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Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882.

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ein Häuschen, an das drei, vier Ruder angelehnt waren. Also
hier war es muthmaßlich. Ich trat denn auch ein und fand eine
Frau, die sich, auf eine Stuhllehne gestützt, von hinten her über
ihren etwa zwölfjährigen Jungen bog und ein Exempel mit ihm
rechnete, das diesem blutsauer zu werden schien. Als ich ihr mein
Anliegen vorgetragen hatte, sagte sie kurz aber nicht unfreundlich,
"sie habe nur den Jungen zu Haus, ob ich mit dem fahren
wolle?"

"Gewiß."

Und so stieg ich denn ins Boot und setzte mich so, daß ich
dem Jungen, der rückwärts saß, grad' in die Augen sah. Als
wir schon abstießen, kam auch noch seine jüngere Schwester, nahm
rasch ein zweites Ruder und setzte sich neben ihn. Ich sah bald,
daß der Junge seiner Sache vollkommen sicher war und den
Schermützel ohne sonderliche Mühe bezwingen würde, trotzdem uns
der Wind entgegenwehte.

Dieser, anstatt stärker zu werden, wurde schwächer, aber je
mehr er sich legte, desto blendender wurde die Sonne, so daß ich
im Sonnenlicht, das überall hinflimmerte, bald nichts weiter sah,
als das Eingreifen der Ruder und die klugen und energischen
Köpfe der beiden Kinder. Es entging ihnen auch nicht, daß sie
mir gefielen, aber ich sagte nichts, und wir waren schon bis über
die Mitte des See's, als ich endlich fragte:

"Wie tief ist denn eigentlich Euer See?"

"Na, wie uns' Huus."

"O, mihr, mihr," flüsterte die Schwester.

"Und könnt' ihr denn auch schwimmen? Oder Du wenigstens?"

"Nei."

"Ja, da kannst Du ja mal ertrinken."

"O, ick wihr doch nich."

"Nu nimm mal an, wenn euer Boot umkippt."

"Uns' Boot kippt nich."

Und dabei sahen sie sich an und kicherten und ruderten weiter.

Eine Weile verging so, während der Junge nachzusinnen
schien, was nun er wohl zur Unterhaltung beisteuern könne. Dann
sah er mit eins in die Höh' und sagte: "Dat 's 'ne Möw'."

ein Häuschen, an das drei, vier Ruder angelehnt waren. Alſo
hier war es muthmaßlich. Ich trat denn auch ein und fand eine
Frau, die ſich, auf eine Stuhllehne geſtützt, von hinten her über
ihren etwa zwölfjährigen Jungen bog und ein Exempel mit ihm
rechnete, das dieſem blutſauer zu werden ſchien. Als ich ihr mein
Anliegen vorgetragen hatte, ſagte ſie kurz aber nicht unfreundlich,
„ſie habe nur den Jungen zu Haus, ob ich mit dem fahren
wolle?“

„Gewiß.“

Und ſo ſtieg ich denn ins Boot und ſetzte mich ſo, daß ich
dem Jungen, der rückwärts ſaß, grad’ in die Augen ſah. Als
wir ſchon abſtießen, kam auch noch ſeine jüngere Schweſter, nahm
raſch ein zweites Ruder und ſetzte ſich neben ihn. Ich ſah bald,
daß der Junge ſeiner Sache vollkommen ſicher war und den
Schermützel ohne ſonderliche Mühe bezwingen würde, trotzdem uns
der Wind entgegenwehte.

Dieſer, anſtatt ſtärker zu werden, wurde ſchwächer, aber je
mehr er ſich legte, deſto blendender wurde die Sonne, ſo daß ich
im Sonnenlicht, das überall hinflimmerte, bald nichts weiter ſah,
als das Eingreifen der Ruder und die klugen und energiſchen
Köpfe der beiden Kinder. Es entging ihnen auch nicht, daß ſie
mir gefielen, aber ich ſagte nichts, und wir waren ſchon bis über
die Mitte des See’s, als ich endlich fragte:

„Wie tief iſt denn eigentlich Euer See?“

„Na, wie unſ’ Huus.“

„O, mihr, mihr,“ flüſterte die Schweſter.

„Und könnt’ ihr denn auch ſchwimmen? Oder Du wenigſtens?“

„Nei.“

„Ja, da kannſt Du ja mal ertrinken.“

„O, ick wihr doch nich.“

„Nu nimm mal an, wenn euer Boot umkippt.“

„Unſ’ Boot kippt nich.“

Und dabei ſahen ſie ſich an und kicherten und ruderten weiter.

Eine Weile verging ſo, während der Junge nachzuſinnen
ſchien, was nun er wohl zur Unterhaltung beiſteuern könne. Dann
ſah er mit eins in die Höh’ und ſagte: „Dat ’s ’ne Möw’.“

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[28/0044] ein Häuschen, an das drei, vier Ruder angelehnt waren. Alſo hier war es muthmaßlich. Ich trat denn auch ein und fand eine Frau, die ſich, auf eine Stuhllehne geſtützt, von hinten her über ihren etwa zwölfjährigen Jungen bog und ein Exempel mit ihm rechnete, das dieſem blutſauer zu werden ſchien. Als ich ihr mein Anliegen vorgetragen hatte, ſagte ſie kurz aber nicht unfreundlich, „ſie habe nur den Jungen zu Haus, ob ich mit dem fahren wolle?“ „Gewiß.“ Und ſo ſtieg ich denn ins Boot und ſetzte mich ſo, daß ich dem Jungen, der rückwärts ſaß, grad’ in die Augen ſah. Als wir ſchon abſtießen, kam auch noch ſeine jüngere Schweſter, nahm raſch ein zweites Ruder und ſetzte ſich neben ihn. Ich ſah bald, daß der Junge ſeiner Sache vollkommen ſicher war und den Schermützel ohne ſonderliche Mühe bezwingen würde, trotzdem uns der Wind entgegenwehte. Dieſer, anſtatt ſtärker zu werden, wurde ſchwächer, aber je mehr er ſich legte, deſto blendender wurde die Sonne, ſo daß ich im Sonnenlicht, das überall hinflimmerte, bald nichts weiter ſah, als das Eingreifen der Ruder und die klugen und energiſchen Köpfe der beiden Kinder. Es entging ihnen auch nicht, daß ſie mir gefielen, aber ich ſagte nichts, und wir waren ſchon bis über die Mitte des See’s, als ich endlich fragte: „Wie tief iſt denn eigentlich Euer See?“ „Na, wie unſ’ Huus.“ „O, mihr, mihr,“ flüſterte die Schweſter. „Und könnt’ ihr denn auch ſchwimmen? Oder Du wenigſtens?“ „Nei.“ „Ja, da kannſt Du ja mal ertrinken.“ „O, ick wihr doch nich.“ „Nu nimm mal an, wenn euer Boot umkippt.“ „Unſ’ Boot kippt nich.“ Und dabei ſahen ſie ſich an und kicherten und ruderten weiter. Eine Weile verging ſo, während der Junge nachzuſinnen ſchien, was nun er wohl zur Unterhaltung beiſteuern könne. Dann ſah er mit eins in die Höh’ und ſagte: „Dat ’s ’ne Möw’.“

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Zitationshilfe: Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/44>, abgerufen am 26.04.2024.