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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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stein von besseren Zeiten redete (wenn es bessere Zeiten waren)
in die sandig hügelige Feldmark hinaus.

"Hören Sie, Moll," hob ich an, "das war 'ne forsche Frau."

"Woll, forsch war sie. Man blos zu sehr, un eigentlich
wüthig; un nahm ja gar keine Raison an."

"Ja hören Sie, das sagen Sie wohl; Sie sind ein behäbiger
Mann. Aber solch armes Volk, das jeden Tag seine Noth fühlt,
das wird eben wüthend und mucksch und starrt vor sich hin.
Uebrigens lassen wir's, und sagen Sie mir lieber, was ist das
mit dem alten Emeritus? Der Pieskowsche Lehrer konnte ja
gar nicht von ihm los. Ist er denn noch bei Wege?"

"Freilich. Und wir kommen sogar an dem kleinen Hause
vorbei, das er sich aus Feldstein hat aufmauern lassen. Und hat
selber mitgeholfen. Und wenn ich es so liegen seh' in Kapper-
folium und Epheu, muß ich immer an Robinson und Freitag
denken."

"Und da wohnt er? Und ist schon sehr alt?"

"Sehr alt und weiß alles. Er hat noch den Kaiser Napoleon
gesehn, als er aus Rußland kam, und als Studente war er mit
in Griechenland und ist auch mal mit in die Luft geflogen. Aber
sie haben ihn wieder 'rausgefischt. Und ich hab' ihn öfter sagen
hören: Ein jeder hat so sein Schicksal, und wer Pastor in Pies-
kow werden soll, an den kann kein Türke 'ran. Und Feuer und
Wasser auch nich."

"Ei, das muß ja ein reizender alter Herr sein, und wohl
sehr aufgeklärt und freisinnig. Oder vielleicht auch ein bischen
zu sehr. Ist es so was? He?"

Moll lächelte vor sich hin und schien ausdrücken zu wollen:
auf eine so feine Frage laß ich mich nicht ein.

Eine kleine Weile danach erreichten wir einen Wald, über
dessen schmalen Fahrweg von rechts und links her eine Menge
Wurzelwerk gewachsen war. Das gab nun ein entsetzliches Ge-
holper und Gestolper, und ich flog hin und her, aber ich freute
mich doch, aus Wind und Sonne heraus zu sein.

Es waren hochstämmige Kiefern und Tannen gewesen, womit
der Wald begonnen hatte; bald aber kam Laubholz und inmitten
desselben eine moorige Lichtung, auf deren höher gelegenen Stellen

ſtein von beſſeren Zeiten redete (wenn es beſſere Zeiten waren)
in die ſandig hügelige Feldmark hinaus.

„Hören Sie, Moll,“ hob ich an, „das war ’ne forſche Frau.“

„Woll, forſch war ſie. Man blos zu ſehr, un eigentlich
wüthig; un nahm ja gar keine Raiſon an.“

„Ja hören Sie, das ſagen Sie wohl; Sie ſind ein behäbiger
Mann. Aber ſolch armes Volk, das jeden Tag ſeine Noth fühlt,
das wird eben wüthend und muckſch und ſtarrt vor ſich hin.
Uebrigens laſſen wir’s, und ſagen Sie mir lieber, was iſt das
mit dem alten Emeritus? Der Pieskowſche Lehrer konnte ja
gar nicht von ihm los. Iſt er denn noch bei Wege?“

„Freilich. Und wir kommen ſogar an dem kleinen Hauſe
vorbei, das er ſich aus Feldſtein hat aufmauern laſſen. Und hat
ſelber mitgeholfen. Und wenn ich es ſo liegen ſeh’ in Kapper-
folium und Epheu, muß ich immer an Robinſon und Freitag
denken.“

„Und da wohnt er? Und iſt ſchon ſehr alt?“

„Sehr alt und weiß alles. Er hat noch den Kaiſer Napoleon
geſehn, als er aus Rußland kam, und als Studente war er mit
in Griechenland und iſt auch mal mit in die Luft geflogen. Aber
ſie haben ihn wieder ’rausgefiſcht. Und ich hab’ ihn öfter ſagen
hören: Ein jeder hat ſo ſein Schickſal, und wer Paſtor in Pies-
kow werden ſoll, an den kann kein Türke ’ran. Und Feuer und
Waſſer auch nich.“

„Ei, das muß ja ein reizender alter Herr ſein, und wohl
ſehr aufgeklärt und freiſinnig. Oder vielleicht auch ein bischen
zu ſehr. Iſt es ſo was? He?“

Moll lächelte vor ſich hin und ſchien ausdrücken zu wollen:
auf eine ſo feine Frage laß ich mich nicht ein.

Eine kleine Weile danach erreichten wir einen Wald, über
deſſen ſchmalen Fahrweg von rechts und links her eine Menge
Wurzelwerk gewachſen war. Das gab nun ein entſetzliches Ge-
holper und Geſtolper, und ich flog hin und her, aber ich freute
mich doch, aus Wind und Sonne heraus zu ſein.

Es waren hochſtämmige Kiefern und Tannen geweſen, womit
der Wald begonnen hatte; bald aber kam Laubholz und inmitten
deſſelben eine moorige Lichtung, auf deren höher gelegenen Stellen

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[34/0050] ſtein von beſſeren Zeiten redete (wenn es beſſere Zeiten waren) in die ſandig hügelige Feldmark hinaus. „Hören Sie, Moll,“ hob ich an, „das war ’ne forſche Frau.“ „Woll, forſch war ſie. Man blos zu ſehr, un eigentlich wüthig; un nahm ja gar keine Raiſon an.“ „Ja hören Sie, das ſagen Sie wohl; Sie ſind ein behäbiger Mann. Aber ſolch armes Volk, das jeden Tag ſeine Noth fühlt, das wird eben wüthend und muckſch und ſtarrt vor ſich hin. Uebrigens laſſen wir’s, und ſagen Sie mir lieber, was iſt das mit dem alten Emeritus? Der Pieskowſche Lehrer konnte ja gar nicht von ihm los. Iſt er denn noch bei Wege?“ „Freilich. Und wir kommen ſogar an dem kleinen Hauſe vorbei, das er ſich aus Feldſtein hat aufmauern laſſen. Und hat ſelber mitgeholfen. Und wenn ich es ſo liegen ſeh’ in Kapper- folium und Epheu, muß ich immer an Robinſon und Freitag denken.“ „Und da wohnt er? Und iſt ſchon ſehr alt?“ „Sehr alt und weiß alles. Er hat noch den Kaiſer Napoleon geſehn, als er aus Rußland kam, und als Studente war er mit in Griechenland und iſt auch mal mit in die Luft geflogen. Aber ſie haben ihn wieder ’rausgefiſcht. Und ich hab’ ihn öfter ſagen hören: Ein jeder hat ſo ſein Schickſal, und wer Paſtor in Pies- kow werden ſoll, an den kann kein Türke ’ran. Und Feuer und Waſſer auch nich.“ „Ei, das muß ja ein reizender alter Herr ſein, und wohl ſehr aufgeklärt und freiſinnig. Oder vielleicht auch ein bischen zu ſehr. Iſt es ſo was? He?“ Moll lächelte vor ſich hin und ſchien ausdrücken zu wollen: auf eine ſo feine Frage laß ich mich nicht ein. Eine kleine Weile danach erreichten wir einen Wald, über deſſen ſchmalen Fahrweg von rechts und links her eine Menge Wurzelwerk gewachſen war. Das gab nun ein entſetzliches Ge- holper und Geſtolper, und ich flog hin und her, aber ich freute mich doch, aus Wind und Sonne heraus zu ſein. Es waren hochſtämmige Kiefern und Tannen geweſen, womit der Wald begonnen hatte; bald aber kam Laubholz und inmitten deſſelben eine moorige Lichtung, auf deren höher gelegenen Stellen

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/50>, abgerufen am 20.04.2024.