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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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werden ist eigentlich immer mein Ideal gewesen. Aber der eine
denkt so und der andre so ... Haben Sie schon mal von dem
Minister Woellner gehört?"

"Nein. Wer war er denn? Ich habe blos noch von die
Manteuffels gehört. Und einer hieß der kleine Manteuffel. Es
muß also wohl schon vorher gewesen sein."

"O lange vorher. Er war Minister bei Friedrich Wilhelm II.,
oder wie die Leute sagen beim dicken König. Und sie sagen auch,
er hätt' ihm immer Hocuspocus vorgemacht und Geister und Ge-
spenster, und alles immer mit Weihrauch und Glasharmonika.
Na, vielleicht war es nicht so schlimm. Und das können Sie
glauben, Moll, er war gescheidter als manche, die jetzt über ihn
lachen. Is auch gar nicht zu verwundern. Denn wie ging es
denn? Erst war er blos Hauslehrer und soll auch ein paar Mal
gepredigt haben und noch dazu ganz gut; aber zuletzt dacht' er
doch wohl "es käme nicht viel dabei heraus" und heirathete lieber
ein junges Fräulein von Itzenplitz. Auch die Mutter, heißt es,
war ihm nicht unhold. "Nicht unhold" darf man am Ende sagen
und ist ein statthafter Ausdruck. Und als er nun das junge
Fräulein geheirathet hatte (die Mutter nahm es alles in die Hand)
da wurd' er Minister und regierte den preußischen Staat. Und
das kann doch schließlich nicht all und jeder."

Ich hatte hierbei Molls unbedingte Zustimmung erwartet,
aber diese blieb aus, und während er es vorzog hin und her zu
diplomatisiren, fuhren wir bereits in Groß-Rietz ein und hielten
alsbald vor einem Häuschen, das uns als das des Herrn Cantors
bezeichnet worden war.

Ich stieg ein paar Stufen hinauf bis in den Flur und
wollte klopfen, aber ein Choral der eben auf einem kleinen Klavier
gespielt wurde, hielt mich davon ab. Endlich schwieg es drin und
ich trat ein.

Ein alter würdiger Herr empfing mich und hörte wohlwollend
aber verlegen meinem Vortrage zu, was mich schließlich selber ver-
legen machte. So sehr, daß ich, wie gewöhnlich in solcher Lage,
vom hundertsten aufs tausendste kam. In diesem Momente höchster
Bedrängniß erschien die Frau Cantorin und sah mit dem den
Frauen eigenen Scharfblick auf der Stelle, daß es sich hier un-

werden iſt eigentlich immer mein Ideal geweſen. Aber der eine
denkt ſo und der andre ſo … Haben Sie ſchon mal von dem
Miniſter Woellner gehört?“

„Nein. Wer war er denn? Ich habe blos noch von die
Manteuffels gehört. Und einer hieß der kleine Manteuffel. Es
muß alſo wohl ſchon vorher geweſen ſein.“

„O lange vorher. Er war Miniſter bei Friedrich Wilhelm II.,
oder wie die Leute ſagen beim dicken König. Und ſie ſagen auch,
er hätt’ ihm immer Hocuspocus vorgemacht und Geiſter und Ge-
ſpenſter, und alles immer mit Weihrauch und Glasharmonika.
Na, vielleicht war es nicht ſo ſchlimm. Und das können Sie
glauben, Moll, er war geſcheidter als manche, die jetzt über ihn
lachen. Is auch gar nicht zu verwundern. Denn wie ging es
denn? Erſt war er blos Hauslehrer und ſoll auch ein paar Mal
gepredigt haben und noch dazu ganz gut; aber zuletzt dacht’ er
doch wohl „es käme nicht viel dabei heraus“ und heirathete lieber
ein junges Fräulein von Itzenplitz. Auch die Mutter, heißt es,
war ihm nicht unhold. „Nicht unhold“ darf man am Ende ſagen
und iſt ein ſtatthafter Ausdruck. Und als er nun das junge
Fräulein geheirathet hatte (die Mutter nahm es alles in die Hand)
da wurd’ er Miniſter und regierte den preußiſchen Staat. Und
das kann doch ſchließlich nicht all und jeder.“

Ich hatte hierbei Molls unbedingte Zuſtimmung erwartet,
aber dieſe blieb aus, und während er es vorzog hin und her zu
diplomatiſiren, fuhren wir bereits in Groß-Rietz ein und hielten
alsbald vor einem Häuschen, das uns als das des Herrn Cantors
bezeichnet worden war.

Ich ſtieg ein paar Stufen hinauf bis in den Flur und
wollte klopfen, aber ein Choral der eben auf einem kleinen Klavier
geſpielt wurde, hielt mich davon ab. Endlich ſchwieg es drin und
ich trat ein.

Ein alter würdiger Herr empfing mich und hörte wohlwollend
aber verlegen meinem Vortrage zu, was mich ſchließlich ſelber ver-
legen machte. So ſehr, daß ich, wie gewöhnlich in ſolcher Lage,
vom hundertſten aufs tauſendſte kam. In dieſem Momente höchſter
Bedrängniß erſchien die Frau Cantorin und ſah mit dem den
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[39/0055] werden iſt eigentlich immer mein Ideal geweſen. Aber der eine denkt ſo und der andre ſo … Haben Sie ſchon mal von dem Miniſter Woellner gehört?“ „Nein. Wer war er denn? Ich habe blos noch von die Manteuffels gehört. Und einer hieß der kleine Manteuffel. Es muß alſo wohl ſchon vorher geweſen ſein.“ „O lange vorher. Er war Miniſter bei Friedrich Wilhelm II., oder wie die Leute ſagen beim dicken König. Und ſie ſagen auch, er hätt’ ihm immer Hocuspocus vorgemacht und Geiſter und Ge- ſpenſter, und alles immer mit Weihrauch und Glasharmonika. Na, vielleicht war es nicht ſo ſchlimm. Und das können Sie glauben, Moll, er war geſcheidter als manche, die jetzt über ihn lachen. Is auch gar nicht zu verwundern. Denn wie ging es denn? Erſt war er blos Hauslehrer und ſoll auch ein paar Mal gepredigt haben und noch dazu ganz gut; aber zuletzt dacht’ er doch wohl „es käme nicht viel dabei heraus“ und heirathete lieber ein junges Fräulein von Itzenplitz. Auch die Mutter, heißt es, war ihm nicht unhold. „Nicht unhold“ darf man am Ende ſagen und iſt ein ſtatthafter Ausdruck. Und als er nun das junge Fräulein geheirathet hatte (die Mutter nahm es alles in die Hand) da wurd’ er Miniſter und regierte den preußiſchen Staat. Und das kann doch ſchließlich nicht all und jeder.“ Ich hatte hierbei Molls unbedingte Zuſtimmung erwartet, aber dieſe blieb aus, und während er es vorzog hin und her zu diplomatiſiren, fuhren wir bereits in Groß-Rietz ein und hielten alsbald vor einem Häuschen, das uns als das des Herrn Cantors bezeichnet worden war. Ich ſtieg ein paar Stufen hinauf bis in den Flur und wollte klopfen, aber ein Choral der eben auf einem kleinen Klavier geſpielt wurde, hielt mich davon ab. Endlich ſchwieg es drin und ich trat ein. Ein alter würdiger Herr empfing mich und hörte wohlwollend aber verlegen meinem Vortrage zu, was mich ſchließlich ſelber ver- legen machte. So ſehr, daß ich, wie gewöhnlich in ſolcher Lage, vom hundertſten aufs tauſendſte kam. In dieſem Momente höchſter Bedrängniß erſchien die Frau Cantorin und ſah mit dem den Frauen eigenen Scharfblick auf der Stelle, daß es ſich hier un-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/55>, abgerufen am 28.11.2024.