Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

Bild:
<< vorherige Seite

die Fische?" Der Angeredete nannte eine beliebige Summe. "Da
lasse ich sie billiger und gebe noch eine Bleiflinke zu." Damit
griff Apitz in die Wanne und warf ihm die angekündigte Flinke
in's Boot. In diesem Augenblicke stieg der Gluthball der Sonne
auf und durchleuchtete die dünnen Nebel. Wir sahen nun erst, wo
wir waren.

Am Wasser hin zog sich eine schmale Wiese, von Huflattig
eingefaßt, der hier und dort in grotesken Blattbildungen kleine
vorspringende Inseln schuf. Hinter dem Wiesenstreifen, immer den
Windungen des Flusses folgend, stand eine Reihe von Häusern,
jedes einzelne durch ein blühendes Mohnfeld von dem Nachbarhause
geschieden. Die Bewohner schliefen noch oder hantirten in Küche
und Kammer; nur ein paar Blondköpfe waren aus dem Bett in
den Garten gesprungen und spielten in ihren rothen Friesröcken
unter dem weißen Mohn umher. Im Rücken der Häuser stieg
das Erdreich an, fast einen Damm bildend, auf dessen Höhe der
Hanf in dichten Stauden stand. Hinter dem Damm aber lief die
Dorfstraße hin, wenigstens klang von dort her ein leises Läuten
herüber. Ich glaubte die Heerde zu sehen, trotzdem sie meinem
Auge verborgen war.

Einsamkeit auch hier. Aber wenn sie am Tage vorher, an
den Ufern des Zeuthener-Sees, wie ein wendisches Volkslied elegisch
geklungen hatte, so klang sie hier wie ein Idyll aus alten Zeiten
und schuf dem Herzen ein süßes Glück, wo jene nur ein süßes
Weh geschaffen hatte. Ich wurde des stillen Lebens, das aus
diesen Bildern zu mir sprach, nicht müde. Immer Neues erschloß
sich mir, das mein Herz bewegte. In Front jedes Hauses stand
ein uralter Birnbaum, in der einen Hälfte abgestorben, aber in
der anderen noch frisch und mit Früchten überdeckt. In dem
hohlen Hauptast bauten die Bienen, an dem Stamm lehnte die
Sense, zwischen den Zweigen hing das Netz; und in dieser Drei-
heit lag ersichtlich das Dasein dieser einfachen Menschen beschlossen.
Das Sammeln des Honigs, das Mähen der Wiese, das Fischen
im Fluß, in so engem Kreislauf vollendete sich tagtäglich ihre
Welt. Und so war es immer an dieser Stelle.

Wie die Menschen hier, in Pfahlbauzeiten, im Gezweige ge-
wohnt hatten, so wohnten sie jetzt unter dem Gezweig; aber in

die Fiſche?“ Der Angeredete nannte eine beliebige Summe. „Da
laſſe ich ſie billiger und gebe noch eine Bleiflinke zu.“ Damit
griff Apitz in die Wanne und warf ihm die angekündigte Flinke
in’s Boot. In dieſem Augenblicke ſtieg der Gluthball der Sonne
auf und durchleuchtete die dünnen Nebel. Wir ſahen nun erſt, wo
wir waren.

Am Waſſer hin zog ſich eine ſchmale Wieſe, von Huflattig
eingefaßt, der hier und dort in grotesken Blattbildungen kleine
vorſpringende Inſeln ſchuf. Hinter dem Wieſenſtreifen, immer den
Windungen des Fluſſes folgend, ſtand eine Reihe von Häuſern,
jedes einzelne durch ein blühendes Mohnfeld von dem Nachbarhauſe
geſchieden. Die Bewohner ſchliefen noch oder hantirten in Küche
und Kammer; nur ein paar Blondköpfe waren aus dem Bett in
den Garten geſprungen und ſpielten in ihren rothen Friesröcken
unter dem weißen Mohn umher. Im Rücken der Häuſer ſtieg
das Erdreich an, faſt einen Damm bildend, auf deſſen Höhe der
Hanf in dichten Stauden ſtand. Hinter dem Damm aber lief die
Dorfſtraße hin, wenigſtens klang von dort her ein leiſes Läuten
herüber. Ich glaubte die Heerde zu ſehen, trotzdem ſie meinem
Auge verborgen war.

Einſamkeit auch hier. Aber wenn ſie am Tage vorher, an
den Ufern des Zeuthener-Sees, wie ein wendiſches Volkslied elegiſch
geklungen hatte, ſo klang ſie hier wie ein Idyll aus alten Zeiten
und ſchuf dem Herzen ein ſüßes Glück, wo jene nur ein ſüßes
Weh geſchaffen hatte. Ich wurde des ſtillen Lebens, das aus
dieſen Bildern zu mir ſprach, nicht müde. Immer Neues erſchloß
ſich mir, das mein Herz bewegte. In Front jedes Hauſes ſtand
ein uralter Birnbaum, in der einen Hälfte abgeſtorben, aber in
der anderen noch friſch und mit Früchten überdeckt. In dem
hohlen Hauptaſt bauten die Bienen, an dem Stamm lehnte die
Senſe, zwiſchen den Zweigen hing das Netz; und in dieſer Drei-
heit lag erſichtlich das Daſein dieſer einfachen Menſchen beſchloſſen.
Das Sammeln des Honigs, das Mähen der Wieſe, das Fiſchen
im Fluß, in ſo engem Kreislauf vollendete ſich tagtäglich ihre
Welt. Und ſo war es immer an dieſer Stelle.

Wie die Menſchen hier, in Pfahlbauzeiten, im Gezweige ge-
wohnt hatten, ſo wohnten ſie jetzt unter dem Gezweig; aber in

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0093" n="77"/>
die Fi&#x017F;che?&#x201C; Der Angeredete nannte eine beliebige Summe. &#x201E;Da<lb/>
la&#x017F;&#x017F;e ich &#x017F;ie billiger und gebe noch eine Bleiflinke zu.&#x201C; Damit<lb/>
griff Apitz in die Wanne und warf ihm die angekündigte Flinke<lb/>
in&#x2019;s Boot. In die&#x017F;em Augenblicke &#x017F;tieg der Gluthball der Sonne<lb/>
auf und durchleuchtete die dünnen Nebel. Wir &#x017F;ahen nun er&#x017F;t, wo<lb/>
wir waren.</p><lb/>
            <p>Am Wa&#x017F;&#x017F;er hin zog &#x017F;ich eine &#x017F;chmale Wie&#x017F;e, von Huflattig<lb/>
eingefaßt, der hier und dort in grotesken Blattbildungen kleine<lb/>
vor&#x017F;pringende In&#x017F;eln &#x017F;chuf. Hinter dem Wie&#x017F;en&#x017F;treifen, immer den<lb/>
Windungen des Flu&#x017F;&#x017F;es folgend, &#x017F;tand eine Reihe von Häu&#x017F;ern,<lb/>
jedes einzelne durch ein blühendes Mohnfeld von dem Nachbarhau&#x017F;e<lb/>
ge&#x017F;chieden. Die Bewohner &#x017F;chliefen noch oder hantirten in Küche<lb/>
und Kammer; nur ein paar Blondköpfe waren aus dem Bett in<lb/>
den Garten ge&#x017F;prungen und &#x017F;pielten in ihren rothen Friesröcken<lb/>
unter dem weißen Mohn umher. Im Rücken der Häu&#x017F;er &#x017F;tieg<lb/>
das Erdreich an, fa&#x017F;t einen Damm bildend, auf de&#x017F;&#x017F;en Höhe der<lb/>
Hanf in dichten Stauden &#x017F;tand. Hinter dem Damm aber lief die<lb/>
Dorf&#x017F;traße hin, wenig&#x017F;tens klang von dort her ein lei&#x017F;es Läuten<lb/>
herüber. Ich glaubte die Heerde zu &#x017F;ehen, trotzdem &#x017F;ie meinem<lb/>
Auge verborgen war.</p><lb/>
            <p>Ein&#x017F;amkeit auch hier. Aber wenn &#x017F;ie am Tage vorher, an<lb/>
den Ufern des Zeuthener-Sees, wie ein wendi&#x017F;ches Volkslied elegi&#x017F;ch<lb/>
geklungen hatte, &#x017F;o klang &#x017F;ie hier wie ein Idyll aus alten Zeiten<lb/>
und &#x017F;chuf dem Herzen ein &#x017F;üßes Glück, wo jene nur ein &#x017F;üßes<lb/>
Weh ge&#x017F;chaffen hatte. Ich wurde des &#x017F;tillen Lebens, das aus<lb/>
die&#x017F;en Bildern zu mir &#x017F;prach, nicht müde. Immer Neues er&#x017F;chloß<lb/>
&#x017F;ich mir, das mein Herz bewegte. In Front jedes Hau&#x017F;es &#x017F;tand<lb/>
ein uralter Birnbaum, in der einen Hälfte abge&#x017F;torben, aber in<lb/>
der anderen noch fri&#x017F;ch und mit Früchten überdeckt. In dem<lb/>
hohlen Haupta&#x017F;t bauten die Bienen, an dem Stamm lehnte die<lb/>
Sen&#x017F;e, zwi&#x017F;chen den Zweigen hing das Netz; und in die&#x017F;er Drei-<lb/>
heit lag er&#x017F;ichtlich das Da&#x017F;ein die&#x017F;er einfachen Men&#x017F;chen be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Das Sammeln des Honigs, das Mähen der Wie&#x017F;e, das Fi&#x017F;chen<lb/>
im Fluß, in &#x017F;o engem Kreislauf vollendete &#x017F;ich tagtäglich ihre<lb/>
Welt. Und &#x017F;o war es immer an die&#x017F;er Stelle.</p><lb/>
            <p>Wie die Men&#x017F;chen hier, in Pfahlbauzeiten, im Gezweige ge-<lb/>
wohnt hatten, &#x017F;o wohnten &#x017F;ie jetzt <hi rendition="#g">unter</hi> dem Gezweig; aber in<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0093] die Fiſche?“ Der Angeredete nannte eine beliebige Summe. „Da laſſe ich ſie billiger und gebe noch eine Bleiflinke zu.“ Damit griff Apitz in die Wanne und warf ihm die angekündigte Flinke in’s Boot. In dieſem Augenblicke ſtieg der Gluthball der Sonne auf und durchleuchtete die dünnen Nebel. Wir ſahen nun erſt, wo wir waren. Am Waſſer hin zog ſich eine ſchmale Wieſe, von Huflattig eingefaßt, der hier und dort in grotesken Blattbildungen kleine vorſpringende Inſeln ſchuf. Hinter dem Wieſenſtreifen, immer den Windungen des Fluſſes folgend, ſtand eine Reihe von Häuſern, jedes einzelne durch ein blühendes Mohnfeld von dem Nachbarhauſe geſchieden. Die Bewohner ſchliefen noch oder hantirten in Küche und Kammer; nur ein paar Blondköpfe waren aus dem Bett in den Garten geſprungen und ſpielten in ihren rothen Friesröcken unter dem weißen Mohn umher. Im Rücken der Häuſer ſtieg das Erdreich an, faſt einen Damm bildend, auf deſſen Höhe der Hanf in dichten Stauden ſtand. Hinter dem Damm aber lief die Dorfſtraße hin, wenigſtens klang von dort her ein leiſes Läuten herüber. Ich glaubte die Heerde zu ſehen, trotzdem ſie meinem Auge verborgen war. Einſamkeit auch hier. Aber wenn ſie am Tage vorher, an den Ufern des Zeuthener-Sees, wie ein wendiſches Volkslied elegiſch geklungen hatte, ſo klang ſie hier wie ein Idyll aus alten Zeiten und ſchuf dem Herzen ein ſüßes Glück, wo jene nur ein ſüßes Weh geſchaffen hatte. Ich wurde des ſtillen Lebens, das aus dieſen Bildern zu mir ſprach, nicht müde. Immer Neues erſchloß ſich mir, das mein Herz bewegte. In Front jedes Hauſes ſtand ein uralter Birnbaum, in der einen Hälfte abgeſtorben, aber in der anderen noch friſch und mit Früchten überdeckt. In dem hohlen Hauptaſt bauten die Bienen, an dem Stamm lehnte die Senſe, zwiſchen den Zweigen hing das Netz; und in dieſer Drei- heit lag erſichtlich das Daſein dieſer einfachen Menſchen beſchloſſen. Das Sammeln des Honigs, das Mähen der Wieſe, das Fiſchen im Fluß, in ſo engem Kreislauf vollendete ſich tagtäglich ihre Welt. Und ſo war es immer an dieſer Stelle. Wie die Menſchen hier, in Pfahlbauzeiten, im Gezweige ge- wohnt hatten, ſo wohnten ſie jetzt unter dem Gezweig; aber in

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/93
Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/93>, abgerufen am 02.05.2024.