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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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allerlei vertrocknete Büsche von Besen- und Haidekraut standen.
Auch Elsen- und Birkenholz lag hier in Klaftern am Wege hin,
und auf einer dieser Klaftern, die schon bis auf wenige Kloben
abgefahren war, saß ein alter Herr mit Käpsel und Staarbrille,
neben sich ein Kind, eine zehnjährige Kleine, während ein
großer Bastard-Neufundländer, dem die Schäferspitzkreuzung noch
ein Erhebliches an Intelligenz und Entschlossenheit zugelegt hatte,
zu Füßen beider sich ausstreckte. Die Kleine war reizend und
schien dem Alten etwas zuzuflüstern.

Als wir vorüber waren, sagte Moll mit halblauter Stimme:
"Das war er."

"Wer?"

"Nu, der Emeritus. Er geht hier öfter ..."

Aber eh' er noch aussprechen konnte, war ich schon vom Sitz
herunter und lief die paar Schritt zurück, um dem Unbekannten
und doch bereits so Bekannten unter Entschuldigungen über meine
Zudringlichkeit einen Platz auf dem Wagen anzubieten, immer
vorausgesetzt, daß er denselben Weg mit mir habe.

"Danke," sagte der Alte. "Das Aufsteigen ist mir zu schwer
und zu gefährlich; ich sehe schlecht, und die scharfe Brille hilft
auch nicht viel. Aber die Beine sind noch in Ordnung. Ist es
Ihnen recht, so gehen wir ein Stück zusammen und plaudern ein
bischen. Ich plaudere gern. Irme steigt auf den Bock, das Kind
kennt nichts Lieberes, und wir marschiren auf dem Fahrdamm
hinterher."

Er schien meine Zustimmung als selbstverständlich voraus-
zusetzen, erhob sich also und nahm meinen Arm, und als gleich
danach auch Irme zu dem artig bei Seite rückenden Moll hinauf-
geklettert war, setzte sich unser Zug in eine langsame Bewegung.
Eine Fühlung zwischen dem Emeritus und mir war rasch ge-
wonnen, und so nannt' ich ihm meinen Namen und den Zweck
meiner Fahrt.

"Ah, das freut mich, daß jemand in unsere wenig gekannte
Gegend kommt. Es ist ein eigen Land, ich kenn es und lieb es,
und möcht' es für die Tage, die mir noch beschieden, mit keinem
andern vertauschen; aber es ist arm und unfruchtbar in jedem

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allerlei vertrocknete Büſche von Beſen- und Haidekraut ſtanden.
Auch Elſen- und Birkenholz lag hier in Klaftern am Wege hin,
und auf einer dieſer Klaftern, die ſchon bis auf wenige Kloben
abgefahren war, ſaß ein alter Herr mit Käpſel und Staarbrille,
neben ſich ein Kind, eine zehnjährige Kleine, während ein
großer Baſtard-Neufundländer, dem die Schäferſpitzkreuzung noch
ein Erhebliches an Intelligenz und Entſchloſſenheit zugelegt hatte,
zu Füßen beider ſich ausſtreckte. Die Kleine war reizend und
ſchien dem Alten etwas zuzuflüſtern.

Als wir vorüber waren, ſagte Moll mit halblauter Stimme:
„Das war er.“

„Wer?“

„Nu, der Emeritus. Er geht hier öfter …“

Aber eh’ er noch ausſprechen konnte, war ich ſchon vom Sitz
herunter und lief die paar Schritt zurück, um dem Unbekannten
und doch bereits ſo Bekannten unter Entſchuldigungen über meine
Zudringlichkeit einen Platz auf dem Wagen anzubieten, immer
vorausgeſetzt, daß er denſelben Weg mit mir habe.

„Danke,“ ſagte der Alte. „Das Aufſteigen iſt mir zu ſchwer
und zu gefährlich; ich ſehe ſchlecht, und die ſcharfe Brille hilft
auch nicht viel. Aber die Beine ſind noch in Ordnung. Iſt es
Ihnen recht, ſo gehen wir ein Stück zuſammen und plaudern ein
bischen. Ich plaudere gern. Irme ſteigt auf den Bock, das Kind
kennt nichts Lieberes, und wir marſchiren auf dem Fahrdamm
hinterher.“

Er ſchien meine Zuſtimmung als ſelbſtverſtändlich voraus-
zuſetzen, erhob ſich alſo und nahm meinen Arm, und als gleich
danach auch Irme zu dem artig bei Seite rückenden Moll hinauf-
geklettert war, ſetzte ſich unſer Zug in eine langſame Bewegung.
Eine Fühlung zwiſchen dem Emeritus und mir war raſch ge-
wonnen, und ſo nannt’ ich ihm meinen Namen und den Zweck
meiner Fahrt.

„Ah, das freut mich, daß jemand in unſere wenig gekannte
Gegend kommt. Es iſt ein eigen Land, ich kenn es und lieb es,
und möcht’ es für die Tage, die mir noch beſchieden, mit keinem
andern vertauſchen; aber es iſt arm und unfruchtbar in jedem

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[35/0051] allerlei vertrocknete Büſche von Beſen- und Haidekraut ſtanden. Auch Elſen- und Birkenholz lag hier in Klaftern am Wege hin, und auf einer dieſer Klaftern, die ſchon bis auf wenige Kloben abgefahren war, ſaß ein alter Herr mit Käpſel und Staarbrille, neben ſich ein Kind, eine zehnjährige Kleine, während ein großer Baſtard-Neufundländer, dem die Schäferſpitzkreuzung noch ein Erhebliches an Intelligenz und Entſchloſſenheit zugelegt hatte, zu Füßen beider ſich ausſtreckte. Die Kleine war reizend und ſchien dem Alten etwas zuzuflüſtern. Als wir vorüber waren, ſagte Moll mit halblauter Stimme: „Das war er.“ „Wer?“ „Nu, der Emeritus. Er geht hier öfter …“ Aber eh’ er noch ausſprechen konnte, war ich ſchon vom Sitz herunter und lief die paar Schritt zurück, um dem Unbekannten und doch bereits ſo Bekannten unter Entſchuldigungen über meine Zudringlichkeit einen Platz auf dem Wagen anzubieten, immer vorausgeſetzt, daß er denſelben Weg mit mir habe. „Danke,“ ſagte der Alte. „Das Aufſteigen iſt mir zu ſchwer und zu gefährlich; ich ſehe ſchlecht, und die ſcharfe Brille hilft auch nicht viel. Aber die Beine ſind noch in Ordnung. Iſt es Ihnen recht, ſo gehen wir ein Stück zuſammen und plaudern ein bischen. Ich plaudere gern. Irme ſteigt auf den Bock, das Kind kennt nichts Lieberes, und wir marſchiren auf dem Fahrdamm hinterher.“ Er ſchien meine Zuſtimmung als ſelbſtverſtändlich voraus- zuſetzen, erhob ſich alſo und nahm meinen Arm, und als gleich danach auch Irme zu dem artig bei Seite rückenden Moll hinauf- geklettert war, ſetzte ſich unſer Zug in eine langſame Bewegung. Eine Fühlung zwiſchen dem Emeritus und mir war raſch ge- wonnen, und ſo nannt’ ich ihm meinen Namen und den Zweck meiner Fahrt. „Ah, das freut mich, daß jemand in unſere wenig gekannte Gegend kommt. Es iſt ein eigen Land, ich kenn es und lieb es, und möcht’ es für die Tage, die mir noch beſchieden, mit keinem andern vertauſchen; aber es iſt arm und unfruchtbar in jedem 3*

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/51>, abgerufen am 02.05.2024.