und Neigungen, und von dem Augenblick an fast, wo sie das Erbe hatte, beschäftigte sie der Wunsch es wieder los zu sein. Sie fühlte sich durch dasselbe nicht gefördert und gehoben, sondern nur beengt und gebunden in dem, was ihr einzig und allein noch in der Seele lag, und so kam sie zu dem Entschlusse, beide Güter zu verkaufen. Aber an wen? "Nur an einen Wohlhabenden," so schrieb sie, "der meinen braven Leuten, wenn sie des Beistandes bedürftig sind, diesen Beistand auch leisten kann und leisten will -- nur an einen wohlhabenden Mann von ehrenwerther und frommer Gesinnung will ich die Güter verkaufen, ohne Rück- sicht auf einen höheren oder geringeren Preis." Einen solchen Käufer glaubte sie schließlich in Herrn v. Jagow-Rühstaedt, Erb- jägermeister der Kurmark Brandenburg, gefunden zu haben, der denn auch, nach längeren Unterhandlungen, die beiden Güter für die Summe von 120,000 Thalern an sich brachte. Sie selbst er- hob nur noch den Anspruch: in Groeben das Herrenhaus beziehen und es auf Lebenszeit als ihren Wittwensitz ansehen zu dürfen. Diese Bedingung wurde gern erfüllt, und im Frühjahr 1860 er- folgte Frau v. Scharnhorsts Uebersiedlung aus dem Herrenhause zu Siethen in das zu Groeben. Es wurd' ihr sehr schwer, dieser Umzug und Ortswechsel, und ich finde darüber in einem mir vor- liegenden Schwestern-Briefe das folgende. "Frau v. S. ließ mich rufen, und wir waren nun das letzte Mal in dem traulichen Siethner Herrenhause zusammen, in dem sie 34 Jahre lang in Segen gewirkt hatte. Sie war sehr ernst, las mit mir das 42. Hauptstück aus Thomas a Kempis Nachfolge Christi und rief dann ihre Leute herein, um sich von ihnen zu verabschieden. Alles weinte. Danach erhob sie sich, sah sich noch einmal in den alten Räumen um und ging endlich, meine Hand ergreifend, mit mir nach dem Asyl-Hause hinüber. Da legte sie sich nieder und erst als sie wieder Fassung gewonnen hatte, fuhr sie nach Groeben, das nun, wider ihren Willen, ihr neues Heim geworden war."
In diesem lebte sie noch sieben Jahr, all jenen Aufgaben hinge- geben, die die schöne Hinterlassenschaft ihrer Tochter Johanna bildeten. An die Stelle des alten Fachwerkhauses in Siethen, das fünf Jahre lang und länger als Zufluchts- und Pflegestätte gedient hatte, trat ein massiver Neubau, der den Namen "Tabea-Haus" er-
und Neigungen, und von dem Augenblick an faſt, wo ſie das Erbe hatte, beſchäftigte ſie der Wunſch es wieder los zu ſein. Sie fühlte ſich durch daſſelbe nicht gefördert und gehoben, ſondern nur beengt und gebunden in dem, was ihr einzig und allein noch in der Seele lag, und ſo kam ſie zu dem Entſchluſſe, beide Güter zu verkaufen. Aber an wen? „Nur an einen Wohlhabenden,“ ſo ſchrieb ſie, „der meinen braven Leuten, wenn ſie des Beiſtandes bedürftig ſind, dieſen Beiſtand auch leiſten kann und leiſten will — nur an einen wohlhabenden Mann von ehrenwerther und frommer Geſinnung will ich die Güter verkaufen, ohne Rück- ſicht auf einen höheren oder geringeren Preis.“ Einen ſolchen Käufer glaubte ſie ſchließlich in Herrn v. Jagow-Rühſtaedt, Erb- jägermeiſter der Kurmark Brandenburg, gefunden zu haben, der denn auch, nach längeren Unterhandlungen, die beiden Güter für die Summe von 120,000 Thalern an ſich brachte. Sie ſelbſt er- hob nur noch den Anſpruch: in Groeben das Herrenhaus beziehen und es auf Lebenszeit als ihren Wittwenſitz anſehen zu dürfen. Dieſe Bedingung wurde gern erfüllt, und im Frühjahr 1860 er- folgte Frau v. Scharnhorſts Ueberſiedlung aus dem Herrenhauſe zu Siethen in das zu Groeben. Es wurd’ ihr ſehr ſchwer, dieſer Umzug und Ortswechſel, und ich finde darüber in einem mir vor- liegenden Schweſtern-Briefe das folgende. „Frau v. S. ließ mich rufen, und wir waren nun das letzte Mal in dem traulichen Siethner Herrenhauſe zuſammen, in dem ſie 34 Jahre lang in Segen gewirkt hatte. Sie war ſehr ernſt, las mit mir das 42. Hauptſtück aus Thomas a Kempis Nachfolge Chriſti und rief dann ihre Leute herein, um ſich von ihnen zu verabſchieden. Alles weinte. Danach erhob ſie ſich, ſah ſich noch einmal in den alten Räumen um und ging endlich, meine Hand ergreifend, mit mir nach dem Aſyl-Hauſe hinüber. Da legte ſie ſich nieder und erſt als ſie wieder Faſſung gewonnen hatte, fuhr ſie nach Groeben, das nun, wider ihren Willen, ihr neues Heim geworden war.“
In dieſem lebte ſie noch ſieben Jahr, all jenen Aufgaben hinge- geben, die die ſchöne Hinterlaſſenſchaft ihrer Tochter Johanna bildeten. An die Stelle des alten Fachwerkhauſes in Siethen, das fünf Jahre lang und länger als Zufluchts- und Pflegeſtätte gedient hatte, trat ein maſſiver Neubau, der den Namen „Tabea-Haus“ er-
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und Neigungen, und von dem Augenblick an faſt, wo ſie das
Erbe hatte, beſchäftigte ſie der Wunſch es wieder los zu ſein. Sie
fühlte ſich durch daſſelbe nicht gefördert und gehoben, ſondern nur
beengt und gebunden in dem, was ihr einzig und allein noch in
der Seele lag, und ſo kam ſie zu dem Entſchluſſe, beide Güter
zu verkaufen. Aber an wen? „Nur an einen Wohlhabenden,“ ſo
ſchrieb ſie, „der meinen braven Leuten, wenn ſie des Beiſtandes
bedürftig ſind, dieſen Beiſtand auch leiſten kann und leiſten
will — nur an einen wohlhabenden Mann von ehrenwerther
und frommer Geſinnung will ich die Güter verkaufen, ohne Rück-
ſicht auf einen höheren oder geringeren Preis.“ Einen ſolchen
Käufer glaubte ſie ſchließlich in Herrn v. Jagow-Rühſtaedt, Erb-
jägermeiſter der Kurmark Brandenburg, gefunden zu haben, der
denn auch, nach längeren Unterhandlungen, die beiden Güter für
die Summe von 120,000 Thalern an ſich brachte. Sie ſelbſt er-
hob nur noch den Anſpruch: in Groeben das Herrenhaus beziehen
und es auf Lebenszeit als ihren Wittwenſitz anſehen zu dürfen.
Dieſe Bedingung wurde gern erfüllt, und im Frühjahr 1860 er-
folgte Frau v. Scharnhorſts Ueberſiedlung aus dem Herrenhauſe
zu Siethen in das zu Groeben. Es wurd’ ihr ſehr ſchwer, dieſer
Umzug und Ortswechſel, und ich finde darüber in einem mir vor-
liegenden Schweſtern-Briefe das folgende. „Frau v. S. ließ mich
rufen, und wir waren nun das letzte Mal in dem traulichen
Siethner Herrenhauſe zuſammen, in dem ſie 34 Jahre lang in
Segen gewirkt hatte. Sie war ſehr ernſt, las mit mir das
42. Hauptſtück aus Thomas a Kempis Nachfolge Chriſti und rief
dann ihre Leute herein, um ſich von ihnen zu verabſchieden. Alles
weinte. Danach erhob ſie ſich, ſah ſich noch einmal in den alten
Räumen um und ging endlich, meine Hand ergreifend, mit mir
nach dem Aſyl-Hauſe hinüber. Da legte ſie ſich nieder und erſt
als ſie wieder Faſſung gewonnen hatte, fuhr ſie nach Groeben,
das nun, wider ihren Willen, ihr neues Heim geworden war.“
In dieſem lebte ſie noch ſieben Jahr, all jenen Aufgaben hinge-
geben, die die ſchöne Hinterlaſſenſchaft ihrer Tochter Johanna bildeten.
An die Stelle des alten Fachwerkhauſes in Siethen, das fünf Jahre
lang und länger als Zufluchts- und Pflegeſtätte gedient hatte,
trat ein maſſiver Neubau, der den Namen „Tabea-Haus“ er-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Forts… [mehr]
Fontanes "Wanderungen" erschienen zuerst in Fortsetzungen in der Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung 1859 bzw. im Morgenblatt für gebildete Leser (zwischen 1860 und 1864). Als Buchausgabe erschien der vierte Band "Spreeland. Beeskow-Storkow und Barnim-Teltow" 1882 bei W. Hertz in Berlin. In der Folge wurde der Text von Fontane mehrfach überarbeitet und erweitert. Für das DTA wurde die erste Auflage der Buchausgabe digitalisiert.
Fontane, Theodor: Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Bd. 4: Spreeland. Berlin, 1882, S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/fontane_brandenburg04_1882/408>, abgerufen am 22.11.2024.
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