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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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Wort ist immer Geld, und da kann ich schließlich nicht mehr mit.
Ich hab Ihnen heute früh Recht gegeben, aber sie gehen ja viel
zu weit und vergessen, daß ein Unterschied ist zwischen Pauvre-
sein und Arm-sein. Arm-sein ist nicht so schlimm. Achten Sie
mal darauf, immer die, denen das Leben das Leben schwer macht,
das sind die tüchtigsten und klügsten. War nicht die Pieskowsche
Wirthin eine kluge Frau?"

"Ja, ja."

"Nun sehen Sie, so viel Schneit ist immer nur bei der
Armuth. Die Noth lehrt beten, sagt das Sprüchwort, aber sie
lehrt auch denken, und wer immer satt ist, der betet nicht viel
und denkt nicht viel."

"Ich bin aber doch lieber satt."

"Ehrlich gestanden, ich auch. Darin stimmen wir nun wieder
zusammen. Aber es ist doch auch was mit der Armuth, oder
wenn man so will, sie hat auch ihre Vorzüge."

"Man blos nich viele ..."

"Nein, viele nicht. Aber doch welche. Sehen Sie, Sie haben
viel gelesen und sind eigentlich, wenn es nicht grad ihre schwache
Stelle trifft (Sie wissen schon welche) für einen gebildeten Fort-
schritt. Und nun frag ich Sie, wo säßen wir noch und wo wären
wir noch, wenn es keine Noth in der Welt gäbe. Die Noth ist
der große Treiber oder der eigentliche "Motor", wie manche sagen,
und daß ich hier jetzt mit Ihnen herumkutschire trotz Ostwind
und dieser Stichsonne (fühlen Sie mal wie mir die Haut schon
abschülbert) ist eigentlich auch blos aus Noth."

"J nu ja, man kann es auch so sagen. Aber ich bin doch
mehr fürs Amoene. Sehen Sie den hübschen Thurm da vor
uns? Das ist Groß-Rietz; da kann man doch wieder ein Glas
Bier kriegen und ein Rührei mit Schinken."

"Und da finden wir auch was in Schloß oder Kirche. Ja,
Sie lachen Moll und denken, "ach das sagt er schon den ganzen
Tag"; aber Sie sollen sehen, hier gibt es was. In Groß-Rietz
nämlich hat der Minister Woellner gewohnt, freilich erst als er
in Ungnade gefallen war und ist auch bald nachher gestorben.
Wer in Ungnade fällt, heißt es, der lebt nicht mehr lange. Nu
mir könnt' es nicht passiren; in Ungnade-fallen und Pensionirt-

Wort iſt immer Geld, und da kann ich ſchließlich nicht mehr mit.
Ich hab Ihnen heute früh Recht gegeben, aber ſie gehen ja viel
zu weit und vergeſſen, daß ein Unterſchied iſt zwiſchen Pauvre-
ſein und Arm-ſein. Arm-ſein iſt nicht ſo ſchlimm. Achten Sie
mal darauf, immer die, denen das Leben das Leben ſchwer macht,
das ſind die tüchtigſten und klügſten. War nicht die Pieskowſche
Wirthin eine kluge Frau?“

„Ja, ja.“

„Nun ſehen Sie, ſo viel Schneit iſt immer nur bei der
Armuth. Die Noth lehrt beten, ſagt das Sprüchwort, aber ſie
lehrt auch denken, und wer immer ſatt iſt, der betet nicht viel
und denkt nicht viel.“

„Ich bin aber doch lieber ſatt.“

„Ehrlich geſtanden, ich auch. Darin ſtimmen wir nun wieder
zuſammen. Aber es iſt doch auch was mit der Armuth, oder
wenn man ſo will, ſie hat auch ihre Vorzüge.“

„Man blos nich viele …“

„Nein, viele nicht. Aber doch welche. Sehen Sie, Sie haben
viel geleſen und ſind eigentlich, wenn es nicht grad ihre ſchwache
Stelle trifft (Sie wiſſen ſchon welche) für einen gebildeten Fort-
ſchritt. Und nun frag ich Sie, wo ſäßen wir noch und wo wären
wir noch, wenn es keine Noth in der Welt gäbe. Die Noth iſt
der große Treiber oder der eigentliche „Motor“, wie manche ſagen,
und daß ich hier jetzt mit Ihnen herumkutſchire trotz Oſtwind
und dieſer Stichſonne (fühlen Sie mal wie mir die Haut ſchon
abſchülbert) iſt eigentlich auch blos aus Noth.“

„J nu ja, man kann es auch ſo ſagen. Aber ich bin doch
mehr fürs Amoene. Sehen Sie den hübſchen Thurm da vor
uns? Das iſt Groß-Rietz; da kann man doch wieder ein Glas
Bier kriegen und ein Rührei mit Schinken.“

„Und da finden wir auch was in Schloß oder Kirche. Ja,
Sie lachen Moll und denken, „ach das ſagt er ſchon den ganzen
Tag“; aber Sie ſollen ſehen, hier gibt es was. In Groß-Rietz
nämlich hat der Miniſter Woellner gewohnt, freilich erſt als er
in Ungnade gefallen war und iſt auch bald nachher geſtorben.
Wer in Ungnade fällt, heißt es, der lebt nicht mehr lange. Nu
mir könnt’ es nicht paſſiren; in Ungnade-fallen und Penſionirt-

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[38/0054] Wort iſt immer Geld, und da kann ich ſchließlich nicht mehr mit. Ich hab Ihnen heute früh Recht gegeben, aber ſie gehen ja viel zu weit und vergeſſen, daß ein Unterſchied iſt zwiſchen Pauvre- ſein und Arm-ſein. Arm-ſein iſt nicht ſo ſchlimm. Achten Sie mal darauf, immer die, denen das Leben das Leben ſchwer macht, das ſind die tüchtigſten und klügſten. War nicht die Pieskowſche Wirthin eine kluge Frau?“ „Ja, ja.“ „Nun ſehen Sie, ſo viel Schneit iſt immer nur bei der Armuth. Die Noth lehrt beten, ſagt das Sprüchwort, aber ſie lehrt auch denken, und wer immer ſatt iſt, der betet nicht viel und denkt nicht viel.“ „Ich bin aber doch lieber ſatt.“ „Ehrlich geſtanden, ich auch. Darin ſtimmen wir nun wieder zuſammen. Aber es iſt doch auch was mit der Armuth, oder wenn man ſo will, ſie hat auch ihre Vorzüge.“ „Man blos nich viele …“ „Nein, viele nicht. Aber doch welche. Sehen Sie, Sie haben viel geleſen und ſind eigentlich, wenn es nicht grad ihre ſchwache Stelle trifft (Sie wiſſen ſchon welche) für einen gebildeten Fort- ſchritt. Und nun frag ich Sie, wo ſäßen wir noch und wo wären wir noch, wenn es keine Noth in der Welt gäbe. Die Noth iſt der große Treiber oder der eigentliche „Motor“, wie manche ſagen, und daß ich hier jetzt mit Ihnen herumkutſchire trotz Oſtwind und dieſer Stichſonne (fühlen Sie mal wie mir die Haut ſchon abſchülbert) iſt eigentlich auch blos aus Noth.“ „J nu ja, man kann es auch ſo ſagen. Aber ich bin doch mehr fürs Amoene. Sehen Sie den hübſchen Thurm da vor uns? Das iſt Groß-Rietz; da kann man doch wieder ein Glas Bier kriegen und ein Rührei mit Schinken.“ „Und da finden wir auch was in Schloß oder Kirche. Ja, Sie lachen Moll und denken, „ach das ſagt er ſchon den ganzen Tag“; aber Sie ſollen ſehen, hier gibt es was. In Groß-Rietz nämlich hat der Miniſter Woellner gewohnt, freilich erſt als er in Ungnade gefallen war und iſt auch bald nachher geſtorben. Wer in Ungnade fällt, heißt es, der lebt nicht mehr lange. Nu mir könnt’ es nicht paſſiren; in Ungnade-fallen und Penſionirt-

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/54>, abgerufen am 28.11.2024.