will ich es Ihnen verzeihen. Aber Sie könnten doch Beſſ'res und zugleich mir Lieberes thun, wenn Sie mir andere Geſchichten er¬ zählten. Auch von Heine. Heine wird doch nicht bloß von Vitzliputzli und Don Pedro und Ihrem Rollo — denn meiner hätte ſo 'was nicht gethan — gedichtet haben. Komm, Rollo! Armes Tier, ich kann dich gar nicht mehr anſehen, ohne an den Kalatrava-Ritter zu denken, den die Königin heim¬ lich liebte … Rufen Sie, bitte, Kruſe, daß er die
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Effi Brieſt
um gleißneriſch ſein Bedauern auszuſprechen, daß
ſein ‚lieber Gaſt‘ noch immer fehle, da hört man
auf der Treppe draußen einen Aufſchrei der entſetzten
Dienerſchaften, und ehe noch irgend wer weiß, was
geſchehen iſt, jagt etwas an der langen Feſtestafel
entlang, und nun ſpringt es auf den Stuhl und
ſetzt ein abgeſchlagenes Haupt auf den leergebliebenen
Platz, und über eben dieſes Haupt hinweg ſtarrt
Rollo auf ſein Gegenüber, den König. Rollo hatte
ſeinen Herrn auf ſeinem letzten Gange begleitet und
im ſelben Augenblicke, wo das Beil fiel, hatte das
treue Tier das fallende Haupt gepackt, und da war
er nun, unſer Freund Rollo, an der langen Feſtes¬
tafel und verklagte den königlichen Mörder.“
Effi war ganz ſtill geworden. Endlich ſagte
ſie: „Crampas, das iſt in ſeiner Art ſehr ſchön, und
weil es ſehr ſchön iſt, will ich es Ihnen verzeihen.
Aber Sie könnten doch Beſſ'res und zugleich mir
Lieberes thun, wenn Sie mir andere Geſchichten er¬
zählten. Auch von Heine. Heine wird doch nicht
bloß von Vitzliputzli und Don Pedro und Ihrem
Rollo — denn meiner hätte ſo 'was nicht gethan
— gedichtet haben. Komm, Rollo! Armes Tier, ich
kann dich gar nicht mehr anſehen, ohne an den
Kalatrava-Ritter zu denken, den die Königin heim¬
lich liebte … Rufen Sie, bitte, Kruſe, daß er die
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Fontane, Theodor: Effi Briest. Berlin, 1896, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_briest_1896/252>, abgerufen am 28.11.2024.
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