gegenüber aber, dicht gedrückt unter der Decke hin, blinkten die dünnen Röhren eines Harmoniums, dieses verkümmerten Enkel- kindes der Orgel. In der Mitte der Kirche paradirte ein Kron- leuchter, zum Andenken an die Jahre 13, 14 und 15 gestiftet. Er zeigte die Form einer Kosackenmütze und war mit einem in Blech geschnittenen Eisernen Kreuz geschmückt. Derselben Zeit ge- hörte auch eine Landsturmfahne an, die auf ihrem rothen Flanell- lappen einen schwarzen Adler und die Bezeichnung: "1. Division, 1. Brigade" trug. Was hier so niederdrückend wirkte, war die melancholische Abwesenheit alles Freien und Selbständigen; die Armuth kann poetisch sein, die Armseligkeit nie.
Wir traten auf den Kirchhof hinaus, dessen Gräber, wie die Häuser des Dorfes, gruppenweise versteckt in den Senkungen des Hügels lagen. Nur hier und dort ein Busch, ein Blumenbeet.
Um den Eindruck zu bannen, den das Innere der Kirche auf uns gemacht hatte, forschten wir nach Kahnis' Grab, freilich zu- nächst umsonst. Der Küster, der erst wenige Monate im Dorfe war, hatte den Namen nie gehört, zeigte sich indessen beflissen, in seiner Schulklasse zu fragen. Als er wieder zu uns trat, war er in Begleitung eines halbwachsenen Mädchens, dessen flachs- blonde Zöpfe zu einer dichten Krone zusammengelegt waren. Sie begrüßte uns unbefangen, schritt auf einen abseits gelegenen, halb- verwilderten Fliederbusch zu und sagte dann, indem sie die Zweige auseinander bog: "das ist Kahnis' Grab". Auf einem eingefallenen Hügel, der mehr mit Moos als mit Gras überwachsen war, lag ein halbumgestürztes Kreuz; die Inschrift war längst vom Regen abgewaschen. Als wir neugierig fragten, "woher sie die Stelle so gut kenne", zeigte sie, statt jeder anderen Antwort, auf ein Hänf- lingsnest, das sich in dem Gezweig versteckte. Die beiden Alten flogen auf, umkreisten aber die Stätte. Capitain Backhusen, als er des geängstigten Pärchens ansichtig wurde, lüpfte den Hut und sagte dann: "das sind wir dem Andenken Kahnis' schuldig, den Frieden dieses glücklichen Haushaltes nicht länger zu stören." Und damit traten wir unseren Rückzug an.
Eine Viertelstunde später waren wir wieder an Bord der "Sphinx" und fuhren nun, unseren Cours wechselnd, auf die Süd- spitze des Zeuthener-Sees zu. Auch hier noch ist der Segelclub
gegenüber aber, dicht gedrückt unter der Decke hin, blinkten die dünnen Röhren eines Harmoniums, dieſes verkümmerten Enkel- kindes der Orgel. In der Mitte der Kirche paradirte ein Kron- leuchter, zum Andenken an die Jahre 13, 14 und 15 geſtiftet. Er zeigte die Form einer Koſackenmütze und war mit einem in Blech geſchnittenen Eiſernen Kreuz geſchmückt. Derſelben Zeit ge- hörte auch eine Landſturmfahne an, die auf ihrem rothen Flanell- lappen einen ſchwarzen Adler und die Bezeichnung: „1. Diviſion, 1. Brigade“ trug. Was hier ſo niederdrückend wirkte, war die melancholiſche Abweſenheit alles Freien und Selbſtändigen; die Armuth kann poetiſch ſein, die Armſeligkeit nie.
Wir traten auf den Kirchhof hinaus, deſſen Gräber, wie die Häuſer des Dorfes, gruppenweiſe verſteckt in den Senkungen des Hügels lagen. Nur hier und dort ein Buſch, ein Blumenbeet.
Um den Eindruck zu bannen, den das Innere der Kirche auf uns gemacht hatte, forſchten wir nach Kahnis’ Grab, freilich zu- nächſt umſonſt. Der Küſter, der erſt wenige Monate im Dorfe war, hatte den Namen nie gehört, zeigte ſich indeſſen befliſſen, in ſeiner Schulklaſſe zu fragen. Als er wieder zu uns trat, war er in Begleitung eines halbwachſenen Mädchens, deſſen flachs- blonde Zöpfe zu einer dichten Krone zuſammengelegt waren. Sie begrüßte uns unbefangen, ſchritt auf einen abſeits gelegenen, halb- verwilderten Fliederbuſch zu und ſagte dann, indem ſie die Zweige auseinander bog: „das iſt Kahnis’ Grab“. Auf einem eingefallenen Hügel, der mehr mit Moos als mit Gras überwachſen war, lag ein halbumgeſtürztes Kreuz; die Inſchrift war längſt vom Regen abgewaſchen. Als wir neugierig fragten, „woher ſie die Stelle ſo gut kenne“, zeigte ſie, ſtatt jeder anderen Antwort, auf ein Hänf- lingsneſt, das ſich in dem Gezweig verſteckte. Die beiden Alten flogen auf, umkreiſten aber die Stätte. Capitain Backhuſen, als er des geängſtigten Pärchens anſichtig wurde, lüpfte den Hut und ſagte dann: „das ſind wir dem Andenken Kahnis’ ſchuldig, den Frieden dieſes glücklichen Haushaltes nicht länger zu ſtören.“ Und damit traten wir unſeren Rückzug an.
Eine Viertelſtunde ſpäter waren wir wieder an Bord der „Sphinx“ und fuhren nun, unſeren Cours wechſelnd, auf die Süd- ſpitze des Zeuthener-Sees zu. Auch hier noch iſt der Segelclub
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gegenüber aber, dicht gedrückt unter der Decke hin, blinkten die
dünnen Röhren eines Harmoniums, dieſes verkümmerten Enkel-
kindes der Orgel. In der Mitte der Kirche paradirte ein Kron-
leuchter, zum Andenken an die Jahre 13, 14 und 15 geſtiftet.
Er zeigte die Form einer Koſackenmütze und war mit einem in
Blech geſchnittenen Eiſernen Kreuz geſchmückt. Derſelben Zeit ge-
hörte auch eine Landſturmfahne an, die auf ihrem rothen Flanell-
lappen einen ſchwarzen Adler und die Bezeichnung: „1. Diviſion,
1. Brigade“ trug. Was hier ſo niederdrückend wirkte, war die
melancholiſche Abweſenheit alles Freien und Selbſtändigen; die
Armuth kann poetiſch ſein, die Armſeligkeit nie.
Wir traten auf den Kirchhof hinaus, deſſen Gräber, wie die
Häuſer des Dorfes, gruppenweiſe verſteckt in den Senkungen des
Hügels lagen. Nur hier und dort ein Buſch, ein Blumenbeet.
Um den Eindruck zu bannen, den das Innere der Kirche auf
uns gemacht hatte, forſchten wir nach Kahnis’ Grab, freilich zu-
nächſt umſonſt. Der Küſter, der erſt wenige Monate im Dorfe
war, hatte den Namen nie gehört, zeigte ſich indeſſen befliſſen,
in ſeiner Schulklaſſe zu fragen. Als er wieder zu uns trat, war
er in Begleitung eines halbwachſenen Mädchens, deſſen flachs-
blonde Zöpfe zu einer dichten Krone zuſammengelegt waren. Sie
begrüßte uns unbefangen, ſchritt auf einen abſeits gelegenen, halb-
verwilderten Fliederbuſch zu und ſagte dann, indem ſie die Zweige
auseinander bog: „das iſt Kahnis’ Grab“. Auf einem eingefallenen
Hügel, der mehr mit Moos als mit Gras überwachſen war, lag
ein halbumgeſtürztes Kreuz; die Inſchrift war längſt vom Regen
abgewaſchen. Als wir neugierig fragten, „woher ſie die Stelle ſo
gut kenne“, zeigte ſie, ſtatt jeder anderen Antwort, auf ein Hänf-
lingsneſt, das ſich in dem Gezweig verſteckte. Die beiden Alten
flogen auf, umkreiſten aber die Stätte. Capitain Backhuſen, als
er des geängſtigten Pärchens anſichtig wurde, lüpfte den Hut und
ſagte dann: „das ſind wir dem Andenken Kahnis’ ſchuldig, den
Frieden dieſes glücklichen Haushaltes nicht länger zu ſtören.“
Und damit traten wir unſeren Rückzug an.
Eine Viertelſtunde ſpäter waren wir wieder an Bord der
„Sphinx“ und fuhren nun, unſeren Cours wechſelnd, auf die Süd-
ſpitze des Zeuthener-Sees zu. Auch hier noch iſt der Segelclub
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 74. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/90>, abgerufen am 27.11.2024.
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